Das war die Demo gegen den Landesparteitag der AfD in Offenburg
„Antifa Area – No Cops, No Nazis“: Eine schöne Vorstellung und wichtiger Teil meiner Utopie von einer befreiten Gesellschaft. Leider sah es am Samstag in Offenburg ganz anders aus: Die gesamte Stadt war mit einem enormen Bullenaufgebot zugeschissen: Cops everywhere. Und in der Oberrheinhalle trafen sich 400 Nazis und solche, die nicht so genannt werden wollen, aber sprechen und handeln wie diese: Nazis in the Oberrheinhalle.
Mehr als 1400 Menschen gingen gegen dieses Treffen, den Landesparteitag der rassistischen Partei AfD, auf die Straße. Von den Bullen geschützt, konnte die AfD in der Oberrheinhalle tagen, während draußen auf der einen Seite die parlamentarische Demokratie abgefeiert wurde und auf der anderen versucht wurde radikalere Kritik an den Zuständen zu äußern. Die anschließende Antifa-Demo wurde von den Bullen im Keim erstickt und es kam zu massiver Repression.
Im Vorfeld kam es in Offenburg zu einer kontroversen Diskussion: Wie kann es sein, dass die „Freiheitsstadt“ Offenburg – hier wird immer wieder auf die Rolle der Offenburger Versammlung 1847 während der badischen Revolution Bezug genommen – der rechtsextremen Partei AfD die Oberrheinhalle für ihre Hetzveranstaltung vermietet? Die Halle gehört zur Messe Offenburg-Ortenau GmbH, einer stadteigenen Firma, deren Aufsichtsratsvorsitzender der Offenburger Oberbürgermeister Marco Steffens von der CDU ist. 2020 hatte der Offenburger Gemeinderat gegen die Stimmen der drei AfD-Typen Maygutiak, Weißenrieder und Fey folgendes beschlossen: „Wer als zugelassene politische Partei oder Gruppierung einen Raum oder eine Halle der Stadt oder ihrer Tochtergesellschaften mieten will, darf dort keine extremistischen Inhalte verbreiten. Andernfalls kann eine erneute Vermietung versagt werden.“ Steffens sah sich großer Kritik ausgesetzt, weil die Halle nun doch an die vom Verfassungsschutz als Verdachtsfall eingestufte Landes-AfD vergeben wurde, schwieg dazu aber wochenlang und weigerte sich, es auf einen Rechtsstreit mit den Nazis ankommen zu lassen. Seiner Meinung nach sei die Zivilgesellschaft gefordert, „Flagge zu zeigen“. Er selbst posierte am Samstag lieber mit anderen Lokalpolitiker*innen auf einer Veranstaltung im Salmen für ein Foto, auf dem er ein Plakat mit der Aufschrift „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ in den Händen hält. Ein Hohn für alle Menschen, deren Würde im Mittelmeer durch die Politik der CDU Steffens mit Füßen getreten wird. Ein Hohn für alle Menschen, denen ihre Würde von den Hetzer*innen der AfD in genau diesem Moment in der Oberrheinhalle abgesprochen wurde. Aber hey, das ist ja alles demokratisch legitimiert…
In wenigen Wochen organisierten zwei Bündnisse den Protest gegen den Landesparteitag. Aufstehen gegen Rassismus (AgR) sprach Parteien, Gewerkschaften und die Bürger*innen Offenburgs an, während das Antifa-Bündnis landesweit mobilisierte. Es kamen über 1400 Menschen.
Eine erste Spontandemonstration vom Offenburger Bahnhof mit mehreren hundert Antifas war ein guter Auftakt und setzte radikale Akzente. Ohne Behinderung durch die Bullen, observiert von einem Bullen-Helikopter konnten wir durch die Fußgänger*innenzone und über den Wochenmarkt zur gemeinsamen Auftaktkundgebung auf dem Rathausplatz gelangen.
Hier waren schon hunderte von Menschen versammelt: AgR, Parteianhänger*innen der SPD, von den Grünen, deren Parteijugend-Organisationen, Gewerkschaften, die VVN/BdA, organisierte Antifaschist*innen und viele Einzelpersonen. Wie eigentlich immer bei Nazi-Treffen in der „Freiheitsstadt“ zeigte sich auch an diesem Tag, dass viele Offenburger*innen zumindest diesen Minimalkonsens haben: Gegen Rechts bewegen wir unsere Ärsche.
Nach einigen Reden von verschiedenen Funktionär*innen, setzte sich die Demo in Richtung Oberrheinhalle in Bewegung. Vorne weg marschierte, sich am Frontranspie „Solidarität statt rechter Hetze“ festhaltend, Bundestagsabgeordneter Johannes Fechner von der SPD. Dieser ließ noch am 9.02.2023 auf seiner Website folgendes verkünden: „Illegale Migration insbesondere bei Schlepperbanden muss laut Fechner viel stärker bekämpft werden. Dazu gehört auch, dass die EU-Außengrenzen schärfer kontrolliert werden. Durch Druck auf Länder wie Serbien sei mittlerweile verhindert worden, dass Flüchtlinge aus Afrika und Arabien einreisen und von dort weiter nach Deutschland reisen.“ Warum war Fechner vor und nicht in der Halle?
An der von den Bullen massiv geschützten Oberrheinhalle angekommen, kam es gleich mal zu Rangeleien an den Absperrgittern, weil Transpies über die Gitter drapiert wurden. Erlaubt sei nur, diese auf der Seite der Demo anzubringen. Hier stellten sich dann auch schon Bullen auf Pferden bereit.
