Wie eine (anarchistische) Gruppe gründen

Wir werden als Föderation häufig von Menschen angefragt, die sich in einer anarchistischen Gruppe organisieren wollen, in deren Gegend es aber keine Strukturen gibt. Für diesen Fall haben wir eine Orientierungshilfe verfasst, die es euch erleichtern soll, eine Gruppe zu gründen. Natürlich können wir euch kein Kochrezept erstellen, denn die Situationen vor Ort und die Bedürfnisse sind ja von Fall zu Fall unterschiedlich. Aber wir hoffen, dass euch der Text als Anregung dient.

Für Feedback oder Kritik, Verbesserungsvorschläge und weitere Fragen eurerseits stehen wir euch natürlich gerne zu Verfügung.

Ausgangssituation

Bei den ersten Überlegungen spielt es natürlich eine Rolle, ob ihr im ländlichen Raum oder in einer Stadt wohnt. Im ländlichen Raum oder in Gegenden, in denen es allgemein wenig linksradikale Menschen gibt, bietet es sich vielleicht an die geplante Gruppe über mehrere Dörfer bzw. Kleinstädte oder einen Landkreis zu spannen, da so die Chance höher ist, auf Gleichgesinnte zu treffen.

Prinzipiell ist es im Vorfeld gut, in der Planungsphase schon mal abzuklopfen, was für Potential deine Region bietet. Ihr könntet z.B. falls vorhanden bei linken Strukturen in der Gegend vorbeischauen und dort mal anfragen, ob es Menschen mit dem Interesse gibt, eine anarchistische Gruppe zu gründen.

Vorbereitung

Überlegt euch, was ihr euch persönlich von einer Gruppe erhofft, was ihr mit der Gruppe machen wollt und wie viel Zeit ihr in die Aktivitäten einbringen könnt. Das solltet ihr dann auch potentiellen Mitstreiter*innen kommunizieren und diese Punkte auch von ihnen abfragen, damit ihr von Anfang an wisst, wo ihr steht.

Wichtig ist auch, sich zu überlegen, ob man eine offene Gruppe will, d.h. ob prinzipiell jede*r mal bei einem Treffen von euch vorbeischauen und mitmachen kann. Das hat den Vorteil, dass die Hürde bei der Gruppe mitzumachen relativ niedrig ist. Aber es hat natürlich den Nachteil, dass die Gefahr besteht, dass auch nicht erwünschte Personen auf dem Plenum auftauchen. Abgesehen von Spitzeln könnten Menschen kommen, die das Treffen sprengen. Es kann z.B. sein, dass Menschen ewige Monologe halten oder rückschrittliche (z.B. sexistische) Einstellungen vertreten. Auf alle Fälle solltet ihr euch dazu Gedanken machen und überlegen, wie man dem begegnen kann. Eine geschlossene Gruppe bietet im Vergleich zur offenen mehr Sicherheit, intensivere, und meist verlässlichere Strukturen.

Dasselbe gilt für das erste Treffen, zu dem ihr einladen wollt. Hier könnt ihr entweder gezielt einzelne Menschen einladen, das Treffen öffentlich ankündigen (z.B. über Aushänge oder Flyer) oder die Einladung per Mund-zu-Mund-Propaganda verbreiten – also nach dem Motto: “Ihr seid eingeladen, bringt eure Freund*innen mit, aber postet das Ganze nicht bei Facebook”.

Bei der komplett offenen Einladung habt ihr natürlich das Risiko, dass ihr damit Spitzel oder Cops auf den Plan ruft. Aber es ist eine gute Möglichkeit, Kontakt zu Menschen zu bekommen, die bisher noch gar nicht organisiert sind, aber Lust dazu haben. Alternativ könnt ihr auch einen Vortrag oder eine andere Veranstaltung (z.B. einen Film) zum Thema Anarchismus organisieren und im Anschluss den Anwesenden vorschlagen sich zu organisieren.

Letztendlich hängt das Ganze aber davon ab, was ihr wollt und auch was für eine Ausgangssituation ihr habt. Wenn ihr in der Gegend, in der ihr wohnt, neu seid, keine oder sehr wenige potentielle Anarchist*innen kennt, macht eine offene Einladung vermutlich mehr Sinn.

Bevor ihr zu dem Treffen einladet, braucht ihr eine Örtlichkeit, in der das Treffen stattfinden kann, einen Termin und eine Uhrzeit. Beim Termin solltet ihr darauf achten, dass an dem Datum keine anderen Veranstaltungen sind, die Interessierte davon abhalten könnten, zu dem Treffen zu kommen.

Bei der Location sind, falls vorhanden, ein linkes Zentrum oder selbstverwaltete Räume die beste Wahl. Alternativ könnt ihr auch das Hinterzimmer einer Kneipe oder auch einen Park (im Sommer) wählen. Wichtig ist aber, dass keine Unbeteiligten in unmittelbarer Nähe sitzen, was die Teilnehmer*innen hemmen könnte, frei zu sprechen.

Den Termin für das Treffen solltet ihr circa 2-4 Wochen vor dem Treffen kommunizieren und dann kurz vorher nochmal daran erinnern. Die Einladung sollte, egal ob mündlich oder schriftlich, den Termin, die Uhrzeit, den Ort des Treffens, eine kurze, grobe Vorstellung, was ihr euch von dem Treffen erhofft, und den festgelegten Einladungsmodus (offen, geschlossen, halboffen) beinhalten. Außerdem solltet ihr eine E-Mail Adresse zur Verfügung stellen, unter der die Menschen sich melden können, falls sie Interesse haben, aber zu dem Treffen selbst nicht kommen können.

