Entgegnung II – Welternährungstag

Seit 34 Jahren findet jährlich am 16. Oktober der Welternährungs- oder auch Welthungertag statt. Jedes Jahr entblöden sich Presse und Wohltäter nicht, ihre Empörung über mangelnde Gerechtigkeit zur Schau zu tragen.
Die EU fühlte sich sogar dazu berufen, ein »Europäisches Jahr gegen Lebensmittelverschwendung« für 2014 anzukündigen. Dafür sieht das EU Parlament unter anderem vor, durch bessere Ernährungserziehung die Verschwendung von Lebensmitteln, EU-weit immerhin 89 Millionen Tonnen pro Jahr, zu reduzieren. Des weiteren wird vorgeschlagen, die »Effizienz der Lebensmittel-Logistikkette vom Produzenten bis zum Endverbraucher zu erhöhen«, um ein weiteres Ansteigen der Lebensmittelverschwendung abzuwenden. (1) In gewohnt kritischer Manier steigen die verschiedenen Medienformate darauf ein und geben, nach tüchtiger Recherche, Tipps, wie jeder Einzelne seinen Beitrag leisten kann.
Die Palette an Möglichkeiten, deren Umsetzung dem mündigen Konsumenten nahe gelegt wird - immerhin spart man ja bares Geld - , reichen von einer besseren Planung der Einkäufe, über Vorschläge zur richtigen Einlagerung von Lebensmitteln bis hin zum mahnenden Aufruf von Brot für die Welt »Wenn wir weniger Fleisch essen würden, hätten Hungernde mehr zu essen.« (2) (3)

Was all diesen Ratschlägen gemein ist, ist dass sie den Konsumenten an der Moral packen und sein Gewissen aktivieren: »Auch du trägst deinen Teil dazu bei, dass Menschen Hunger leiden/ das Klima vor die Hunde geht/ die Umwelt zerstört wird / etc. pp.« Die Frage nach dem Klima, der Umwelt und der Ernährung der Menschheit ist ab jetzt also eine Frage moralischer Integrität westlicher Bürger. »So viel Ehre für die trostlose Figur des Konsumenten! Nur weil er essen muss, sich dafür sein Einkommen einteilen und – je geringer dieses ausfällt, desto mehr – bei den Sonderangeboten der Supermärkte zugreifen muss und dafür nicht zu knapp Pestizide und Antibiotika einkauft, wird er, ganz so, als hätte er sich genau das alles selber ausgesucht, vom Schwanz der kapitalistischen Geschäftsbewegung, vom Anhängsel und Objekt kapitalistischer Vermarktungsstrategien zum sittlich fragwürdigen Subjekt befördert, das mit seiner verschwenderischen „Mentalität“ den Planeten in die Scheiße reitet.« (4)

An der Aussage, dass der Konsum eingeschränkt und kritisch-moralisch geprüft gehöre, wie auch an ihrer Umkehrung er müsse angekurbelt werden, um das Wachstum zu fördern, zeigt sich bereits dass der Konsum oder mit anderen Worten, die Versorgung der Menschen gar nicht Zweck, sondern Mittel dieser Wirtschaftsweise ist. Die Frage, wieso rund eine Milliarde Menschen an Hunger leiden, ist also leicht zu beantworten: Mit ihnen ist schlicht kein Geschäft zu machen.
Wer das durch die Marktwirtschaft zugerichtete Individuum oder besser gesagt, dessen Konsum in den Fokus seiner Kritik rückt, stellt die Welt also auf den Kopf! Sätze wie »Ein wichtiger Beitrag gegen den Welthunger könnte auch sein, weniger wegzuwerfen.« (2) erscheinen also mehr als zynisch, schließlich landet weder das Essen, das wir wegschmeißen, konsumieren oder gar nicht erst einkaufen bei hungerleidenden Menschen.
Im Gegenteil, es wird mit einem Zuviel an Lebensmitteln kalkuliert. Ein nicht geringer Teil an Nahrungsmitteln wird gezielt vernichtet oder zumindest deren Verderb beim Überseetransport in Kauf genommen.

Natürlich hätte man diese Lebensmittel für die hungerleidenden Menschen, die längst nicht mehr nur in der sogenannten »Dritten Welt« beheimatet sind, nutzen können. Nach neusten Erhebungen einer IFRC-Studie können sich 43 Millionen Menschen in Europa nicht genug zu Essen leisten, 120 Millionen sind von Armut bedroht. (5) Ein Bedürfnis nach Nahrung ist also im Überfluss vorhanden, allerdings ist die Produktion gar nicht dafür gedacht, die Bedürfnisse der Menschen zu befriedigen. Vielmehr richtet sich diese Wirtschaftsweise nach dem Profit, der mit dem Verkauf der Waren zu erreichen ist. Es zählen also nur die Bedürfnisse, hinter denen eine Kaufkraft steht.

Folglich wird nicht aus Gedankenlosigkeit, Nachlässigkeit oder gar wegen dem bösem Willen einzelner, besonders gieriger Produzenten weggeworfen. In einer kapitalistischen Gesellschaft ist dieser Wahnsinn Normalität, ganz einfach deshalb, weil er sich lohnt.

(1) http://www.europarl.europa.eu/
news/de/news-room/content/20120118IPR35648/html/Parlament-will-Lebensmittelverschwendung-in-der-EU-stoppen
(2) http://www.hr-online.de/
website/radio/hr4/index.jsp?rubrik=6656&key=standard_document_49864669
(3) http://www.wiesentbote.de/2013/10/15/zum-welternaehrungstag-am-16-oktober-2013-fuenf-tipps-gegen-lebensmittelverschwendung/
(4) http://www.gegenstandpunkt.com/gs/12/1/gs20121c03h1.html
(5) http://www.rp-online.de/panorama/ausland/43-millionen-europaeer-koennen-sich-nicht-genug-zu-essen-leisten-1.3738752

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