Herrschaftszeiten! Eliten und Elitenbildung in Burschenschaften und Studentenverbindungen.
Vom 23.-25.11.2012 findet in der Sängerhalle Untertürkheim ein außerordentliches Treffen des ultrarechten Vachverband „Deutschen Burschenschaft“ statt. Ziel ist es in Ruhe die internen Querelen zu lösen. Denn seit mehreren an die Öffentlichkeit gelangten Skandalen, wie etwa dem Versuch eine Art „Ariernachweis“ im Verband einzuführen, steht die „Deutsche Burschenschaft“ in der öffentlichen Kritik.
Nachdem es in unserem ersten Text „Braune Burschenschafter – die „Deutsche Burschenschaft“ und die extreme Rechte“ um rechte Tendenzen in der „Deutsche Burschenschaft“ ging, befassen wir uns im Folgenden näher mit Eliten und Elitenbildung in Burschenschaften und Studentenverbindungen.
Kommt alle am 24.11.2012 um 12 Uhr auf den Carl-Benz-Platz in Untertürkheim
10:20 Uhr Hbf Tübingen
Zugtreffpukt zur gemeinsamen Fahrt nach Stuttgart für alle aus Tübingen
10:30 Uhr Hbf Reutlingen
Zugtreffpukt zur gemeinsamen Fahrt nach Stuttgart für alle aus Reutlingen
Herrschaftszeiten!
Eliten und Elitenbildung in Burschenschaften und Studentenverbindungen.
„Je wichtiger die gesellschaftliche Position, desto eher ist diese mit einem Mann aus dem Milieu des gehobenen und (konservativ eingestellten) Bürgertums besetzt.“
Die These des Politikwissenschaftlers Stephan Peters soll als Einstieg in die nähere Betrachtung von korporierten Netzwerken, Seilschaften und Beziehungen dienen. Denn obwohl die Zahl der Verbindungsstudenten in Relation zur Gesamtzahl der Studierenden lächerlich gering ist (weniger als 2% gehören einer Verbindung an), rekrutieren sich etwa 20% aller Vorstandsvorsitzenden in Deutschland aus studentischen Verbindungen.
Ein Blick auf die Liste der alten Herren aus Tübinger Verbindungen zeigt, dass auch heute noch überdurchschnittlich oft gesellschaftliche „Eliten“ aus den Kreisen der Verbindungen entstehen. Günther Oettinger (Landsmannschaft Ulmia), Kurt-Georg Kiesinger, Heiner Geißler (beide K.St.V. Alamannia), Wolfgang Schuster, Klaus Kinkel (beide A.V. Guestfalia) und Helmut Lemke (A.V. Stuttgardia) sind nur einige Spitzenpolitikern konservativ-bürgerlicher Parteien der jüngeren Geschichte die sich aus dem Kreis der Tübinger Korporationen rekrutieren.
Dass Mitglieder von studentischen Verbindungen auffällig oft in einflussreiche Positionen aufsteigen ist kein Zufall, sondern seit ihrer Gründung erklärtes Ziel vieler Korporationen. „Wir wollen auch weiterhin national gesinnte Menschen in alle führenden Berufe unserer Gesellschaft entsenden.“ bekannte Manfred Kanther 1990 öffentlich bei einer Rede für sein Corps Guestphalia et Suevoborussia in Marburg. Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass das Wörtchen „weiterhin“ eine nicht unerhebliche Rolle spielt.
Die Geschichte der Korporationen als eine Geschichte autoritärer Strukturen
Korporationen waren stets beides, standesbewusst und herrschaftshörig. Schon die Anfänge der Studentenverbindungen zeigten ihr Elitendenken und ihr Bewusstsein dafür, wer zum erlesenen Kreis der Herrschenden gehören durfte und wer nicht: Die ersten Vorläufer der Korporationen gründeten sich im 18./19. Jahrhundert und wandten sich gegen Studenten aus dem Kleinbürgertum. Diese hatten sich damals gerade erst den Zutritt zur Universität erkämpft. Nicht nur, dass hier die Motivation der Korporierten ganz unverhohlener Standesdünkel war, schon bei den ersten Zusammenschlüssen herrschten anti-emanzipatorische Grundgedanken vor. Viele der damaligen Korporationen, insbesondere die sogenannten Corps, richteten sich explizit gegen die Prinzipien der französischen Revolution Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit.
