Buchrezension: „The Colours of the Parallel World“ von Mikola Dziadok

Manchmal überkommt eine*n das Gefühl, linke Knastliteratur – Erinnerungen, Tagebücher, wissenschaftliche Abhandlungen und Ähnliches – habe wieder Konjunktur. Die Welt ist so anders geworden seit den Zeiten, als Leute wie Peter Kropotkin, Alexander Berkman oder Wera Figner über ihr Leben hinter Gittern berichteten, als Warlam Schalamow und Alexander Solschenizyn die GULag-Hölle für kommende Generationen beschrieben haben. Natürlich hat der Staat, „ein unermesslicher Friedhof“, wie ihn Bakunin bezeichnete, nie aufgehört, mit seinem Repressionsapparat Leben und Körper der Delinquent*innen zuzurichten und zu zermalmen. Manchmal wird die alltägliche Repression nur spürbarer, manchmal gelingt es jemandem sie nur besonders eindrucksvoll zu schildern.

So gelang es z.B. dem belarusischen Anarchisten Mikola Dziadok in seinem kleinen Büchlein. Es ist nicht „brandneu“, es muss, wenn ich mich nicht täusche, bereits 2017 oder Anfang 2018 erschienen sein. Dziadoks Buch führt gewissermaßen die Erzählung fort, die mit dem Ihar Alinevichs Bericht aus dem Minsker Untersuchungshaft „Auf dem Weg nach Magadan“ begonnen wurde (siehe die Besprechung in GaiDao Nr. 82, Oktober 2017). Beide kamen 2010/2011 infolge der Wahlproteste unter die Räder der belarusischen Staatsmaschine, beide (und einige andere Anarchist*innen und Liberale) haben nach Farce-Prozessen hohe Gefängnisstrafen bekommen. Ihar bekam damals 8 Jahre und Mikola 4,5 Jahre des „strengen Regimes“; dem Letzteren hat man die Strafe später um ein Jahr noch verlängert. Beide wurden frühzeitig entlassen. Wie Dziadok in einem Interview 2015 erklärte, passierte das nur, weil Belarus, das oft als die „letzte Diktatur Europas“ bezeichnet wird, immer noch die sowjetische Staatssymbolik beibehält und dessen Geheimdienst immer noch KGB heißt, versucht, auf den Spannungen zwischen der EU, den USA und Russland zu spielen und gewisse Liberalisierungen im Inneren demonstrieren musste.

Das kleine Büchlein gibt es nur auf Englisch, es ist gut geschrieben, gut lesbar und vom ABC Bristol ausgelesen. Also man*frau kommt auch mit relativ bescheidenen Englisch-Kenntnissen ganz gut zurecht. Es sind die Inhalte, die einem schwer zusetzen. Hat Alinevich, wie gesagt, mit der Untersuchungshaft und dem Schauprozess aufgehört, kommt Dziadok mit dem Leben im eigentlichen Gefängnis in Kontakt bzw. in mehreren Kolonien, durch die ihn sein Häftlingsweg führte. Das Buch beinhaltet mehrere kurze Geschichten, manche sind allgemeiner Natur, manche sind sehr persönlich. Mal erklärt Dziadok die grausame Funktionsweise der Gefängniswelt, die geschriebenen und ungeschriebenen Regeln, die Isolierung im eiskalten Kerker bei kleinsten Regelverletzungen, ständige Zellendurchsuchungen, widersinnige „Sicherheitsvorkehrungen“, die alle zu befolgen absolut unmöglich ist. Das Gefängnis erniedrigt, führt selbst den mickrigsten Bereich des Privaten, des Persönlichen ad absurdum, regelt und unterdrückt selbst die elementarsten körperlichen Bedürfnisse. Ausführlich werden das Kastensystem und die groteske sexuelle Ethik beschrieben; beides bildet keinen Gegenpol zur Kontrolle, obwohl es oft so missverstanden wird. Das willkürliche System der Kontrolle und die inoffiziellen Regeln des Kastensystems bedingen sich gegenseitig und machen erst das Leben der Gefangenen zur richtigen Hölle, in der viele den Verstand verlieren und folglich noch tiefer in der Hierarchie herabsinken. Doch die Hauptbotschaft des Büchleins ist wohl: Leben, Würde und Menschlichkeit gibt es auch in der Hölle, trotz allem. Ach wenn man*frau Selbstmord simulieren muss, um zu überleben und sich schließlich gegen die Leitung der Kolonie zu behaupten.

Von Interesse ist auch die Abhandlung über die altgriechische Mythologie, über das immer wiederkehrende Motiv der scheiternden Rebellion gegen die Hierarchien der göttlichen und der menschlichen Welt. Eine Frage bleibt dann aber: welche Farben meint er denn? Des zähen, widerspenstigen nackten Überlebens im Gefängnis? Farben, einer Welt, die noch erschaffen werden muss und hier nur verkehrt, als Negativabdruck sichtbar wird?

Dziadoks Prognose aus dem besagten Interview hat sich bewahrheitet: das vorübergehende Tauwetter würde im Inneren nur solange dauern, bis in Belarus neue Protestbewegungen entstehen. „The belarusian Five“ von 2010/2011 sind mittlerweile alle auf freiem Fuß, belarusische Polizei und der Geheimdienst drangsalieren mit neuem Elan junge linke Aktivist*innen, Antifaschist*innen und Anarchist*innen.

Das Büchlein kann z.B. bei Black Mosquito für 7€ gekauft werden.

https://abc-belarus.org/

https://mikola.noblogs.org/

https://black-mosquito.org/