Unser Fazit der Aktion #LeipzigerAutofrei am 21.09.

von IABF, einer Anarchistischen Bewegungsinitiative in Frankfurt a.M.

Die Leipziger Straße im Frankfurter Stadtteil Bockenheim, in dem auch wir als Anarchistische Bewegungsinitiative aktiv sind, ist einer der lebendigsten Orte Frankfurts. Hier befindet sich nicht nur, wie es oft dargestellt wird, eine der „Einkaufsstraßen“ der Stadt. Diese Darstellung vernebelt den Blick darauf, was diesen Teil der Stadt wirklich ausmacht. Gerade auch die Nachbar*innenschaft und die selbstverwalteten Räume wie das ExZess, das Offene Haus der Kulturen oder auch das Stadtteilbüro prägen das Leben vor Ort.

Die Kultur untereinander ist eine freundliche und unterstützende. Nicht zuletzt bei den rechten Brandanschlägen 2018 hat sich das gezeigt. Der Stadtteil ist vernetzt und organisiert, Proteste von Mieter*innen gegen Verdrängung und Mobilisierung gegen Gentrifizierung und die allgemeine Inwertsetzung entfalten regelmäßig ihr Potential.

Während wir die Lebendigkeit des Stadtteils vor allem im Gebiet der Leipziger Straße täglich erleben, wird sie spürbar durch immer mehr Autos gestört. Sind auf alten Bildern des Stadtteils noch nur einzelne Autos zu sehen, prägen sie heute das Straßenbild. An der Stelle, wo in unseren Träumen Bäume die Straße zieren, zieht sich eine nicht endende Reihe an umweltverpestendem Blech über den nahezu durchgängigen Parkstreifen der Straße. Lieferwägen stehen in zweiter Reihe. Fahrräder müssen ausparkenden Autos ausweichen, die wohl selbst durch all die anderen parkenden Autos kaum noch etwas von der Straße sehen. Nicht zuletzt Fußgänger*innen, Menschen in Rollstühlen oder mit Kinderwägen, sind bei jeder Straßenüberquerung gefährdet. Wir beobachten diese Zustände jeden Tag und sehen traurig, was das manchmal mit Menschen macht, wenn sie vom Verhalten der jeweils anderen aufgebracht nicht mehr aufeinander achten.

Wie viel schöner das Leben auf dieser Straße sein kann, haben wir am heutigen Tag erleben dürfen, als wir zum ersten Mal gemeinsam mit insgesamt drei Blockadepunkten den Großteil der Leipziger Straße für den Autoverkehr gesperrt haben. Die Stimmung war so entspannt und ausgelassen, wie wir es bisher selten erlebt haben. Viele Menschen nutzten statt der engen Gehwege direkt die Straße und kamen miteinander ins Gespräch.

Auch wir hatten viele unterschiedliche Gespräche mit unseren Nachbar*innen und anderen Menschen, die während der Aktion auf der Leipziger Straße unterwegs waren. Uns hat natürlich interessiert, wie die durchaus sehr verschiedenen Menschen im Stadtteil auf unsere Vorschläge reagieren und wie sie die heutige Aktion wahrnehmen. Nicht jedes dieser Gespräche haben wir selbst angefangen, viele Menschen kamen auch auf uns zu und wir haben weit mehr als einmal den Wunsch gehört, dass die Straße jeden Tag so aussehen sollte.

Es gab einige Situationen, in denen wir versucht haben, über mögliche Perspektiven zu sprechen. Dabei wollten wir auch die Bedürfnisse von anderen Anwohner*innen abfragen. In diesen Gesprächen sind wir von der Deutlichkeit und Stärke des Wunsches nach einer autofreien Straße oder gar Stadt, überrascht worden. In unseren Überlegungen ist auch die Frage enthalten, wie wir mit Parkplätzen von und für Anwohner*innen umgehen könnten. Die Antworten von vielen Anwohner*innen waren jedoch unmissverständlich und klar: Sperren. Einfach sperren. Es gibt genug andere Möglichkeiten und diese Straße hat es nötig, so weit wie nur irgendwie möglich autofrei zu werden. Und wir dachten, wir wären radikal. Mit der bodenständigen Deutlichkeit unserer Nachbar*innen können aber auch wir manchmal schwer mithalten.

Gespräche haben wir aber nicht nur mit Menschen geführt, die zu Fuß oder auf dem Rad unterwegs waren. Leider gab es in einigen Gesprächen mit Autofahrenden recht wenig Verständnis für die Aktion, wobei die allermeisten nicht aus den umliegenden Straßen selbst kamen. Trotzdem schien es eine unvorstellbare Zumutung zu sein, jetzt diese eine Straße nicht nutzen zu dürfen. Wir sagen: Die Privilegien, die Autos noch haben, werden nicht mehr lange haltbar sein.

