Antifaschismus vs sozialer Protest?
Antifaschismus vs sozialer Protest?
von: libertäre Gruppe Karlsruhe (LGKA)
Seit November 2018 gehen in Frankreich regelmäßig Menschen auf die Straßen, um gegen den Sozialabbau und die neoliberale Politik des Präsidenten Emmanuel Macron zu demonstrieren. Während dort die Proteste von sehr unterschiedlichen Akteur*innen getragen werden, versuchen in Deutschland vor allem rechte und rechtspopulistische Gruppierungen diese Bewegung für sich zu nutzen und somit sozialpolitische Themen und Begriffe zu besetzen.
Als uns Anfang 2019 bekannt wurde, dass sich auch in Karlsruhe eine Gruppierung gründete, die im Namen der “Gilets Jaunes” (frz.: Gelbwesten) zu Protesten aufrief, wurden wir hellhörig und fingen an uns näher mit ihr zu beschäftigen.
Nach ersten Recherchen stellten sich die gelben Westen Karlsruhe als recht unerfahrene Gruppe aus 5 Personen heraus, die sich bemühten ein bürgerliches Bild nach außen zu vermitteln. Wir hatten aber schnell einen anderen Eindruck von deren politischen Ausrichtung. Neben einem Flyer, dessen Rückseite mit offensichtlich nationalistischen Forderungen, wie die nach einer sofortigen Abschiebung “krimineller Ausländer”, nicht öffentlich zugänglich war, fiel uns auf, dass fast ausschließlich die Nähe zu rechten und rechtspopulistischen Kreisen gesucht wurde. So konnten wir neben Kontakten zu Personen in der AfD die Kontaktaufnahme und Unterstützungsanfragen an Marco Kurz, führende Persönlichkeit des nationalistischen und rassistischen “Frauenbündnis Kandel” und anderen rechten Akteur*innen aufdecken.
Die regionale Presse, insbesondere die BNN (Badische Neueste Nachrichten), hingegen berichtet sehr wohlwollend über die gelben Westen und stellte dem Anmelder der Demonstration vom 09.02., Pascal Völlinger, der vermutlich als Hauptkoordinator fungiert, unkritisch genug Raum zur Verfügung um sich und seine “Gelbwesten” als unpolitische Bewegung der Mitte darzustellen, die jedem*jeder offensteht. Das änderte sich auch nicht, nachdem wir der Presse unsere Rechercheergebnisse zusendeten. Auch ein ausführlicher, etwas später erschienener, Rechercheartikel der Antifaschistischen Aktion Karlsruhe wurde ignoriert.
Da zeitnah neben einer Kundgebung auch eine Demonstration angekündigt war, wurde es für uns Zeit zu handeln! Nun stellte sich aber die Frage, wie wir vorgehen wollten. Wir waren uns schnell darüber einig, dass wir die leider stark ritualisierten antifaschistischen Aktionsformen als ungeeignet empfinden und uns andere Interventionsmöglichkeiten ausdenken sollten. Da Sozialpolitik und Antikapitalismus, unter anderem, die Kernkompetenzen einer radikal linken/ anarchistischen Bewegung sein sollten, entschlossen wir uns gerade diese Themen nicht von rechts besetzen zu lassen und unsere Inhalte in den Vordergrund zu drängen. Das bedeutete für uns im Endeffekt zu versuchen die Demonstration zu kapern. Dabei muss erwähnt werden, dass von uns keine Eskalation ausgehen sollte!
Mit dieser Entscheidung schlossen wir uns einem anonym veröffentlichten anarchistischen Aufruf an, sich an der “Gelbwestendemo” zu beteiligen, eigene Inhalte offensiv zu vertreten und reaktionären Positionen lautstark zu widersprechen. Damit wurde nicht nur innerhalb der “Gelbwesten” interne Diskussionen angestoßen, sondern das Thema in der Linken in Karlsruhe populärer.
Unsere Aktivitäten entfalteten sich nun auf mehreren Ebenen: Über die Hintergründe der angeblich “unpolitischen” “Gelbwesten” aufklären, nichtrechten Interessierten eine andere Analyse der sozialen und ökonomischen Probleme und Lösungsansätze dafür zu vermitteln und in der linken “Szene” für unsere Idee zu werben.
Die ersten beiden Aktionsfelder haben wir oben schon umrissen. Beim Dritten hatten wir am meisten bedenken, dass etwas schiefgehen könnte. Es war zu befürchten, dass wir alleine bleiben würden und im schlimmsten Fall einer Blockade von Genoss*innen gegenüberstehen. Diesem Szenario versuchten wir mit persönlichen Gesprächen, mit Personen aus unserem politischen Umfeld, vorzubeugen. Es kristallisierte sich heraus, dass es eine Gegenkundgebung geben werde, was gemischte Gefühle bei uns auslöste. Auf der einen Seite erhofften wir uns im Falle einer Eskalation bei unserer Intervention einen Rückzugsort, auf der anderen befürchteten wir dadurch zu wenige zu sein um Wahrnehmbare Impulse zu setzen.
