Bericht einer Anarchistin vom Wochenende im Hambacher Forst
Passend zum Rodungsstopp bei der Hambacher Forst Besetzung veröffentlichen wir nun den ersten Teil eines Berichtes einer unserer Aktiven, welcher zuerst in der aktuellen Gaidao (https://fda-ifa.org/) erschienen ist. Lest mal rein der Bericht gibt einen guten Eindruck aus erster Hand über die Kämpfe die vor Ort stattfinden, auch wenn der Text zeitlich mittlerweile ein bisschen veraltet ist und einige erwähnte Orte in dem Text bereits geräumt sind.
Bericht einer Anarchistin vom Wochenende im Hambacher Forst
Aktivist*innen aus der anarchistischen Gruppe Dortmund (agdo) machten sich zusammen mit Freund*innen der antifaschistischen Tierbefreier*innen auf in den Hambacher Wald.
Tag 1
Nach längerer Zugfahrt und einer etwas abenteuerlichen Taxifahrt vom Bahnhof Buir Richtung Manheim kamen wir Freitagabend im Dunkeln im Hambi-Camp an. Wir sind direkt sehr offen
empfangen worden! Kaum waren wir durch den Hintereingang (den Haupteingang hatten wir nicht gefunden) des Camps auf die Streuobstwiese getreten, sind wir von Menschen angesprochen worden, ob wir gerade ankommen und ob wir Pennplätze brauchen.
Da wir Zelte und alles weitere nötige bei hatten, wurden uns Tipps gegeben wo wir unsere Zelte aufbauen können. Darüber hinaus wurde uns mitgeteilt: „Plenum ist gerade vorbei aber es gibt jetzt warmes Essen. Wenn ihr selber Teller oder sowas mit habt, wäre es cool wenn ihr die mitbringt.
Wir haben gerade Tellermangel!“ – Alles klar, also schnell die Zelte aufgebaut, Brocken reingeschmissen, Teller geschnappt und ab zum Mampf. Auf dem Weg zu Verpflegungszelt sind wir an weiteren Zelten, Wohnwagen und Autos vorbei gelaufen. Am „Stromzelt“, ausgestattet mit Solarzellen, Lagerzelte, Aktionszelte, das Küchenzelt… Ich war ehrlich erstaunt darüber, welch gute Infrastruktur hier auf die Beine gestellt wurde!
Nach dem Essen haben wir uns erstmal orientiert, Kontakt zu anderen Menschen gesucht und sind schließlich im Musikzelt gelandet.
Und nun wird es Emotional:
Die Atmosphäre im Camp, im Musikzelt hat mich absolut überwältigt. Was sicherlich auch an dem gemeinsam gesungenen Mantra lag: „Ich bin ein Kind des Universums, ich bin geboren um frei zu sein, ich bin ein Kind des Universums, ich bin geboren um frei zu sein, ich bin ein Kind des Universums ich bin geboren um frei zu sein, der Kosmos kann mich begrenzen, der Kosmos kann mich befreien.“
Schon am ersten Abend sind mir sehr viele Menschen begegnet die an eine bessere Welt glauben, eine bessere Welt für alle, sich dafür einsetzen damit es allen Wesen dieser Erde besser geht, die versuchen ihre Utopie zu leben, die möglichst ohne Hierarchien leben, denen Kapital nichts bedeutet, für die Äußerlichkeiten völlig nebensächlich sind. Menschen, die es geschafft haben sich ein Stück innerer Freiheit zu bewahren oder sich zurück erobert haben.
An diesem Abend fühlte ich mich eins mit meiner Mitwelt und mir, wie sonst nur selten. Es überkam mich ein Gefühl der Dankbarkeit mit diesen tollen Menschen genau zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Es roch einfach überall nach gelebter Anarchie…
Und mit diesen Eindrücken und Gefühlen bin ich dann schlafen gegangen, motiviert den nächsten Tag für Aktion zu nutzen!