Es ist allerdings bei diesen frühen Studentenverbindungen noch zu einfach, von einer homogenen Masse zu sprechen: Die politische Stoßrichtung war anfänglich noch keineswegs unter allen Korporierten einheitlich. Das änderte sich jedoch schnell. Während Anfang des 19. Jahrhunderts einige Studentenverbindungen (vor allem die „repubikanischen“ Burschenschaften bis zum Jahre 1848) durchaus gegen die Monarchie und für mehr Demokratie kämpften, gewannen wenige Jahre später die völkisch-obrigkeitshörigen unter den Verbindungen die Oberhand und diese kämpften seitdem für das jeweils herrschende System. Ab 1849 schließlich sahen sich alle Burschenschafter als die gesellschaftliche Elite.
Nach der Gründung des Deutschen Reichs 1871 entwickelten sich die Korporationen rasch zu überregionalen und generationsübergreifenden Verbänden (Lebensbundprinzip) mit organisierten Altherrenschaften. Eine Durchhierarchisierung der Verbindungen nach einem System aus Befehl und Gehorsam (Fux, Bursche, Alter Herr), die Erziehung zum Mann als Zweck des Männerbundes und Zielsetzung im elitären Streben waren die Folge. Mit Erfolg: 1893 saßen 45 Corpsstudenten (11 % der Abgeordneten) im Reichstag, vorwiegend in den konservativen Parteien. Die Chefs der Reichskanzlei waren seit 1871 fast ausnahmslos Corpsstudenten. Hinzu kommen zahlreiche Korporierte in den führenden Positionen der Ministerien, Präsidenten des Reichs- und der Landtage. Namen wie Otto Fürst von Bismarck, Wilhelm II., Adolf Stoecker, Paul von Hindenburg, Friedrich Bayer, Fritz Henkel und Gottlieb Daimler, Emil von Behring, Justus Freiherr von Liebig sowie Aloys Alzheimer bezeugen das Gelingen des verbindungsstudentischen elitären Strebens.
Ende des 19. Jahrhunderts waren nahezu alle wichtigen Posten in Politik, Kultur und Wirtschaft mit Korporierten besetzt.
Auch in der politischen Praxis drückten sich das Elitendenken und die herrschaftshörige, antiemanzipatorische Grundtendenz der Studentenverbindungen aus. Nach dem ersten Weltkrieg waren Korporierte begeistert an nahezu jeder Niederschlagung von Aufständen beteiligt: Niederschlagung der Novemberrevolution, Niederschlagung der Münchner Räterepublik, Niederschlagung des Rhein-Rhur-Aufstand, Verfolgung von Linken durch die so genannten Freikorps, Durchführung des Kapp-Putsch, Niederschlagung der „Mitteldeutschen Aufstände“, usw. Im begeisterten Eintreten für die Sache des Nationalsozialismus mündete schließlich der Weg der deutschen und österreichischen Studentenverbindungen.
Sowohl an den verbindungsstudentischen Zweck- und Zielsetzungen und den Regeln innerhalb der Korporationen, als auch an dem Erfolg hat sich bis heute – wenn auch mit Verschiebungen im gesellschaftlichen Feld – wenig geändert. Treffend heißt es in der Zeitschrift Capital: ”Wer in einer Studentenverbindung ist, hat für die Zukunft ausgesorgt [und] fährt wie von einem Turbo-Lader beschleunigt der Karriere entgegen.“ (Capital 5/1989, S. 287)
Interne Hierarchien schmieden Herrscher und Untertan zugleich
Das Leben in Verbindungen ist auch heute noch durch Hierarchien geprägt. Die jungen Studenten sollen lernen zu gehorchen und zu herrschen. Nicht auf der Gleichberechtigung des Einzelnen beruht dabei das Zusammenleben, sondern auf Disziplin und Anpassung.
Beispielhaft wollen wir im Folgenden die Mechanismen, die ein solch hierarchisches Zusammenleben formen an den Burschenschaften aufzeigen. Auch wenn die meisten Studentenverbindungen viele dieser Elemente teilen, finden sich nur bei den Burschenschaften alle genannten Elemente wieder:
Das umfassende Regelwerk („Comment“ & „Paukcomment“) der Burschenschaft soll die Formung jedes einzelnen Burschenschafters durch Unterwerfung sicherstellen.
Dies geschieht vor allem durch drei Erziehungs- und Formungsmittel:
Der „Convent“ ist die Versammlung der Burschenschaft. In ihr wird die formale Hierarchie zelebriert (nicht jeder hat das gleiche Stimmrecht). Es geht auch nicht darum, zu erlernen auf einer demokratischen Versammlung als gleichberechtigtes Mitglied für die eigene Sache einzustehen und dadurch Beschlüsse zu finden, die dem Gruppenkonsens entsprechen. Laut eigener Aussage ist das junge Mitglied dazu angehalten “jene Meinung zu erforschen, welche den geringsten Widerstand findet.” (CV-Handbuch, 1990, S. 218).