Auch um einem Querfrontvorwurf im Keim zu ersticken, beschlossen wir bei befreundeten Gruppen über unseren Ansatz aufzuklären und diesen zu bewerben. Doch waren unsere Sorgen größtenteils unbegründet. Schon bevor wir unsere Idee ausführten bekamen wir vereinzelte Zusagen und Solidaritätsbekundungen.
Nun zum Tag der “Gelbwestendemonstration” selbst. Wir trafen uns am 09.02. etwas früher um uns noch einmal abschließend zu besprechen und uns gemeinsam in gelben Westen, mit Transparent, Fahnen und Flyern auf den Kundgebungsplatz am Marktplatz zu begeben. Wir konnten kaum einschätzen, wie den nun alles laufen würde, begaben wir uns doch in eine auch für uns relativ neue Situation. Daher waren wir doch sehr erleichtert, einige bekannte Gesichter zu sehen, mal mit und mal ohne gelbe Weste.
Neben der freudigen Überraschung an die 50 Anarchist*innen und Antifaschist*innen auf der Kundgebung zu sein, kamen uns auch die Demo-Organisator*innen entgegen. Es gab keine Flyer, Fahnen, Transparente oder Reden. So konnten wir die gesamte inhaltliche Außenwirkung bestimmen. Unter den grimmig und skeptischen Blicken einiger mal mehr oder weniger bekannter rechter Personen konnten wir unsere Flyer am Rande, aber auch in der Kundgebung verteilen und interessante Gespräche führen. Die meisten ließen sich auf unsere Argumentation ein, dass an Wohnungsnot, Altersarmut usw. nicht bestimmte Gruppen wie geflüchtete Menschen, Banker*innen, Politiker*innen usw. verantwortlich sind, sondern die Art des Wirtschaftens und der Politik. Einzelne Parolen wie “Wir sind das Volk” und ähnlichem wurde mit “Wir sind nicht Volk! Wir sind Klasse!” oder “Hoch die internationale Solidarität!” gekontert. Wir spekulierten dabei auf die Angst der Demoorganisation um Pascal Völlinger, ihre Rechtsoffenheit zu offenbaren und ihr “Alle dürfen Mitmachen”-Image zu verlieren. Unser Plan ging bis dahin auf!
Zum Start der Demonstration dominierten Parolen die zu Solidarität zwischen allen Menschen aufriefen und Kritik am gegenwärtigen Wirtschaftssystem äußerten, das als Grund der sozialen Spaltung und Armut in der Bevölkerung ausgemacht wurde. Dies schien für andere der bis zu 150 Demonstrationsteilnehmer*innen dann doch zu viel zu sein. Es waren die ersten eindeutig rechten Parolen, wie “Festung Europa, macht die Grenzen dicht!” zu hören, die sofort beantwortet wurden. Die erste Demoreihe stoppte nach einigen Metern und es wurden mehrere antifaschistische Personen, die verteilt knapp hinter dem Fronttransparent liefen an diesem vorbeigelassen. Nun traten die inhaltlichen Differenzen noch deutlicher zu Tage. Während die etwa 13 Anarchist*innen und Antifaschist*innen vor der Demo und deren im Zug verteilten Genoss*innen sich für eine solidarische Gesellschaft aussprachen, wurde von einem anderen Teil die europäische bzw. die nationale Abschottung propagiert. Daraufhin wurden die Aktivist*innen vor der Demonstration von der Polizei eingekesselt, da sie vom Demoanmelder ausgeschlossen worden waren, und mit Innenstadtverboten belegt. Da wir im Vorfeld schon mit Ähnlichem rechneten und es dazu absprachen gab, verließen wir geschlossen das Geschehen.
Von nun an war Sozialpolitik kein Thema mehr und es dominierten die üblichen Parolen aus dem Umfeld von Pegida und der rechten Szene. „Merkel muss weg“, „frei sozial und national“, sowie „Wir sind das Volk“. Zwar versuchten noch einige Genoss*innen etwa die Hälfte der Route dagegen zu halten, doch wurden von ihnen immer wieder Leute ausgeschlossen oder taten es einigen anderen “Gelbwesten”, die die rechten Parolen nicht mehr ertrugen gleich und verließen die Demonstration.
Natürlich durchforsteten wir den Rest des Tages gespannt das Internet nach den ersten Meldungen zur Aktion. Dabei wechselte unsere Stimmung zwischen Freude über die gelungene Aktion und der Enttäuschung über die einseitige Berichterstattung. BNN und KA-News übernahmen weiterhin ohne kritisches Nachfragen die Selbstinszenierung der Demoorga als Opfer von rechten und linken Störern. Die halbherzigen Distanzierungsversuche nach Rechts konnten unseren Rechercheergebnissen im Vorfeld, sowie einem von der BNN im Internet veröffentlichtem Video, auf dem durchgängig nur rechte Parolen zu hören sind aber nicht standhalten. Daneben muss festgehalten werden, dass das skandieren von linken Parolen zu Demonstrationsausschlüssen geführt hat, rechte Parolen, siehe BNN-Video, nicht.