Tag 2
Ich musste Nachts leider feststellen: Mein Schlafsack ist mir zu dünn, Frostbeulenalarm! Den Gedanken, dass ich offensichtlich ein total verweichlichtes Wohlstandswesen bin schüttelte ich schnell ab um mich auf das Wesentliche konzentrieren zu können. Der erste heiße Kaffe an dem
Tag half da etwas, auch um in die Gänge zu kommen. Mit dem Kaffe ging es dann zu Camp-Plenum. Es war ein großes Plenum. In erster Linie ging es um Orgakram rund ums Camp. Während des Plenums wurde mir sehr deutlich, das es in und um den Hambi nicht nur nach gelebter Anarchie riecht sondern tatsächlich gelebt wird! Es gibt keine Chefs, keine Hierarchien. Alle können sich einbringen.
Es gibt niemanden, der dir sagt, was du zu tun oder lassen hast. Die Regeln im Camp werden im Plenum möglichst im Konsens entschieden! Sicherlich würden sich nicht alle Menschen im Camp als Anarchist*innen bezeichnen, was aber auch völlig egal ist. Wichtig ist das WIE miteinander umgegangen wird und dass kein Platz für Diskriminierung egal welcher Art ist!
Nach dem Hauptplenum nahmen wir am Aktionsplenum teil. Hier schlossen wir uns mit anderen Menschen zusammen, um Material und Lebensmittel in den Wald nach Lorien zu bringen.
Lorien ist eine der Baumhaussiedlungen in der Nähe der besetzten Wiese am Hambacher Wald, die noch in Privatbesitz.
Der Besitzer unterstützt die Aktivisti und stellt sich klar gegen RWE. Allerdings droht ihm die Enteignung, mehr dazu ist unter anderem auf hambacherforst.org zu erfahren.
Wir packten Lebensmittel, Planen, Müllsäcke und Kordeln ein. Also einige Dinge die uns im Falle einer Kontrolle abgenommen werden würden. Ich hätte nie gedacht, dass ich mich mal innerhalb Deutschlands in einer Situation befinde in der es nötig wäre, Müllsäcke zu schmuggeln, diese recht harmlosen Dinge fühlten sich an, als würde ich ein Kilo Koks transportieren… zumindest stellte ich mir das so vor…
In mir regte sich mein Gerechtigkeitsempfinden: Wenn das geltendes Recht ist, wenn Menschen für passiven Widerstand, für das Errichten von Baumhäusern kriminalisiert werden, dafür, sich Freiräume zu schaffen, dafür, sich einem übermächtigen Konzern in den Weg zu stellen, damit dieser nicht noch mehr Schaden anrichten kann als er schon hat, wenn sich dieses Konstrukt Staat gegen Menschen richtet die für unsere Zukunft kämpfen, dann ist es allerhöchste Zeit sich gegen diesen Staat zu stellen, dieses Unrecht nicht zu dulden. Ich spürte sehr heftig meine Abneigung gegenüber Machtverhältnissen, mich widerte das Gewaltmonopol der Polizei einmal mehr sehr präsent an!
Als wir mit unserer temporären Bezugsgruppe das Camp verließen um in den Wald zu kommen, standen wir direkt unter Beobachtung einiger Befehlsempfänger*innen, das berühmte „Katz&Mausspiel“ begann. Noch im Dorf auf dem Weg zum Wald trennten wir uns mit dem Ziel, unsere uniformierten Verfolger abzuhängen. Kurz bevor wir den Wald erreichten, fanden wir wieder zusammen. Also schlugen wir uns gemeinsam durch den Wald. Der nächste kritische Punkt war eine Straße die mitten durch den Wald führt, die hoch frequentiert von Polizei war.
Wir mussten uns mehrfach ins Laub schmeißen um vor vorbeifahrenden Wannen in Deckung zu gehen. Wir bildeten an eine Böschung eine Kette, warteten darauf keine Motorengeräusche zu hören um dann gleichzeitig loszulaufen und die Straße zu überqueren.
Ich war scheißfroh auf der anderen Seite angekommen zu sein ohne entdeckt worden zu sein . Plötzlich wieder mehrere Wannen, wir schmissen uns wieder lang auf den Boden und warteten ab. Die Gefahr der Repression war spürbar und das für verschissene Müllsäcke, zwei Planen
und anderes, meiner Meinung nach, harmloses Zeug. Gedanken an meine Tochter kamen mir hoch: Knast wäre sehr kacke, ich will für sie da sein, ich will aber auch für sie, für uns Kämpfen, ich will den Scheiß, der hier läuft, nicht einfach hinnehmen. Und gleichzeitig spürte ich wie
sehr mich die Angst vor Repressionen in Schach hält, wie sie mich davon abhält bestimmte Aktionsformen zu wählen. Ich hasse es wenn mir diese Gedanken kommen und ich habe größten Respekt vor dem Mut und der Konsequenz aller Aktivistis die ein deutlich größeres Risiko eingehen als ich!
