NSU: 5 Jahre danach – viele offene Fragen
Im November 2016 jährte sich die Selbstenttarnung des NSU zum 5. Mal. Schon lange ist das Thema “Nationalsozialistischer Untergrund” nicht mehr in der Öffentlichkeit präsent. Die wenigen Artikel in den bürgerlichen Medien über den “Münchener NSU-Prozess” gegen Beate Zschäpe folgen der richterlichen Linie die Hintergründe des NSU nicht aufklären zu wollen. Das Gericht produziert immer und immer wieder die Botschaft: Der NSU bestand aus drei Personen. Zwei davon sind tot (Böhnhard und Mundlos), die dritte (Zschäpe) ist gefasst. Damit sei die Situation unter Kontrolle. Die Frage nach weiteren militanten Mitgliedern und Unterstützer*innen des NSU stelle sich nicht.
Dies ist nur ein Aspekt in einem Geflecht von offenen Fragen und unaufgearbeiteten Geschehnissen: Die Rolle des Verfassungsschutzes und der Polizeibehörden, der strukturelle Rassismus der staatlichen Institutionen und der Gesellschaft als Ganzes, das Weiterbestehen bewaffneter rechter Strukturen… die Liste ließe sich fortführen.
Nicht zuletzt hatten die drei bekannten NSU-Mitglieder Böhnhard, Mundlos und Zschäpe auch in der Region Ludwigsburg enge persönliche Kontakte zu bewaffneten Nazis, wie u.a. die Adressen auf der “Garagenliste” belegen.
Aus diesen Gründen haben wir am Samstag den 17.12.16 in der Ludwigsburger Innenstadt auf die ungeklärte Situation in Bezug auf die NSU-Thematik aufmerksam gemacht – durch Flyer, einem Transpi, Stellwand (auf der exemplarisch viele offene Fragen sowie keine geklärten Zusammenhänge zu sehen waren) sowie einem Infotisch mit weiterem Material. Auch wenn die Reaktionen der Mehrzahl der Passant*innen eher desinteressiert waren, konnten wir mit ein paar Interessierten ins Gespräch kommen.
Kein Vergeben, kein Vergessen!
Für eine befreite Gesellschaft ohne Rassismus und andere Unterdrückungsformen!
Unterstützt die Leute vom NSU-watch!
www.nsu-watch.info/
Das es gerade Probleme bei wordpress beim Hochladen von Bildern gibt, kannst du weitere Bilder hier ansehen: https://linksunten.indymedia.org/de/node/199562
Im Folgenden dokumentieren wir noch den Flyertext:
NSU – 5 Jahre danach
Im November 2016 jährte sich das Bekanntwerden des sog. „Nationalsozialistischen Untergrund“ (kurz: NSU) zum fünften Mal. Von 1998 bis 2011 beging die rechtsterroristische Gruppierung nach aktuellem Kenntnisstand insgesamt mindestens 10 Morde, drei Bombenanschläge und mehrere Raubüberfälle. Seitdem wurden mehrere Untersuchungsausschüsse eingerichtet, um Gewalttaten des NSU aufzuklären und zu ergründen wie dieser so lange im Untergrund morden konnte. Außerdem hatten sie zum Ziel, das Verhalten von Behörden des Bundes und der jeweiligen Bundesländer in Bezug auf den “NSU” aufzuklären.
Doch was ist seither passiert?
“Alle großen Fragen sind nach wie vor unbeantwortet: Wie groß war diese rechtsterroristische Vereinigung wirklich? Wer hat sie unterstützt? Wie hat sie sich finanziert? Warum hatte der Verfassungsschutz so viele Informant_innen im Umfeld und wusste trotzdem nichts über die Morde? Hätten Morde verhindert werden können?” fragt der Nebenklageanwalt Carsten Ilius.
“Ermittlungspannen”, “Versäumnisse”, “Fehlschläge” sind einige der Wörter welche häufig fallen, wenn es um die Rolle der staatlichen Institutionen wie Polizei und Verfassungsschutz im Hinblick auf die rechtsterroristische Vereinigung geht.
