Anarchistischer Aufruf zum 1. Mai 2013
Der Ursprung des Kampftages der Arbeiterbewegung ist der 1. Mai 1886. Bei landesweiten Streiks gingen hunderttausende Arbeiter*innen in den USA auf die Straße. Das Zentrum der Bewegung war Chicago, wo die Kämpfe zwischen den Ausgebeuteten und ihren Bossen am schärfsten und heftigsten geführt wurden. Dort gingen rund 80.000 Menschen für die Forderung nach dem Achtstundentag auf die Straße. In den folgenden Tagen kam es zu Auseinandersetzungen zwischen Streikenden und Streikbrecher*innen. Bei anschließenden Polizeiangriffen wurden mehrere Arbeiter*innen getötet und unzählige verletzt. Infolgedessen wurden die Redner*innen der Versammlung auf dem Haymarket und andere Anarchist*innen verhaftet und fünf von ihnen zum Tode verurteilt.
Seitdem wurden unzählige Kämpfe geführt, die teilweise zu gewissen Verbesserungen aber auch zu Niederlagen geführt haben. Am großen Ganzen hat sich jedoch nicht viel getan: die Ausbeutung der verarmenden Mehrheit ermöglicht denjenigen, die im kapitalistischen Überlebenskampf Wettbewerbsvorteile haben, mehr Kapital anzuhäufen als jemals zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse notwendig wäre. Daher rufen wir, Anarchist*innen und Libertäre, auch in diesem Jahr zur revolutionären Demonstration am 1. Mai in Stuttgart auf!
Die herrschende Gewalt…
Die Wirtschaftskrise geht nunmehr in ihr fünftes Jahr. Es ist unbestritten die schwerste Weltwirtschaftskrise seit 1929 und ein mögliches Ende scheint nicht in Sicht. Von der Finanzkrise, über die Weltwirtschaftskrise nun zur Staatsschuldenkrise. In Europa sind bisher die Menschen in den südlichen Regionen – Griechenland, Spanien, Portugal, Italien, Zypern – am heftigsten betroffen. Aber auch der gewöhnliche kapitalistische Normalzustand hier in Deutschland, einem vermeintlich ruhigen Zentrum der Krisenhurrikans, macht uns wütend!
In den staatlichen Institutionen, bereits im Kindergarten, über die Schule bis hin zu den Universitäten (sofern man uns soweit kommen lässt) wird uns angepasstes Verhalten eingetrichtert: Ein funktionierender Mensch befindet sich im ständigen Kräftemessen mit anderen. Es wird uns vorgegaukelt, dass wir nur härter arbeiten müssten als der Rest um ganz nach oben zu kommen. Doch die Enttäuschung kommt schnell: Das Märchen der Chancengleichheit, das wir uns gegenseitig erzählen, zerbröckelt angesichts der Realität. Letztlich bestimmen materieller Besitz, Beziehungen, Geschlecht und Herkunft wie weit wir kommen. Solange dieses Systems besteht, gibt es keine Alternative: Entweder wir spielen mit und sorgen dafür, dass der Laden läuft, oder wir verwirken die Möglichkeit zu existieren.
Unsere Identität dürfen wir uns aus den Jobs, die wir ausüben, und den Produkten, die wir kaufen zusammenbasteln. Durch staatliche Gewalt werden wir in dieser Glitzerwelt eingesperrt. Wer sich nicht kaputtarbeiten will, kriegt Probleme mit dem Arbeitsamt und wird mit Armut bedroht; wer zu wenig Geld hat und trotzdem nicht auf die schönen Konsumartikel verzichten will, wird wegen Diebstahl von den Bullen gejagt und landet im Knast.
Zynisch ist daran, dass mit den heutigen Produktionsmitteln (Rohstoffe, Maschinen, …) andere Zustände möglich wären: Während tonnenweise Lebensmittel weggeschmissen werden und überall Wohnungen leer stehen, werden Menschen, die sich diese nicht leisten können, zu Hunger und Obdachlosigkeit gezwungen. Obwohl viele keinen Job finden, machen andere Überstunden bis zum Burnout. Totale Verwertung statt Produktion zur Bedürfnissbefriedigung!