Diese Gedanken sind nicht sehr hilfreich während mensch irgendwo im Wald im Laub rumliegt, die Angst wird zu übermächtig… ich versuchte, mich wieder zu fokussieren, mich von negativen Gedanken zu befreien. Wir konnten weiter.
Leider mussten wir feststellen, das Polizei nicht nur auf den üblichen Wegen und Knotenpunkten präsent war, sondern auch im Wald.
Dies erschwerte unser Vorankommen massiv. Wir berieten uns und versteckten die beiden Planen, damit sie uns nicht abgenommen werden, später sammelten wir sie wieder ein. Irgendwie schafften wir es ohne Kontrolle, hinter die eigentlichen Kontrollpunkte. Wir liefen weiter Richtung Lorien, unbehelligt an Befehlsempfänger*innen vorbei, immer mit der Gefahr doch noch kontrolliert zu werden. Dann betraten wir Lorien. Hinter den Barrikaden fühlte ich mich etwas sicherer! Die Stimmung vor Ort war positiv und aktiv. Viele Menschen waren mit dem Bau von
Barrikaden, Baumhäusern und Unterschlupfmöglichkeiten beschäftigt. Wir wandten uns als erstes an eine Aktivistin die unter dem Baumhaus „Wohnzimmer“ stand und übergaben das Material und die Lebensmittel. Nach einer kurzen Pause und Orientierungsphase machten wir uns an die Arbeit. Barrikadenbau, Teekochen für Menschen die im Baum arbeiteten, Präsenz an der Polizeikette zeigen! Auch in Lorien gibt es keine Chefs, keine Hierarchien, niemand der Arbeit „verteilt“. Es ist nicht ohne weiteres ersichtlich wer schon wie lange vor Ort ist, alle können (fast) alle Arbeiten übernehmen, sofern mensch sich diese Arbeit zutraut.
Es ist also Eigeninitiative gefragt, Kreativität (Teekochen kann im Hambi schon zur Herausforderung werden), Autonomie, selber denken, aber auch Menschen, die sich damit schwer tun, werden mit einbezogen. Diese können Menschen finden, die sie beim Einstieg in diese Art der Organisierung unterstützen, das Baumhausdorf lebt unter anderem von seiner starken Bereitschaft zur Solidarität!
Ich möchte noch einen Menschen zitieren, mit dem ich ein etwas längeres Gespräch geführt habe: „Ich bin total begeistert von den Menschen hier, es zählt nicht, wo man her kommt, ob Frau oder Mann, wie alt man ist!
Ihr seid soviel weiter und moderner als wir in Österreich. Man merkt es daran wie ihr sprecht. Ihr sprecht immer von Menschen oder Lebewesen. Das ist total ungewohnt aber total toll! Aber eins ist sehr auffällig, ihr seid offen, freundlich, aber extrem misstrauisch!“
Ja, das sind wir wahrscheinlich und das nicht ohne Grund, faszinierend fand ich es von einem eher außenstehenden Menschen zu hören, dass beides geht: Offen und freundlich sein und trotzdem misstrauisch. Er fand meine Vermummung etwas befremdlich, hatte aber Verständnis für derartige Vorsichtsmaßnahmen. Ich hingegen fand seine Perspektive sehr interessant, die Perspektive eines eher Außenstehenden. Was zu spüren war: Seine Begeisterung für diese Lebensform!
Wir bedauerten es etwas, unsere Zelte und Schlafsäcke im Camp gelassen zu haben, da wir gerne die Nacht in Lorien verbracht hätten, wir stellten schon Überlegungen an wann wir das nächste Mal in den Hambi reisen können und uns dreien war klar, wir werden definitiv wiederkommen und alles uns mögliche tun um die Bewegung zu unterstützen. Bevor es dunkel wurde machten wir uns über die Wiesenbesetzung und die Mahnwache auf den Rückweg, diesmal an der Straße lang. Zu Fuß ging es, ziemlich K.O. vom Tag (ich habe in meinem Leben noch nie soviel Holz geschleppt), Richtung Manheim.