Begriffe die, vor allem in Kombination mit der jahrelangen Diffamierung der hinterbliebenen Familien der Ermordeten, mehr als zynisch sind. Denn anstatt auf berechtigte Hinweise für einen rassistischen Hintergrund einzugehen (9 von 10 Ermordeten hatten eine Migrationsgeschichte), wurden die Familienmitglieder jahrelang verdächtigt, überwacht, beschuldigt und öffentlich gedemütigt.
Eine Sensibilisierung für rassistische Strukturen in Polizei und Justiz sieht Ilius auch 5 Jahre nach Bekanntwerden des NSU nicht: “Nicht nur, dass der strukturelle Rassismus während der Polizeiermittlungen nicht reflexiv behandelt wird – im NSU-Prozess hat sich auch kein einziger Polizist bei den Angehörigen entschuldigt. Das sagt sehr viel aus.”
Deshalb fordern wir:
BEKÄMPFUNG VON ALLTÄGLICHEM RASSISMUS IN GESELLSCHAFT,POLITIK UND INSTITUTIONEN!
VOLLSTÄNDIGE AUFKLÄRUNG DER VERSTRICKUNG VON INLANDSGEHEIMDIENST UND POLIZEIBEHÖRDEN!
ABSCHAFFUNG DES VERFASSUNGSSCHUTZES!
EINE THEMATISIERUNG UND SENSIBILISIERUNG INNERHALB DER GESELLSCHAFT!
FÜR EINE BEFREITE GESELLSCHAFT OHNE RASSISMUS UND ANDEREN UNTERDRÜCKUNGSFORMEN!
Was hat das mit Ludwigsburg zu tun?
Die Darstellung von Rechtsterroristen als isolierte, unorganisierte und verwirrte Einzeltäter_innen lässt schnell den Eindruck entstehen, dass es keine organisierte Neonazistrukturen und damit auch keine reale Bedrohung von Rechts gäbe. Jedoch hätte sich der NSU, ohne Unterstützung, nicht in diesem Maße organisieren, vernetzen, erstarken und sogar morden können. Die Unterstützung erfolgte auf verschiedensten Ebenen durch Einzelpersonen, Gruppen und Strukturen.
»Wir waren vor allem über die Waffen, die sie alle haben, erstaunt – fast schon ein kleiner Waffenladen.«
Auch im Raum Ludwigsburg pflegte der NSU bereits Anfang der 90er Jahre intensive Kontakte u.a. zu Personen aus dem Umfeld des militanten Neonazinetzwerkes „Blood and Honour“. Das wird auch durch die Telefon- und Adressliste deutlich, welche im Januar 1998 in einer, von Beate Zschäpe angemieteten Garage in Jena gefunden wurde. Auf dieser befanden sich u.a. Nummern von Kontaktpersonen aus Ludwigsburg. In einem Brief schwärmte Uwe Mundlos von der beträchtlichen Anzahl an Waffen seiner schwäbischen Kameraden: »Wir waren vor allem über die Waffen die sie alle haben erstaunt – fast schon ein kleiner Waffenladen.«
Des Weiteren existieren Fotos von Beate Zschäpe vor dem Ludwigsburger Schloss sowie von Partys in der Ludwigsburger Naziszene aus dem Jahr 2004. Ludwigsburg ist in der rechte Szene leider schon lange ein Hotspot.
1991 gründeten sich beispielsweise die »Kreuzritter für Deutschland« in Ludwigsburg, die maßgeblich am Import von „Blood&Honour“ nach Deutschland wirkten. Das „Blood and Honour“ – Netzwerk ist dafür bekannt neonazistische Ideologien zu verbreiten und ihre menschenverachtende Weltanschauung mit allen Mitteln durchzusetzen (bspw. Volksverhetzung, Neonazi-Konzerte, militante Untergruppen wie Combat 18…). Sie sind bundesweit und auf internationaler Ebene organisiert und gefährlich effektiv vernetzt. In Deutschland ist das „Blood and Honour“ – Netzwerk seit 2000 verboten. Doch noch heute trifft sich die Führungsriege jährlich in Ludwigsburg, wo führende Nazi-Aktivisten und NSU-Unterstützer im Landkreis wohnen.
Auch wenn die Gefahr des NSU vermeintlich gebannt ist, existieren und agieren die unterstützenden Strukturen weiterhin.
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