Diskussionsbeitrag: Warum wir den Bruch mit der autoritären Linken wollen

Der Text ist in der aktuellen GAIDAO Nr. 57 (Zeitschrift der Föderation Deutschsprachiger Anarchist*innen) erschienen.

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von: Einige Anarchist*innen aus Dortmund

Unser Text „Bruch mit der autoritären Linken“ vom 16.07.15. hat eine große Welle von Diskussionen und Feedback zu der von uns angeschnittenen Thematik ausgelöst. Ein überwiegend positives Feedback bekamen wir von uns nahestehenden Genoss*innen und auch darüber hinaus aus der anarchistischen Bewegung. Jedoch wurden wir dabei auch auf einige Schwächen des Textes aufmerksam gemacht. Eine kritische Auseinandersetzung mit dem Text kam von unseren Genoss*innen der Anarchistischen Initiative Kaiserslautern. Auf diese werden wir uns im Folgenden unter anderem beziehen. Natürlich gab es auch über das anarchistische Spektrum hinaus Diskussionen über den Text (wahrgenommen haben wir das aus Antifa-Gruppen in Dortmund). Kritikpunkte waren unserer Wahrnehmung nach vor allem folgende:

– Vorwurf identitären Verhaltens
– noch stärkere Isolation der anarchistischen Bewegung
– Vorwurf autoritären Verhaltens unserseits
– fehlende Definition: Autoritär-antiautoritär
– fehlende Ausdifferenzierung von verschiedenen autoritären Strömungen
– durch einen Bruch werden wir weniger handlungsfähig

Zunächst einmal sollte klar sein, dass unser Text gemessen an seiner Länge und an der Kürze der Zeit, in der dieser geschrieben wurde, nicht alle Aspekte ausführen kann, die es zu beachten gäbe, und zwangsläufig verkürzt ist. Uns ging es in erster Linie darum einen Diskurs anzustoßen, was ja auch erreicht wurde. Nun wollen wir den Diskurs fortführen.

Autoritär vs. antiautoritär

Der Kritikpunkt, wonach wir nicht ausgeführt haben, was wir unter autoritär bzw. antiautoritär verstehen, ist berechtigt.

Autoritär ist für uns ein weitgefasster Begriff, der viele verschiedenen Gruppierungen umfasst.
Allgemein gesagt sind dies alle Gruppierungen, die eine Autorität für alle Menschen darstellen wollen und/oder die sich an der Erhaltung und Neugestaltung von Herrschaftsinstitutionen aktiv beteiligen. Konkret bedeutet das Gruppen, die staatliche Institutionen nutzen (wollen) bzw. die staatliche Macht erobern wollen, sei es durch Wahlen oder durch eine politische Revolution. Außerdem religiöse Gruppierungen mit missionarischem und alleinigem Wahrheitsanspruch. Oder Kapitalist*Innen, welche vielleicht weniger Staat fordern, aber mehr Markt/Kapitalismus wollen.
Diese Liste ließe sich noch auf viele weitere Herrschaftsstrukturen erweitern. All diesen Gruppierungen ist eins, dass sie in ihrem Weltbild, ihrem Handeln und ihren Zielen Zwang eine elementare Rolle spielt.

Klar ist für uns aber auch, dass all diese Gruppen Unterschiede haben und damit auch unterschiedlich von uns zu bewerten sind. Mit „Für uns verläuft die Trennlinie nicht zwischen links-rechts, sondern zwischen autoritär-antiautoritär. Parlamentarische Kategorien sind keine in denen wir argumentieren“ meinten wir keineswegs eine Gleichstellung von autoritär-linken mit autoritär-rechten Gruppen. Es ist natürlich klar, dass wir mit dem Islamischen Staat oder der NPD (ohne das gleichsetzen zu wollen) keinerlei Anknüpfungspunkte sehen, während sie mit z.B. der Linksjugend Solid durchaus existieren (können). Autoriät ist kein feststehender Begriff für bestimmte Gruppierungen, sondern es muss immer wieder neu bewertet werden (und so auch inwieweit man mit bestimmten Gruppen zusammenarbeitet).

Zur Einordnung möchten wir unterscheiden, dass es durchaus Unterschiede zwischen hierarchischen und autoritären Strukturen geben kann (vor allem Organisationen, die keine ausgeführte Weltanschauung vertreten, bspw. Amnesty International, Greenpeace oder Attac sind in unserer Einordnung hierarschisch organisiert, aber erstmal nicht autoritär).

