Ist die Presse frei? – Solidarität mit den durchsuchten Journalist*innen

Am Mittwoch, den 6. Februar 2013, verschafften sich mehrere Einsatzhundertschaften in den frühen Morgenstunden Zugang zu den Wohnungen von 10 freien Journalist*innen und Fotograf*innen in Berlin, Brandenburg, Baden-Württenberg, NRW und Frankfurt. Darunter befand sich auch ein Mitglied des FdA.

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Grund der koordinierten Durchsuchungen war die Sicherstellung von Beweismaterial. Alle Betroffenen waren im Rahmen ihrer journalistischen Tätigkeit auf der letztjährigen M31-Demonstration in Frankfurt am Main, während der es zu vielfachen Angriffen auf symbolische Einrichtungen von Staat und Kapital kam. Die Sicherheitskräfte hofften durch die Aktion, belastendes Bildmaterial sicherzustellen, um dadurch vermeintliche Straftäter*innen zu identifizieren. Konkret geht es um den Angriff auf einen Kontaktbeamten während der Demonstration.

Wir wollen hier keine Diskussion über Sinn und Unsinn körperlicher Angriffe gegenüber Menschen eröffnen. Dennoch muss festgehalten werden, dass der Zustand des betroffenen Polizisten von Anfang an stark überdramatisiert wurde. Dies geschah sowohl von der Frankfurter Einsatzleitung, aber auch im Anschluss von einer erfreuten Medienlandschaft, die das beschworene Horrorszenario, der Beamte sei mit Pflastersteinen, Holzlatten und Chemikalien fast umgebracht worden, bereitwillig und kritiklos weiter verbreitete.

Zum anderen sind, unabhängig von de konkreten Vorwürfen, die Durchsuchungen ein unerhörter Angriff auf die Pressefreiheit. Privaträume von (Foto-)Journalist*innen, egal ob fest angestellt oder freiberuflich tätig, gelten als Redaktionsräume und sind somit besonders geschützt. Einzelne Aspekte, wie die Aussage der Pressesprecherin der Frankfurter Staatsanwaltschaft, Doris Möller-Scheu, die Durchsuchungen seien ein Missverständnis, da man „davon ausgegangen sei, dass es sich nicht um Pressefotografen handelt“, wirken da wie blanker Hohn. Besonders, da einem Bericht des Tagesspiegels vom 7. Februar zufolge selbst das angebliche Missverständnis keines war, sondern die Wohnungen der Journalist*innen in vollem Bewusstsein über deren Tätigkeit und Status erfolgten.

Dies erscheint jedem mit minimalen Internetkenntnissen auch logisch. Es kostet keine fünf Minuten auf einer der vielen Internetsuchmaschinen, um auf die Websites einiger der Betroffenen zu gelangen, wo schnell klar wird, dass es sich um Pressefotograf*innen handelt. Einige arbeiten freiberuflich für renommierte, bürgerliche Medien wie die taz oder den erwähnten Tagesspiegel. Bilder der Fotograf*innen finden sich unter anderem in der Financial Times Deutschland oder auf den Seiten des amerikanischen Time-Magazins. Während gleichzeitig etwa Aktivist*innen in Dresden und Berlin monate- und jahrelang mit allen nur erdenklichen Ressourcen überwacht wurden und werden, war in diesem Fall eine fünfminütige Laienrecherche scheinbar zu viel Aufwand.

Doch es muss gar nicht das Grund- oder Strafgesetz bemüht, oder auf vermeintlich bürgerliche Grundrechte gepocht werden, denn der Vorfall ist weder kein „Missverständnis“ oder gar ein Einzelfall, sondern reiht sich nahtlos ein in eine lange Geschichte von Überwachung und Repression gegenüber linksradikalen Bewegungen im Allgemeinen und deren Medien im Besonderen. Ob die Repressionsbehörden nun soziale Netzwerke nach Beziehungen unter Aktivist*innen durchforsten, bei Großprotesten flächendeckende Handyüberwachung einsetzen, in zahllosen Hausdurchsuchungen nach linksradikalen Publikationen suchen, oder wie jetzt geschehen, linke Fotograf*innen als Hilfspolizist*innen zu missbrauchen versuchen, der Hintergrund ist stets derselbe: Soziale Kämpfe und emanzipatorische Bewegungen sollen diskreditiert, eingeschüchtert und schlimmstenfalls zerschlagen werden. Und im Kampf um dieses hehre Ziel können auch mal elementare Grundrechte, deren Verteidigung sich die Sicherheitsbehörden ja stets auf die Fahnen schreiben, außer Kraft gesetzt werden, wenn andersweitig keine Erfolge zu erzielen sind.

