bücher lesen: die große entwertung – warum spekulation und staatsverschuldung nicht die ursache der krise ist

endlich! nach ca. sechs monaten habe ich das buch von ernst lohoff und norbert trenkle durch. ich war mehrmals kurz davor, es für immer zur seite zu legen. nicht weil es scheiße wäre, sondern weil es für mich sehr anstrengend zu lesen war, da ich in dieser materie nicht so bewandert bin und oft lange nachdenken muss, bis ich einen sachverhalt verstanden habe und ihn einordnen kann. aber mein durchhaltevermögen hat sich gelohnt und mein verständis von der dynamik des kapitalismus und seiner krisen hat sich vertieft.

seit 2008 die große weltwirtschaftskrise ungebändigt durch die länder tobt, ist kapitalismuskritik schwer angesagt und quer durch die gesellschaft machen sich viele leute gedanken darüber, was hier falsch läuft und wie wir das ändern können. viele landen schnell dabei, gierige manager*innen, die banken und die konzerne für alles übel dieser welt verantwortlich zu machen. für mich sind bankenchef*innen und konzernbosse auch keine sympathieträger*innen. oftmals sind sie moralisch und ethisch völlig am boden und klar lösen sie mit ihren geschäften viel leid in der welt aus. aber eben nur, weil sie nach den regeln des kapitalismus spielen. der fehler liegt im system, und nicht in seinen teilchen.

die beiden autoren lohoff und trenkle breiten diese erkenntnis in 300 seiten aus, gehen dabei ins detail und setzen die derzeitigen krisen in einen historischen und theoretischen zusammenhang. sie zeigen minutiös, wie es zum crash kommen musste und bereiten die leser*innenschaft darauf vor, dass die nächste sich schon anbahnt.

besonders interessant und erhellend fand ich die beschreibung der transformation von der fordistischen ära zum derzeitigen finanzindustriellen kapitalismus. zwar ist der kapitalismus schon um einiges älter (ulrike herrmann siedelt seine entstehung in ihrem buch „der sieg des kapitals“ im jahre 1760 in england an), aber erst im fordistischen nachkriegsboom setzte das ein, was wir heute die „durchkapitalisierung“ der (welt-)gesellschaft nennen: alles wurde dem wachstumszwang und somit der kapitalistischen reichtumsform unterworfen. die durchkapitalisierung bescherte den industrieländern einen nie erahnten wachstum, der bis in die 1970er jahre anhielt. hier kam es dann zur nächsten strukturkrise, die aber durch die reaganomics, die privatisierungswelle, staatliche eingriffe in die wirtschaft (wir nennen das heute neoliberalismus) abgefedert wurde und in eine völlig durchgeknallte entfesselung von spekulation und kredit mündete. das verhältnis von fungierendem (also produktivem) und fiktivem (also auf in der zukunft erwarteten gewinn gerichtetes) kapital kehrte sich um, die finanzindustrie blähte sich ins unermessliche auf und konnte und kann nur durch immer mehr kredite am platzen gehindert werden. dieser inverse (also vertauschte) kapitalismus ist der heutige, fragile zustand unserer wirtschaft.

im epilog stellt das buch die these „diese gesellschaft ist zu reich für den kapitalismus“ in den raum und macht aber auch klar, dass das wirtschaften im real existierenden sozialismus, also die planwirtschaft, keine alternative war, da es, wie der westliche kapitalismus auch, sich immer auf ware, wert und abstrakte arbeit bezogen hat. dieser gescheiterte versuch zeigte zumindest eins deutlich, nämlich dass der kapitalismus und die marktwirtschaft untrennbar miteinander verbunden sind. lohoff und trenkle forden von einer zukünftigen wirtschaftsform „neue Formen und Verfahren der gesellschaftlichen Selbstorganisation und -verwaltung“, „die sich direkt auf die stoffliche Reichtumsproduktion beziehen“, abseits von profit und wachstum.

das buch endet mit den worten

Der liberale Urmythos, die kapitalistische Produktionsweise würde „das größte Glück der größten Zahl“ (Jeremy Bentham) garantieren, war immer schon eine grausame Verhöhnung der unermesslichen Opfer, die diese gefordert hat; […] Ein gutes Leben für alle kann es nur jenseits der abstarkten Reichtumsform geben. Es gibt nur eine Alternative zur katastrophischen Entwertung des Kapitals: die emanzipative Ent-Wertung der gesellschaftlichen Reichtumsproduktion.

vielleicht bin ich ja bald soweit, mich an die mutter aller bücher über den kapitalismus zu wagen, das kapital von karl marx und friedrich engels…es steht verstaubt im bücherregal.

die große entwertungdie große entwertung – warum spekulation und staatsverschuldung nicht die ursache der krise ist
von ernst lohoff und norbert trenkle (gruppe kisis)
unrast verlag
18 €
isbn: 978-3-89771-495-3

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