Die Definition darüber liegt nicht allein bei uns, sondern kann nur über einen ständigen Diskurs bestimmt werden. Dabei können auch historische Überlieferungen von antiautoritären Bewegungen hilfreich für eine Einordnung sein. Zum Beispiel könnten die Erfahrungen von Anarchist*Innen in der Sowjetunion mit den Bolschewiki dienen. Besonders heraus stechend ist die Niederschlagung des Kronstädter Matrosenaufstands durch die Rote Armee von Trotzki angeführt, welcher auch heute noch die zentrale Figur der SAV ist.

Was meinen wir also konkret mit einem Bruch?

In erster Linie geht es darum Differenzen aufzuzeigen und zu benennen. Es geht keinesfalls um eine Abkapselung von allem was sich nicht anarchistisch labelt, sondern gerade darum den Diskurs zu suchen. Dabei ist aber wichtig, dass wir als anarchistische Bewegung organisatorisch unabhängig bleiben. Wie können wir Parteien, die wir eigentlich überwinden wollen effektiv stören, wenn wir von diesen abhängig sind? Stattdessen sehen wir z. B. in Griechenland, dass selbst Anarchist*Innen und besonders andere Basisbewegungen Hoffnungen und Kapazitäten in das Spektakel der Macht legen. Wir wehren uns mit einem Bruch gegen jegliche Vereinnahmung auch von autoritär-linken Gruppierungen.

Was ein Bruch für jeden Einzelnen von uns bedeutet, wollen wir nicht vorgeben, sondern liegt im Ermessen jedes Einzelnen. Im letzten Text haben wir dafür bereits Vorschläge aufgeführt:

– Grundlegende anti-autoritäre Ausrichtung
– eigene Position bei Aktionen deutlicher herausstellen
– generellen Diskurs zu autoritärem Sozialismus/Kommunismus anstoßen
– autoritäre Gruppen aus emanzipatorischen Zusammenhängen/Strukturen ausschließen
– Uns ist bewusst, dass es an der Basis von vielen autoritären Gruppierungen einige Menschen gibt, die unseren Ideen nahe stehen oder neu politisiert wurden. Es kann also nicht darum gehen, gegen einzelne Leute offensiv vorzugehen, sondern mit Fingerspitzengefühl und der Situation angemessenen Methoden sich deren Ideologie entgegen zu stellen, um sie möglicherweise auch mit unseren Inhalten zu erreichen und das Erstarken von autoritären Strukturen zu verhindern.
– unseren Diskurs in nicht gefestigte autoritäre Strukturen bringen

Jetzt wollen wir noch auf weitere Punkte eingehen, die in dem Text der Genoss*innen von der Anarchistischen Initiative Kaiserslautern aus der GAIDAO Nr. 56 erwähnt werden.

Diese schreiben: „Vorweg: Wir finden es fragwürdig, alles was hierarchisch ist, generell als autoritär abzutun, da dies die Bedeutung des Wortes autoritär verringert und eine Unterscheidung schwierig macht. Zum Beispiel besteht für uns ein Unterschied zwischen der Regierung der AKP von Erdogan und der Regierung der BRD. Da wir dies hier jedoch nicht diskutieren wollen, belassen wir es im vorliegenden Text der Einfachheit halber bei der Trennung zwischen autoritärer und antiautoritärer Linker.“

Wir finden nicht, dass das Wort „autoritär“ durch unsere Nutzung abgeschwächt wird. Das Wort wie es in dem Text aus Kaiserslautern genutzt wird kommt unserer Meinung aus einem demokratischen Diskurs. Denn dort wird zwischen guten, demokratischen Staaten und bösen autoritären Regimen unterschieden. Klar gibt es Unterschiede zwischen verschiedenen Staaten was zum Beispiel Meinungs- und Pressefreiheit angeht, jedoch verwischt der demokratische Diskurs auch viele Gemeinsamkeiten um sich selbst als fortschrittlich darzustellen. Die wahre Fratze der demokratischen Staaten zeigt sich vor allem in der gewissenlosen wirtschaftlichen und politischen Zusammenarbeit mit „autoritären Regimen“. Es gibt ja auch noch andere Worte um verschiedene Regierungsformen zu unterscheiden bzw. diese lassen sich kaum in einem einzigen Wort beschreiben.

„Keine Solidarität mehr mit autoritären Gruppen?”

Das muss von Fall zu Fall unterschieden werden. Klar sollte sein, dass z. B. unsere Solidarität mit Gefangenen von autoritären Gruppen immer eine kritische sein wird. Ungeachtet dessen streben wir ja trotzdem eine Welt ohne Knäste an. Darüber hinaus ist uns nicht ganz klar, was genau in diesem Fall mit Solidarität gemeint ist?