Einziger medialer Lichtblick war ein Beitrag in den SWR Fernsehnachrichten. Dort gab es einen Schwenk von der “Diesel-Demo” in Stuttgart, am gleichen Tag, zu der “Gelbwesten-Demo” in Karlsruhe. Neben der Tatsache, dass das Label der “Gelbwesten” in Deutschland gerne von Rechten besetzt wird, und es schöne Bilder unserer Aktion gab, wurden immerhin ansatzweise unser Anliegen vermittelt und die “Neutralität” der Demonstration infrage gestellt.
In den folgenden Tagen beschäftigten wir uns damit, unsere Darstellung der Geschehnisse in die mediale Öffentlichkeit zu tragen und die Erzählungen von Pascal Völlinger zu demaskieren. Auch durch die Intervention und Wortmeldungen anderer antifaschistischer Gruppierungen sah sich die BNN zu einer Gegendarstellung genötigt. So beschäftigte sie sich in einer Ausgabe gleich durch zwei Artikel mit dem Sachverhalt und setzte sich zum ersten Mal kritisch mit der Demoorganisation auseinander.
Was die mediale Präsenz in eher linken und linksradikalen Medien angeht, können wir mehr als zufrieden sein. So wurde die Aktion in mehreren Blogs positiv aufgegriffen. Die Beobachternews begleiteten die Aktion und Zeitungen wie die Jungle World zitierten sogar aus unserer Pressemitteilung.
Fazit:
Wir sind mit der Vorbereitung und dem Ablauf des Tages sehr zufrieden. Im Vorfeld konnte zumindest bei den “Gelbwesten” selbst Diskussionen angestoßen werden und Menschen mit nicht geschlossenem rechtem Weltbild zum kritischen hinterfragen angeregt werden. Das konnten wir erreichen, indem wir uns aktiv an Diskussionen im Internet beteiligten. Weiter konnten wir durch eine offensive Kommunikation mit der Szene einem Querfrontvorwurf vorbeugen und einige Mitstreiter*innen gewinnen. Die Aktion selbst verlief weitestgehend wie geplant. Dank einer guten Vorbereitung was inhaltliche Materialien, Verhalten und mögliche Situationen am Tag selbst betraf, dominierten wir optisch wie inhaltlich das Geschehen der Versammlung nach innen und außen und bekamen auch mehrfach positives Feedback. Der Demonstrationsausschluss war zu befürchten gewesen und im Vorfeld schon einkalkuliert.
Auch wenn es einer langatmigen Auseinandersetzung mit lokalen Medien bedurfte, sehen wir unsere Pressearbeit als Erfolg an. Wir haben es geschafft, einen rechten Aufmarsch in der Öffentlichkeit zu demaskieren und teilweise soziale Forderungen aus radikal linker und anarchistischer Sicht zu artikulieren und wahrnehmbar zu machen.
Wie geht es nun mit den “Gelbwesten” in Karlsruhe weiter? Seit der Demonstration passiert bei denen nicht mehr viel. Es ist zu hoffen, dass wir ihnen den Wind aus den Segeln genommen haben und damit ein zweites “KAGIDA” (Karlsruher Pegida-Ableger, später “Widerstand Karlsruhe”) verhindert haben. Natürlich ist uns die Unerfahrenheit der Organisationsgruppe bewusst und in wie weit der Streit um die führende Rolle der rechten Wütbürger*innen in der Region Einfluss auf unseren Erfolg hatte, sei dahingestellt. Doch halten wir unser Vorgehen für richtig und rufen dazu auf, im Kampf gegen Rechts kreativer zu werden. Auch sollten wir wieder mehr soziale Kämpfe führen bzw. uns vermehrt darin einbringen.
Gerade das haben wir vor! Vielleicht haben wir uns gerade mit der Aktion den Freiraum von rechten Aufmärschen erkämpft, der uns es ermöglicht uns auf das Kernanliegen zu konzentrieren: Die Transformation der bürgerlichen, kapitalistischen, patriachalen Gesellschaft in eine solidarische, offene, herrschaftsfreie!
Libertäre Gruppe Karlsruhe (März 2019)
ẃww.lka.tumblr.com
www.labournet.de/?p=141153 (hier findet ihr auch unsere Texte zu dieser Geschichte!)
www.beobachternews.de/2019/02/11/antifaschisten-unterwandern-diesel-demo/?fbclid=IwAR3UxQB-x8oke4Nvgmz2Kq8zA6WW3GiWxOgVRW kf7rOfVsOu_nq6zdL0mjI
www.jungewelt.de/artikel/349020.%C3%BCbernahmeversuch-mit-hindernissen.html