Das erste Treffen

Für das Treffen bietet es sich an, eine grobe Tagesordnung zu haben, um dem Treffen einen Rahmen zu geben. Da ihr dazu eingeladen habt, solltet ihr auch die Moderation übernehmen und vielleicht ein paar kurze Worte zur Einleitung sagen. Eine Tagesordnung könnte beispielsweise sein:

  • Begrüßung
  • Vorstellungsrunde inkl. was erwarte ich mir von der Gruppe
  • Diskussion und Austausch über die inhaltliche und praktische Ausrichtung der Gruppe
  • Die nächsten Schritte
  • Gibt es noch weitere Menschen, die man einladen kann?
  • E-Mail-Adressen sammeln, Mail-Verteiler einrichten
  • Nächstes Treffen ausmachen
  • Feedbackrunde

Beim ersten Treffen macht es Sinn, erstmal frei zu sprechen und nicht gleich anzufangen, Aktionen zu planen. Es ist wichtig, die Bedürfnisse und Gedanken der anderen zu kennen, damit es nicht später zu Problemen aufgrund unterschiedlicher Vorstellungen kommt. Ein Protokoll des Treffens, das im Anschluss an alle Beteiligten geschickt wird, ist kein Muss, aber kann eine wichtige Hilfe sein. Die nächsten Schritte festzulegen, ist wichtig, damit das Ganze nicht wieder einschläft. Zwar muss das nicht gleich beim ersten Treffen geschehen, aber einen gut überlegten Modus für die weiteren Treffen festzulegen ist sinnvoll. Erfahrungsgemäß sind komplizierte Intervalle nicht förderlich, z.B. an jedem 1. und 3. Dienstag im Monat oder gar jeden 1. Montag und jeden 3. Donnerstag. Wöchentliche Treffen zu einer festen Zeit am selben Ort haben sich am besten bewährt. Viele Gruppen treffen sich sonntags, da es unter der Woche schwer ist, einen gemeinsamen Termin zu finden. Samstags ist eher nicht so gut, da dort oft Aktionen, Demos oder Konzerte stattfinden.

Wenn beim ersten Treffen niemand oder wenige kommen, lasst euch nicht entmutigen. Probiert es weiter oder falls ihr nur 2-3 Leute seid, fangt trotzdem an. Auch mit wenigen Leuten kann man schon einiges bewirken.

Die folgenden Treffen

Bei den folgenden Treffen gibt es viel zu tun. Ihr wollt ja vielleicht zu gemeinsamen inhaltlichen Positionen kommen. Dazu bietet es sich an, gemeinsam ein Gruppenstatement zu verfassen. Je nachdem wie verbindlich ihr organisiert sein wollt, machen natürlich auch strukturelle Absprachen Sinn. Also z.B. wer verwaltet den E-Mail-Account, wie werden Entscheidungen getroffen usw. Ihr könnt natürlich auch warten, ob die Strukturen sich aus der Erfahrung ergeben oder vielleicht sogar gar nicht notwendig sind. Neben diesen trockenen Themen ist es oft hilfreich, recht früh auch eine kleinere Aktion oder eine inhaltliche Veranstaltung zu planen. Sonst besteht die Gefahr, dass Leute abspringen, da ihnen einfach ein konkretes Ziel oder die “Action” fehlt. Aber man sollte auch die inhaltlichen und strukturellen Themen nicht unter den Tisch fallen lassen. Viele (anarchistische) Gruppen leiden an chronischem Zeitmangel und haben Probleme, regelmäßig über diese Themen zu sprechen. Deshalb nehmen sich viele Zeit, um diese Themen an einem Wochenende, an dem man gemeinsam wegfährt, zu besprechen. Solche Gruppenwochenenden sind sehr hilfreich, auch um sich persönlich näher kennen zu lernen und einfach mal Zeit und Raum zu haben ausführlich zu diskutieren.

Stolperfallen für neue Gruppen

Viele anarchistische Gruppen lösen sich schnell wieder auf. Manchmal sind es einfach Umstände, die man nicht verhindern kann, manchmal kann man aber auch von vornherein gegensteuern. Man sollte auf alle Fälle versuchen, bei potentiellen strittigen Themen Kompromisse zu finden, da sich unterdrückte Probleme schnell zu einem ernsthaften Streit entwickeln können. Beispiele dafür wären neben dem Klassiker Israel/Palästina auch Dinge wie Bündnisarbeit, Entscheidungsfindung , informelle Hierarchien, Verbindlichkeit und Verlässlichkeit bei Absprachen. Versucht möglichst oft und ausführlich darüber zu sprechen. Bei vielen Themen bietet es sich an, dass man Meinungsrunden macht, d.h. alle sagen nacheinander ihre Meinung zu dem Thema.

Um Frust vorzubeugen, sollte man bei jedem Top der Tagesordnung die daraus resultierenden Aufgaben und wer das erledigt festzulegen. Sonst kann es sein, dass die Aufgaben von immer den gleichen erledigt werden oder dass ein Thema zwar alle interessant finden, aber eben nicht so, um Zeit dafür zu investieren. Dann kann man das Thema auch fallen lassen und sich auf etwas anderes konzentrieren.

Viele Gruppen haben auch das Problem, dass Menschen wegziehen, sich für andere Themen interessieren und die Gruppe dann immer kleiner wird. Deshalb macht es Sinn, immer früh genug sich als Gruppe Gedanken zu machen wie man neue Leute für die Gruppe gewinnt. Manche Gruppen haben dies als festen Punkt auf ihrer Tagesordnung.

Versucht euch so oft es geht selbst zu reflektieren. Sowohl die gemeinsam durchgeführten Aktionen als auch euch als Gruppe selbst. Machen immer dieselben die verantwortungsvollen Aufgaben? Gibt es ungewollte informelle Hierarchien? Oder werden die Interessen von allen berücksichtigt?

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