„Welche Rolle spielen Solidarität und Selbstorganisierung?“ – Offener Brief des Syndikat Kultur
Am 1. und 2. Juni 2016 findet in Leipzig der 3. Fachtag Bildende Kunst in der Galerie für zeitgenössische Kunst (GfzK) statt. Dieser wird organisiert vom Landesverband Bildende Kunst (LBK) Sachsen, der sich als Interessenvertretung für Künstler_innen versteht. Auf das Programm reagiert das „Syndikat Kultur“ mit folgendem Brief:
Sehr geehrte Damen und Herren,
als Künstler_innen und Kulturschaffende der Landeshauptstadt, haben wir die Bekanntmachung des 3. Fachtags Bildende Kunst Sachsen zuerst mit Interesse, dann auch mit Schrecken zur Kenntnis genommen. Der Titel „Kunst und Öffentlichkeit – Dispositive zwischen Verein, Initiative und Institution“ spricht Fragen an, mit der wir uns im täglichen Arbeiten konfrontiert sehen: Wie kann eigenständige Kunst entstehen und der Gesellschaft zugänglich gemacht werden, wenn die ökonomische Situation von Künstler_innen oft prekär ist und das Versprechen von Individualität letztlich zur Vereinzelung im Daseinskampf führt? Welche Rolle spielen Solidarität und Selbstorganisierung? Um unsere Enttäuschung beim Lesen des Ankündigungstextes ein wenig genauer zu erläutern, gehen wir auf einige der Formulierungen aus dem Faltblatt näher ein:
„Einerseits ist ein dynamischer Zuwachs im Feld der bildenden Kunst wünschenswert, andererseitswird auch ein Verlust von Übersicht und Qualität beklagt.“
Wer klagt? Fakt ist, es gibt zu Wenig (Geld) für zu Viele (Künstler_innen). Wer soll sich denn da noch zurechtfinden? Gute Kulturpolitik offensichtlich nicht. Glücklicherweise gibt es – „(d)a es sich hier nach wie vor um einen Angebotsmarkt handelt.“ – das regulierende Prinzip von Angebot und Nachfrage. Die unsichtbare Hand des Marktes regelt das dilettantische Chaos.
Die Vorstellung, dass das Angebot sich bitteschön nach der Nachfrage zu richten habe und sich das durchsetzt, was „der Markt“ fordert, sind Versatzstücke neoliberaler Ideologie. Spätestens mit Margaret Thatcher hat sich der Glaube an den vollkommenen Wettbewerb auf Konkurrenzmärkten und das Outsourcing öffentlicher Leistungen in die Privatwirtschaft auch als politisches Mantra etabliert. Die Frage die sich uns stellt ist, ob Kunst und Kultur wirklich handelbar sind oder sein sollen? Sind sie nicht eher fundamental für eine Gesellschaft und müssten damit allen zugänglich sein?
„Wie können Kunstvereine ihrem Anspruch als beteiligungsorientierte Experimentierfelder für Neues, heute gerecht werden und wie ist mit der Gefahr umzugehen, in eine Art institutionelle Starre und Musealisierung zu verfallen?“
Institutionen, welche aufgrund konstanter Fördermittel langfristig planen und arbeiten können, passen nicht zur Forderung nach „Flexibilität“, „Kreativität“ und „Innovation“. Wie auch in anderen Kontexten sichtbar wird, ist permanentes Hinterfragen der eigenen Markttauglichkeit das Grundrauschen einer spätkapitalistischen Gesellschaft geworden. Konkurrenz fordert und fördert Fortschritt und Spezialisierung, aber auch Burnouts, Ungenauigkeit und Konformismus. Kleine, selbstorganisierte Gruppen und Vereine taumeln unter dem Zwang, ständig aufs Neue zeitlich begrenzte Projektförderungen an Land zu ziehen. Welche Organisationsformen und vor allem welche Kunst dem Anspruch permanenter „Selbstoptimierung“ (im Text eher als erstrebenswerter Zustand propagiert) genügen, bleibt offen.
Einige Gedanken am Schluss: Selbstorganisation birgt für uns nach wie vor ein Versprechen, das mehr ist als der „Start in die erfolgreiche, öffentlichkeitswirksame Künstlerkarriere“. Sie ist dabei keine Alternative zu öffentlicher Kulturförderung, sondern politische Sprach- und Aktionsform einer Berufsgruppe. Wir sind der Meinung, dass es eine stärkere Solidarisierung, Vernetzung und Organisierung unter Freischaffenden geben muss, um das Fortbestehen einer eigenständigen, gesellschaftlich relevanten Kunst zu gewährleisten.
Es grüßt,
Das Syndikat Kultur