„Für jeden Anlass eigene Flyer schreiben?”

Ja auf jeden Fall, wenn dazu Kapazitäten da sind. Immerhin wollen wir ja anarchistische Inhalte verbreiten. Oder?

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Die eigene Handlungsfähigkeit

Ein weiterer Kritikpunkt war, dass wir unsere Handlungsfähigkeit (um z.B. Abschiebungen zu verhindern oder die Auswirkungen der Finanzkrise abzuwehren) verringern.

Erst einmal sind das ja alles Einzelfallabwägungen mit wem und wie weit man zusammenarbeitet. Bei der Blockade einer Abschiebung spielt es eher eine untergeordnete Rolle, wo genau die Leute jetzt organisiert sind. Und falls Menschen entsprechende Symbolik mit sich führen sollten, kann man dies ja thematisieren.

Die Auswirkungen der Finanzkrise kann niemand abwehren, man kann nur den Konflikt mit den Institutionen, die uns die Mittel zum Leben nehmen schüren und vertiefen. Parteien, die nicht die grundlegenden Ursachen des Kapitalismus angreifen wollen (Lohnarbeit und Eigentum) können die Auswirkungen der Krise höchstens etwas zurückschieben, oft nicht mal das (Syriza).
=> Eine enge Zusammenarbeit mit scheinbaren Lösungen (Partei XY kämpft auch gegen Austerität) schwächt jedoch unsere Position, da wenn diese Ideen diskreditiert ist (OH Partei XY macht das doch nicht mehr), sind es unsere oftmals gleich mit.

„Außerdem ist unseres Erachtens die Gefahr einer Isolierung für die Antiautoritären durch einen Bruch mit der autoritären Linken groß.“

Wir sind erstmal schon dadurch isoliert, dass wir Anarchist*Innen sind (gibt ja nicht soviele im deutschsprachigen Raum). Diese Isolation ist erstmal kein Problem, sondern die Chance etwas anderes aufzuzeigen. Durch die Vermengung unserer „isolierten“ Position mit entgegenstehenden Ideen heben wir vielleicht die Isolation auf, schwächen aber unsere eigene Position. Damit versinkt der Anarchismus als eine linke Idee, von der andere sich vielleicht ein zwei Sachen abschauen. Als eigenständige Utopie wird er dann aber nicht mehr wahrgenommen, wir bleiben ein Flügel unter vielen linken Ideen.

„Doch Brüche mit diesen oder jenen lösen keines unserer Probleme oder bringen mehr Menschen unsere Ideen nahe, geschweige denn, dass mehr Menschen anfangen, sich in libertären Projekten zu engagieren.“

Unsere eigene Position explizit darzustellen, führt eher dazu, dass Leute wenn sie anarchistische Ideen gut finden, die Schwerpunkte ihrer politischen Arbeit genau dahingehend ändern. Denn ansonsten ist ja alles unserer „gemeinsamen Sache“ zuträglich. Dann kämpfen Jusos und Anarchist*Innen für das gleiche Ziel und es besteht gar kein Grund dafür, aus den Jusos auszutreten und anarchistische Projekte zu verfolgen. Darüber hinaus sind wir auch insofern nicht auf autoritäre Linke Gruppen angewiesen, als dass es zu verschiedenen Themen andere potentielle Bündnispartner*innen gibt. Die eben nicht zwingend im linken Sumpf liegen müssen, wie z. B. Bürger*innen-Initativen, Mietervereine, Gewerkschaften, Nachbarschaftshilfen, Naturfreunde, basisdemokratische Gruppen usw.

„Kritisch-solidarische Aktionen könnten dazu beitragen unsere Ideen zu verbreiten und eine kritische Auseinandersetzung mit den bestehenden Strukturen fördern, sowie unseren eigenen, schon bestehenden Projekten, Aufmerksamkeit zukommen lassen. Wir sprechen dabei aber nicht davon, dass wir in die bestehenden Organisationen eintreten sollten, um unsere Ideen zu verbreiten.“

Genau in eine solche Stoßrichtung ging auch unser Text.

Wir freuen uns auch bei diesem Text über solidarische Kritik, hoffen die Ideen aus unserem vorherigen Text deutlicher dargestellt zu haben und würden uns über weitere Diskussionsbeiträge auch hier in der GaiDao freuen.

Weitere interessante Beiträge zu Griechenland, die seit unserem Text erschienen sind, findet ihr hier: https://linksunten.indymedia.org/de/node/149997
http://agdo.blogsport.eu/2015/08/06/syriza-chronik-eines-linken-selbstmords/

Zum Originalbeitrag