Auf ca. halber Strecke zurück zum Camp, mittlerweile war es dunkel geworden, schloss sich uns noch ein Mensch an und dann hielt noch ein Mensch mit Auto um uns mit zu nehmen. Innerlich feierte ich die gegenseitige Bereitschaft zur Unterstützung innerhalb der Bewegung! Wir quetschten uns also zusammen ins Auto, was etwas von „Sardine in Dose“ hatte. – Wir waren extrem dankbar – Gerade als wir losfahren wollten hielt eine Wanne, zwei Befehlsempfänger stiegen aus um uns an der Weiterfahrt zu hindern.
„Scheiße, doch noch ne Kontrolle!“ dachte ich. Wir standen im Dunkeln, auf einer Landstraße, das Auto auf der linken Fahrbahnseite, noch halb auf der Straße, in verkehrter Fahrtrichtung… Ja, ich muss zugeben, das wirkt auf Befehlsempfänger wahrscheinlich hochgradig verdächtig. Es könnte ja die Möglichkeit bestehen, ne Autobarrikade zu „bauen“ oder vielleicht sprengen wir gleich das ganze Auto in die Luft. Ich bitte um Verzeihung, ich werde zynisch!
Was wahrscheinlich meine Art ist, damit umzugehen, den kompletten Tag das Gewaltmonopol unseres Staates präsentiert bekommen zu haben. Jedenfalls fanden sie unsere Antwort, auf die Frage, was wir den hier tun: „Wir würden uns nur aufwärmen“ nicht ganz so witzig. Darauf ruderten wir etwas zurück und gaben brav Auskunft, dass wir zurück ins Camp nach Manheim wollten. Damit gaben die Wesen in Uniform sich zufrieden und ließen uns ziehen!
„Puh, Glück gehabt!“ Ohne weiteren Zwischenfall erreichten wir das Camp, wieder pünktlich zum Essen. Also Essen, am Feuer chillen, das Konzert von „Roim & Stroifahrzeuge“ aus Berlin wirken lassen und, während die Stimme der Sängerin „Von der Platte für den Hambi, Oi, Oi, Oi“ grölt, die Atmosphäre genießen, mit dem Tag zufrieden sein und noch ein paar Pläne für den nächsten Tag schmieden. Wir verabredeten uns für den nächsten Tag mit zwei Menschen mit Auto um wieder Material nach Lorien zu bringen. Völlig platt und zufrieden ging es danach ins Bett…
Während ich diese Zeilen schreibe, wird Lorien geräumt, mich erreichen Bilder aus dem Wald die mich schmerzen. Polizei geht brutal gegen friedliche Aktivisti vor, zerstört den Wald, fällt massenhaft Bäume, planiert eine Straße, verwüstet die Baumhaussiedlung, räumt und verwüstet die anderen noch bestehenden Baumhaussiedlungen, hinterlässt ein absolutes Chaos, gefährdet die Leben von menschlichen und nichtmenschlichen Tieren.
Ich bin fassungslos. Diese Zerstörungswut macht mich fast sprachlos, ich muss innehalten, bin in Gedanken bei den Aktivistis im Hambi, ich spüre eine Verbindung zu diesem großartigen Ort, diesen großartigen Menschen. Es schmerzt mich, die Geschehnisse nur von der Ferne aus
verfolgen zu können. Aussagen von Politiker*innen machen mich wütend, Aussagen die schlicht falsch sind, die die Polizeigewalt verharmlosen, die Menschen, die zivilen Ungehorsam ausüben, kriminalisieren.
Ihr könnt nicht gewinnen, ihr habt schon verloren und in ein paar Jahrzehnten werden wir alle dafür die Quittung erhalten! Ich kann meiner Tochter dann wenigstens sagen, das ich mich für die Zukunft dieses Planeten eingesetzt habe, versucht habe mit ganz vielen anderen tollen Menschen dem Treiben eines übermächtigen Konzerns ein Ende zu setzen, dass wir uns profitgeilen Politiker*innen in den Weg gestellt haben.
Was erzählt ihr euren Kindern?