Die „Mensur“ (das Fechten mit scharfen Waffen) ist das zweite Formungsinstrument. Die Mensur kann als Disziplinierungsmaßnahme angeordnet werden. Dann muss sich der Korporierte dem gefährlichen und verletzungsintensiven Duell unterziehen. Gleichzeitig ist es oft auch ein Unterwerfungsritual, mit dem das Mitglied seine Opferbereitschaft und Ergebenheit sowohl gegenüber den älteren Mitgliedern als auch der Organisation an sich demonstriert. (eine Mensur ist bei vielen Studentenverbindungen Pflicht! Dabei variiert die Anzahl der Pflichtmensuren beispielsweise in Tübingen zwischen 1x (Burschenschaft Germania) und 5x (Corps Franconia), bevor man vom „Fux“ zum „Burschen“ aufsteigt)
Das letzte disziplinarische Mittel ist die „Kneipe“ – das ritualisierte Besäufnis. Selbst bei dieser Gelegenheit, die für andere Menschen eher der Entspannung oder der Ekstase dient, wird die interne Gruppenhierarchie zelebriert und gefestigt. Jedem neuen Mitglied kann im Rahmen eines feststehenden Regelwerks vom Leiter der Versammlung das „Spinnen“ (Straftrinken) bis zum Erbrechen auferlegt werden. Oder ein Burschenanwärter (Fuchs) muss an Stelle seines Vorgesetzten (Fuchsmajor) an Trinkwettbewerben teilnehmen.
Alle drei Rituale (Convent, Mensur, Kneipe) dienen dem Zusammenschweißen und der Abgrenzung nach Außen. Der Gehorsam wird belohnt, obrigkeitsstaatliches Denken, Hierarchie, Befehl und Gehorsam, Unterordnung und Pflichterfüllung geformt. Damit wird “die Intensität der sozialen Kontrolle in schlagenden Verbindungen (…) vergleichbar der in asketischen Sekten.” (Paschke, 1999, S. 179)
Gleiches gilt für den hierarchischen Werdegang innerhalb eines Burschenlebens: Ganz unten steht der Neue, der Spefuchs, dann kommt der Fuchs, dieser steht unter dem aktiven Burschen („Aktivitas“), dem wiederum die ehemaligen Studenten, die Alten Herren vorstehen. Alles nach dem Motto: “Freiheit heißt nicht, tun und lassen können, was man will, sondern was man soll.” (CVHandbuch, 1990, S. 360)
Selbstbild als Elite
Dieses innere Gehorsamsdenken wird ausgeglichen durch ein Elitendenken nach Außen. Das Farbentragen ist nur ein Element der Abgrenzung zu anderen und des Hervorhebens des eigenen Elitestatus.
Korporationen wie die Deutsche Burschenschaft propagierten dementsprechend in den 90er Jahren auf ihren Plakaten offen „Die Masse links liegen lassen“.
„Die Masse ist nicht besonders klug. Die Masse ist noch weniger fleißig, und am allerwenigsten ist sie ausdauernd. Die Schwachen suchen das Kollektiv, um in der Addition der Masse sich stark zu fühlen […] Dieser Masse gegenüber steht jene ‚Elite‘, die – ich wiederhole es – in jeder Gesellschaft vorhanden sein muß, um eine Ordnung in Freiheit und Recht zu gewährleisten […] Es gibt eine nobilitas naturalis, eine natürliche Nobelheit, eine natürliche Berufung und Eignung zur Führung.“, schrieb 1966 in der Academia der CVer Prof. Hettlage, damals Staatssekretär im Bundesfinanzministerium. (zit. n. Linke Liste Aachen (Hg.), Die Elite der Nation bekennt Farbe, Aachen 1986.)
Die Verbindung dient dazu die eigenen Mitglieder zu späteren Eliten heranzu(er)ziehen:
„wir […] sehen es als selbstverständlich an, daß Corpsstudenten im Leben hervorragende Stellungen einnehmen.“ (Michael Schur, Tagungsbericht: Junge Führungskräfte für die Marktwirtschaft, Der Corpsstudent 4/94, S. 216ff.)