Es gab aber auch andere Erlebnisse mit Autofahrenden. Eine*r unserer Aktivist*innen erzählte nicht wenig überrascht, nach dem Verteilen der Aktionsflyer an Autofahrende auf der gesamten Leipziger Straße und einigen Gesprächen: „Wow, ich bin gerade über die komplette Leipziger gelaufen und wurde kein einziges Mal blöd angemacht.“ – Im Gegenteil gab es an dieser Stelle viel Zuspruch und ermutigende Worte. Es scheint, als wären mehr autofahrende Menschen als gedacht bereit für die unmittelbar notwendige Verkehrswende. Das gibt uns Hoffnung, denn nur gemeinsam sind wir den kommenden Herausforderungen gewachsen.

Umso überraschender fällt für uns die harte Reaktion der Polizei als zuständige Repressionsbehörde auf. An dieser Stelle ist es eigentlich recht schwer, eine Gefahr für die öffentliche Ordnung zu konstruieren oder auf die vermeintliche Gefahr durch unkontrollierbare Linke und ihre Zerstörungswut zu verweisen. Kurz gefasst also die Tricksereien, mit denen ansonsten die Willkür der polizeilichen Maßnahmen gerechtfertigt und die öffentliche Meinung geprägt werden soll. Grundsätzlich erwarten wir nicht viel anderes. Unsere langjährige Erfahrung mit einer Vielzahl an mal mehr, mal weniger offensichtlichen Hinhalte- und Unterdrückungsmethoden lässt uns keine andere Wahl. Es ist schlicht die Aufgabe im Sinne ihrer Funktion, Bewegungen zu zerschlagen, die eine potentielle Veränderung der Gesellschaft anstreben oder gar erreichen könnten. Ganz unabhängig davon, dass diese Funktion womöglich selbst bei der Polizei nicht allen ganz so klar sein dürfte und vermutlich auch nicht alle dort diese mittragen würden. Nur die Unprofessionalität des Vorgehens der Polizei und ihre juristisch nicht haltbaren Einschüchterungsversuche gegen Fridays For Future am heutigen Tag, sind uns wirklich schleierhaft. Verantwortlich dafür war der selbe Einsatzleiter wie während der gestrigen Großdemonstration und der anschließenden symbolischen Besetzung der Paulskirche. Es scheint ganz, als hätte sich dabei einiges an Frust darüber angehäuft, keine Möglichkeiten zu haben, Menschen für die Aktionen zu bestrafen und abzuschrecken. Mit der deutlich schwächeren Medienpräsenz heute, haben sich die öffentlich gut laufenden Aktionen für den Nachholbedarf an Repression angeboten.

Während der heutigen Aktion hat sich die Polizei jedoch nicht nur gegen einige ihrer politischen Gegner*innen gewandt, sondern gegen einen gesamten Stadtteil. Das sollte klar und deutlich ausgesprochen werden. Die Empörung kommt nicht nur von uns, die diesen Tag geplant und gestaltet haben, sondern auch von vielen Nachbar*innen, die die Maßnahmen mitbekommen haben und voller Unverständnis für das, was passierte, auf uns zugekommen sind.

Es gab keinerlei Anlass, die Blockaden zu räumen, der Verkehr lief einwandfrei um die Leipziger Straße herum. Wir konnten mit diesem erstmaligen Versuch die Möglichkeiten aufzeigen, die Reaktionen waren für uns eindeutig positiv.

Wir sind weiterhin solidarisch mit unseren Freund*innen und Gefährt*innen von Fridays For Future und werden mit ihnen gemeinsam diese Zeit durchstehen. Mit steigender Wirksamkeit und Erfolg steigt oft auch die Repression. So nervig das ist, zeigt es gleichzeitig, dass wir ernst genommen werden.

Letztlich ist der Vorschlag einer autofreien Leipziger Straße auch schlicht kein Ding der Unmöglichkeit. Die Straße bietet sich dafür regelrecht an. Es gibt haufenweise Möglichkeiten für unterschiedlichste Umsetzungen und Umfahrungen. Um aber wirklich etwas für das Klima zu bewirken und nicht nur das Leben an einem vergleichsweise kleinen Ort zu verbessern, braucht es mehr. Die Perspektive muss hin zu einer gesamten autofreien Stadt gehen, daher verwundert uns das viele Gejammere und Zögern der Politik in dieser Angelegenheit erst recht. Es ist wirklich nicht so schwierig, die „große“ Politik soll sich mal nicht so anstellen.

Da wir aber nicht auf euch warten, werden wir uns weiter für eine solidarische Stadt von Unten einsetzen. Wir werden gemeinsam mit unseren Nachbar*innen unsere Wünsche und Bedürfnisse austauschen und für alle tragbare Lösungen aushandeln. Für Veränderung müssen wir uns selbst organisieren, es reicht nicht auf die Lösung der Probleme durch irgendeine Obrigkeit zu warten. Wir gemeinsam sind die Veränderung. Gehen wir es an!

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