Doch leider gewinnen für diejenigen, die die Zustände nicht kritisch hinterfragen wollen, auch andere, scheinbar einfache Erklärungsversuche an Attraktivität: Die Schuld für soziale Missständen wird zunehmend im Fremden und Unangepassten gesucht – z.B. bei denen, die sich in ihrem Aussehen, ihrer Herkunft, ihrer Kultur oder ihrer Geschlechtsidentität von der hier vorherrschenden weißen, deutschen Mehrheitsgesellschaft unterscheiden. Die Konsequenz davon ist viel zu oft tödlich.
Wenn wir tatsächlich diese Grenzen in den Köpfen niederreißen wollen, gilt es aktiv zu werden und alternative Konzepte zu entwickeln. Das klappt aber nicht alleine! Nur wenn wir uns zusammenschließen können wir die Geschichte nach unseren Vorstellungen weiterschreiben!
…und unsere Antwort: Organize!
Organisieren bedeutet für uns nicht nur gemeinsam auf Demos zu gehen! Organisation sollte kein Selbstzweck sein, kein notwendiges Übel, sondern Selbstorganisation: Statt auf die Revolution zu warten erproben wir schon heute herrschaftsfreie Strukturen und Praxen und entwickeln diese weiter. Freiräume werden erkämpft, um darin zu leben, darin zu arbeiten, sie zu erweitern. Wir teilen unsere Erfahrungen und Fähigkeiten, experimentieren und machen Fehler um anschließend aus ihnen zu lernen und zu wachsen. Es geht darum, alternative betriebliche Strukturen zu etablieren und unsere Forderungen und Kämpfe auch in die Arbeitswelt zu tragen. Es geht um den Aufbau von kollektiv und selbstverwalteter Produktion jenseits von kapitalistischer Warengesellschaft und der Bevormundung durch Lohnarbeit.
Wir versuchen nicht mit einem 3-Prozent-Kompromiss aus Tarifverhandlungen hinausgehen oder mehr “Vertreter*innen” für unsere Interessen in die Parlamente zu schicken. Organisieren heißt für uns nicht in eine Partei (oder DGB-Gewerkschaft) einzutreten um Posten nachzujagen, sondern das eigene Leben selbst in die Hand zu nehmen. Wir wollen unser Leben, unsere Beziehungen und unser Miteinander nach unseren Vorstellungen gestalten: Solidarität und Empathie statt Konkurrenz und Ausgrenzung. Statt Arbeitskraft und Verwertbarkeit sollen die Bedürfnisse, Interessen und Fähigkeiten, also der Mensch an sich, im Mittelpunkt stehen. Kurz: Es geht um nicht weniger als einen radikalen Bruch mit den bestehenden Verhältnissen.
Dabei können ohne Probleme unterschiedliche Ideen nebeneinander existieren und voneinander profitieren solange sie sich respektieren und gegenseitig zulassen. Wichtig ist nur, schon jetzt zu beginnen sich zu vernetzen, gemeinsame Lösungen zu finden und solidarisch und entschlossen für die Befreiung aller Menschen zu kämpfen.
Ob wir momentan kurz vor einer gesellschaftliche Umwälzung stehen oder nicht spielt für uns zunächst keine Rolle. Sicher ist aber, dass unsere Träume und Bedürfnisse, aufgrund unerbittlicher Kapitalinteressen, ständigen Angriffen ausgesetzt sind, die sich in Zeiten sozialer Revolten noch verschärfen werden. Worauf sollen wir warten? Das Bestehende wurde von Menschen erschaffen, wird durch das Denken und Handeln von Menschen aufrecht erhalten und kann durch diese auch verändert werden.
Lasst uns die existierenden Kämpfe vorantreiben und die Widersprüche in dieser Gesellschaft sichtbar machen, damit sich die rebellischen Feuer in den Herzen der Ausgebeuteten weiter ausbreiten! Der Kapitalismus ist nicht das “Ende der Geschichte”!
Gründet Antifagruppen, Freiraum-Initiativen, Betriebsgruppen, SchülerInnen-Gruppen, Stadtteil-Projekte!
Bildet euch, bildet andere, bildet Banden! Für die soziale Revolte im hier und jetzt!
Freie Arbeiterinnen- und Arbeiter-Union Stuttgart (FAU/FdA)
Libertäres Bündnis Ludwigsburg (FdA)