Dass die Durchsuchungen nunmehr fast ein Jahr nach der besagten Demonstration stattfanden, zeigt auch die Hilflosigkeit einer Frankfurter Staatsanwaltschaft, die scheinbar unter erheblichem Erfolgsdruck steht. Musste der anfängliche Vorwurf des „versuchten Totschlags“ gegenüber dem besagten Polizeibeamten schon kurz darauf abgemildert werden, da dieser nicht haltbar war, so zogen auch die darauf folgenden Ermittlungen keine gewünschten Ergebnisse nach sich. Doch auch in Hinblick auf die kommenden Proteste in der Mainmetropole, wie die Neuauflage der „Blockupy“-Aktionstage oder den angekündigten Naziaufmarsch am 1. Mai, können die Durchsuchungen als Warnschuss verstanden werden. Ähnlich wie zur Zeit in Dresden wird auch in Frankfurt ein Drohszenario einer hilflosen Stadt inszeniert, die permanent von Massen gewaltbereiter Chaot*innen heimgesucht wird.

Wie nun weiter?

Die bisherigen Diskussionen in den einschlägigen Internetportalen erscheinen uns weder zielführend noch solidarisch. Die Tatsache, dass einige der Betroffenen für „bürgerliche Medien“ gearbeitet haben, ändert nichts daran, dass sie akut von staatlicher Repression betroffen sind und durch die Beschlagnahmung ihrer Existenzgrundlage, also ihrer technischen Ausrüstung, massiven Problemen gegenüberstehen. Wir finden die Dokumentation linksradikaler Kämpfe und öffentlicher Aktionen wichtig. Dabei geht es uns weniger um ein möglichst abwechslungsreiches Poesie-Album, als um eine notwendige Grundlage für eine eigene und unabhängige Medieninfrastruktur, zu der neben eigenen Zeitungen, Radios oder Internetprojekten eben auch Filmaufnahmen und Fotografien gehören müssen.

Dennoch können wir seit Jahren beobachten, dass es in zunehmendem Maß zu Privataufnahmen während Demonstrationen und anderen Aktionen kommt. Dank der massenhaften Verbreitung von Digital- und insbesondere Handykameras erleben wir Demonstrationen, die oft mehr an das Blitzlichtgewitter großer Promi-Events erinnern, als an Äußerungen von Protest. Bilder und Videos von Demonstrationen, die unverpixelt sind und schlimmstenfalls Menschen akut in Gefahr von staatlicher Verfolgung (Staatsschutz, Bullen, Geheimdienste, aber auch z.B. Nazis oder Arbeitgeber*innen) bringen können, finden sich daraufhin nicht nur auf den erwähnten Medien, sondern oftmals auch bei Internetportalen wie YouTube, Twitter oder Facebook wieder.

Wir finden diese Entwicklung höchst bedenklich und erhoffen uns im Kontext dieser bundesweiten Razzia eine intensive Debatte über die Dokumentation politischer Ereignisse und deren weitere Verarbeitung. Glücklicherweise dürfte der potenzielle Schaden in diesem Fall gering ausfallen, denn zum einen sind alle Betroffenen vom Beschlagnahmungsverbot gegenüber Pressevertreter*innen geschützt, was bedeutet, dass selbst im Falle von verwertbaren Ergebnissen, diese nicht genutzt werden dürfen. Zum anderen nutzen die Betroffenen in den meisten uns bekannten Fällen die gängigen Methoden zur Verschlüsselung sensibler Daten. Gerade dies ist der Vorteil von „professionellen“ Videofilmer*innen und Fotograf*innen. Neben der erwähnten Sensibilität gegenüber ausreichender Datensicherung, sind diese auch auf den Aktionen selbst geschützter als „einfache“ Demonstrant*innen, wo schon in unzähligen Fällen die Speicher von mitgeführten Handys und Digitalkameras bei Kontrollen oder Verhaftungen beschlagnahmt und ausgewertet wurden.

Dennoch wollen wir die Durchsuchungen nicht einfach abtun, denn de facto ist die Pressefreiheit und der besonders geschützte Status von Journalist*innen bisher immer eine Grenze gewesen, die Repressionsbehörden ungern und glücklicherweise weit seltener übertreten, als sie es bei so vielen anderen Grundrechten tun. Dass in fünf Bundesländern Journalist*innen durchsucht und ungewollt zu Hilfspolizist*innen gemacht werden, darf nicht unbeantwortet bleiben.

Es ist wichtig, diese Vorfälle weiterhin in die Öffentlichkeit zu tragen und vor allem zu verhindern, dass sie als vermeintliche „Missverständnisse“, „Kommunikationsfehler“ oder „Fehltritte einzelner Beamt*innen“ mit der Zeit aus dem Fokus der Öffentlichkeit verschwinden. Und es ist wichtig, den Betroffenen gegenüber Solidarität zu zeigen, nicht nur ihretwegen, sondern stellvertretend für alle linken Journalist*innen, die nun befürchten müssen, wegen ihrer Arbeit in den Fokus übereifriger Strafverfolgungsbehörden zu gelangen.

Forum deutschsprachiger Anarchist*innen (FdA-IFA)
17. Februar 2013

Mehr Infos und Überblick an über die Soli-Aktionen gibt es unter: antirep.march31.net

Quelle: FdA

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