Nun begann ein Redenmarathon, bei dem sich u. a. Vertreter*innen mehrerer (Regierungs-) Parteien und ihrer Jugendverbände die Klinke in die Hand drückten. Eine Rede war schlimmer als die andere, die von Fechner am ekligsten. Was machte ich eigentlich hier? Ständig wurde auf die „Freiheitsstadt Offenburg“ hingewiesen. Wir mussten uns parteipolitische Geplänkel anhören, in denen der CDU, FDP und den Freien Wähler*innen vorgeworfen wurde, dass sie heute nicht hier seien. Ja, wärt ihr doch auch nur zuhause geblieben. Die AfD wurde für schuldig befunden, dem Image Deutschlands zu schaden. Äh, durch die Hetze der AfD sterben Menschen. Dem Image Deutschlands zu schaden, ist u. a. unsere Aufgabe. Und immer wieder wurde hervorgehoben, wie wichtig es sei, die parlamentarische Demokratie und ihre Werte gegen ihre Feind*innen zu verteidigen. Aber Moment mal, ist die Partei in der Halle nicht auch ein Teil genau dieser Demokratie? Wurde sie nicht von ca. einem Zehntel der Menschen in Baden Württemberg gewählt? Also von ungefähr so vielen, wie die SPD und die FDP gewählt hatten? Und inwiefern nochmal unterscheiden sich die Parteien vor der Halle von der in der Halle? Farblich? Inhaltlich? In ihrem Handeln? Ich war schon ganz durcheinander. Da half es auch nicht, dass der Redner von Die Partei eine Rede hielt, die angeblich von der KI ChatGPT geschrieben worden war. Zumindest war das ein bisschen lustig.
Die Rede des Vertreters des Antifa-Bündnisses war zwar inhaltlich besser, weil sie auf die oben angerissenen Widersprüche einging, radikale Kritik an den Parteien und den Verhältnissen übte, selbstkritisch war und versuchte zukunftsweisende Ideen für zukünftige antifaschistische Kämpfe zu formulieren, aber sie war einfach viel zu lang. Sie kam zumindest bei vielen der Anwesenden nicht gut an, was mir gefiel. Einigen Parteileuten fiel die Kinnlade runter. Das zu sehen tat gut.
Kritik wurde auch auf Hochtranspies sichtbar gemacht. So war z. B. „SPD und Grüne = Abschiebungen und Polizeigesetze“ u. ä. zu lesen. So wurde deutlich, dass die Parteien einiger anwesender Menschen, genau das umsetzen, was AfD und Co. fordern. Eine ähnliche Situation wie in den 1990er Jahren, als CDU/CSU und SPD z. B. das „Das Boot ist voll“-Gerede der Partei Die Republikaner übernahmen und 1993 faktisch das Recht auf Asyl gegen massiven Widerstand in der Gesellschaft abschafften.
Kurz nach 13 Uhr wurde die Demo von einer AgR-Sprecherin für beendet erklärt und die Antifa-Demo formierte sich. Von den meisten völlig unbemerkt konnten ein paar farbliche Akzente an der Fassade der Halle platziert werden. Als die Demo, der sich viele Menschen anschlossen, zügig auf der L99 direkt vor der Halle ankam und weiterlaufen wollte, versuchten dies einige übereifrige Bullen zu verhindern. Schnell wurde die Situation unübersichtlich und chaotisch. Bullen droschen mit Tonfas in die erste Reihe, entwendeten Transpies und Fahnen und traten mit ihren Kampfstiefeln in Schienbeinhöhe in die Transpies. Sie wurden vor der Demo hergetrieben. Diese konnte noch ca. 180 m bis in Höhe des Burda-Towers marschieren, bevor sie dann zum Stehen kam: Eine große Anzahl behelmter Bullen verhinderte ein Weiterkommen. Es kam zu Auseinandersetzungen, mehrer Antifas wurden verletzt und mussten von den anwesenden Demosanis behandelt werden. Ein Bulle bekam eine Feuerlöscherladung ins Gesicht und ging zu Boden. Auch er wurde von den Demosanis versorgt.
Der vordere Teil der Demo wurde nun gekesselt: Um die 400 Leute waren nun für viele Stunden von Bullen umzingelt, von denen bis nach 20 Uhr abends und bei Eiseskälte die Personalien aufgenommen wurden. Solidarische Menschen brachten Getränke, Essen und Rettungsdecken in den Kessel. Immerhin karrten die Bullen schon am Vormittag bereit stehende mobile Klos herbei. Einige Genoss*innen wurden mit Handschellen weggebracht, 200 Leute bekamen Platzverweise und es wird nun gegen 20 Antifas wegen schwerem Landfriedensbruchs, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamt*innen und Körperverletzung ermittelt.
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Es war ein anstrengender und für viele sicher ein ätzender Tag: Wer will schon stundenlang in einem Bullenkessel stehen, wer gibt schon gern seine Personalien ab und bibbert nun, ob demnächst Post von der Staatsanwaltschaft in’s Haus geflattert kommt. Der 4. März 2023 wird für viele Menschen Repressionen nach sich ziehen. Falls ihr im Kessel wart, vernetzt euch mit anderen Betroffenen, wendet euch an die Rote Hilfe oder andere organisierte Gruppen in eurem Umfeld. Es ist besser gemeinsam und solidarisch durch so eine Situation zu gehen.
Es war wichtig, dass ihr alle da wart: Die AfD darf in keiner Stadt unwidersprochen, ihre Hetze verbreiten. Auch wenn es nervt: Wir müssen ihr unsere Utopien von einer befreiten Gesellschaft jenseits von Staaten und Kapitalismus entgegenhalten. Wir dürfen den Faschist*innen, seien es nun demokratisch legitimierte oder nicht, nicht das Feld überlassen.
Alerta Antifascista!