Das Lebensbundprinzip als institutionalisierte „Vetterleswirtschaft“
„Schon vor mehr als 100 Jahren, also lange bevor an Business-Schulen überhaupt zu denken war, gab es in Deutschland hervorragend funktionierende Alumni-Netzwerke: die so genannten „alten Herren“ der Studentenverbindungen. Sie unterstützten mit großzügigen Spenden den Lebensunterhalt der zu ihrer Vereinigung gehörenden Eleven, erleichterten den Absolventen den Berufseinstieg und schanzten sich später gegenseitig Posten und Aufträge zu. Daran hat sich nichts geändert. Die Netzwerke der ehemaligen Corpsstudenten funktionieren heute so gut wie damals.“
(Financial Times Deutschland 3.6.2005)
In einer Korporation ist man in der Regel sein Leben lang Mitglied und dadurch ihr und ihren Mitgliedern verpflichtet. Ziel ist dabei explizit ein Nepotismus (= Vetternwirtschaft).
Zum Beispiel werden eigene Verbindungsmitglieder in Vorstellungsgesprächen bewusst bevorzugt und Stellen in Führungspositionen an die eigenen Verbandsbrüder herangetragen. Zusätzlich finden verbindungsinterne Tagungen statt, die diese Seilschaften noch fördern sollen, wie beispielsweise der Hamburger „Interkorporations- Workshop für Führungskräfte und Führungsnachwuchskräfte“.
Bei der Rekrutierung ihres Nachwuchses werben Studentenverbindungen auch mit diesen beruflichen Vorteilen. Häufig werden neben der Vergabe von Stipendien berufliche Einstiegsmöglichkeiten geboten. Förderer und Finanziers des Nachwuchses sind ehemalige Aktive zu denen wie dargestellt zahlreiche Politiker und führende Wirtschaftsgrößen zählen.
In dem korporationsstudentischen System geht es um die Konstruktion einer „guten Gesellschaft“, um das Herstellen einer Gruppe von „Gleichen unter Gleichen“, die sich – ausgestattet mit dem für sie allzeit erkennbaren besonderen korporierten Habitus – gegenseitig helfen und protegieren, wobei sie von dem korporierten Gegenüber nicht einmal unbedingt wissen müssen, dass derjenige Korporierter ist. Man spricht die gleiche Sprache und vertraut sich untereinander aufgrund des gleichen Habitus. Michael Hartmann beschreibt das für den Habitus des gehobenen Bürgertums so:
„Das Gefühl, auf einer „gemeinsamen Wellenlänge“ zu kommunizieren, ist (…) außerordentlich wichtig. Es schafft die Basis für das gegenseitige Vertrauen auch in geschäftlichen Dingen.“
Somit wird auch deutlich, warum es bei der Besetzung höherer und höchster Positionen nicht nur um das Einstellungskriterium der „Leistung“, der beruflichen Qualifikation der Kandidaten geht, sondern um das habituelle „Plus“, das einschließt, ob der Kandidat ein unter Männern „gegebenes Wort“ auch unter allen Umständen zu halten in der Lage ist (wie man es mittels der „Ehre“ in der Korporation einpaukt).
Verbindungsmitglieder haben dadurch einen leichteren Aufstieg in Führungspositionen. Durch diesen entsteht seit Jahrzehnten eine Verbindung zwischen Wirtschaft und Politik, die den Einfluss der Verbindungen sicherstellen:
1981 waren 21,5% von 1744 befragten akademischen Führungskräften korporiert (Ursula Hoffmann-Lange: Eliten, Macht und Konflikt in der Bundesrepublik, Opladen 1992.)
1988 war jeder vierte Korporierte in einer Führungsposition (Dr. Baulder (Germaniae Hohenheim)/H. Stöckl (Bavariae München)/G. Junkers (Frankoniae Darmstadt), Interkorporations- Workshop von Waffenstudenten aus der Industrie in Frankfurt, BBl. 2/1989, S. 17 S. 216ff.)
1987-1991 stellte der CV (Der Cartellverband der katholischen deutschen Studentenverbindungen) mit über 30 Abgeordneten die zahlenmäßig größte Abgeordnetengruppe.
Studentenverbindungen aller Art dienen also dazu, als Kollektiv im kapitalistischen Konkurrenzprinzip bestmöglich zu bestehen. Der undemokratische Elitenbegriff ist dabei stets gepaart mit einem antiemanzipatorischen Politikverständnis und rechten bis extrem rechten Einstellungen. Die Verbindungen von Politik und Wirtschaft in den Seilschaften der Alten Herren schafft so eine Machtelite, die es zu bekämpfen gilt.
Für die Auflösung aller Studentenverbindungen.
Kommt alle zum Protest gegen den Burschentag in Untertürkheim (Stuttgart)
Samstag 24.12.2012 – 12 Uhr – Carl-Benz-Platz – Untertürkheim
(Anfahrt mit S-Bahn über die Haltestelle Untertürkheim, ABER VORSICHT: massive Kamera-Überwachung des S-Bahnhofs!)
Tübinger Bündnis gegen den Burschentag in Stuttgart
keineburschentage.tk