Unterwegs in Sachen Solidarität – Infotour zur Lage der anarchistischen Bewegung in Weissrussland

Soliaktion in Stuttgart bei einer Auführung des Weißrussischen Balletts

Tour-Planung im deutschsprachigen Raum

Weitere Informationen:

Am 15. Februar startete mit einer Veranstaltung im Londoner Freedom Bookshop eine mehrmonatige Infotour eines Aktivisten des Anarchist Black Cross (ABC) Belarus. In den kommenden Wochen werden mehrere Städte in Großbritannien bereist, bevor die Tour weiter auf die iberische Halbinsel, danach nach Frankreich und Belgien und zum Abschluss in die Schweiz und quer durch Deutschland führt. Organisiert wird die Rundreise dieses Mal von der Internationalen der Anarchistischen Föderationen (IFA), lokalen ABC- und anderen anarchistischen Gruppen.

Schon 2011 reisten Aktivist*innen durch Europa, um über die Situation in Weissrussland und die Repression gegenüber der anarchistischen Bewegung zu informieren. In den vergangenen zwei Jahren hat sich die Situation jedoch merklich verschlechtert. Stand die letzte Rundreise noch ganz im Zeichen der Proteste im Zuge der letztjährigen Präsidentschaftswahlen, so wird jetzt wohl ein Land beschrieben, das in weiten Teilen lethargisch und resigniert die absolute Macht des Lukaschenko-Regimes hin nimmt.

Wahlen, Knüppel, Diktatoren

Das direkt an Russland angrenzende Belarus wird seit mehr als 18 Jahren von Alexander Lukaschenko autoritär regiert. Formal ist Weissrussland eine präsidiale Republik, etwa vergleichbar mit den USA. Der Präsident ist gleichzeitig Regierungschef, wird aber in freien Wahlen für bestimmte Amtszeiten gewählt und muss Entscheidungen vor einem Parlament rechtfertigen. So zumindest die Theorie. In der Praxis weitete Lukaschenko seine Befugnisse sukzessive aus und unterdrückte mittels einer Kombination aus Gesetzen und brutaler Repression jede Form von parlamentarischer und außerparlamentarischer Opposition. Als er sich 2006 laut der weissrussischen Verfassung nicht mehr zur Wiederwahl stellen durfte, umging er diesen Fakt mit einem Referendum , das ihm fortan eine unbegrenzte Amtszeit ermöglicht.

2010 erhoben sich mehrere zehntausend Menschen im Zuge der Wiederwahl Lukaschenkos, die von Unstimmigkeiten, offensichtlicher Manipulation und Einschüchterung der politischen Opposition geprägt war. Noch nie zuvor in der damals 16 Jährigen Amtszeit des „letzten Diktator Europas“ gingen die Menschen in solch einer großen Zahl und Vehemenz auf die Straßen. Aber ebenso beispiellos war die Reaktion des Regimes. Oppositionspolitiker verschwanden und tauchten erst Tage später in Gefängnissen des weissrussischen Geheimdienstes KGB wieder auf. Massenversammlungen wurden durch die Sicherheitskräfte brutal zerschlagen und hunderte Menschen verhaftet, welche teilweise weitreichenden Schikanen und Misshandlungen ausgesetzt wurden.

Gemeint sind wir alle, es trifft jedoch immer die selben

Neben der parlamentarischen Opposition, die durch ihre Unterstützer*innen und das internationale, mediale Interesse meist glimpflich davon kamen, traf es die anarchistische Bewegung besonders hart. In diesem Zeitraum organisierten Anarchist*innen zahlreiche, illegale Kundgebungen, Flashmobs und andere öffentliche Aktionen. Gleichzeitig fanden eine Vielzahl direkter Aktionen gegen kapitalistische und staatliche Symbole statt, wie etwa der Angriffe auf die russische Botschaft in Minsk im Spätsommer 2010 und die Zentrale des KGB einige Wochen darauf. Alle Aktionen zogen massive Repressionswellen nach sich. Veranstaltungen wurden gewaltsam aufgelöst, eine Vielzahl von Wohnungen durchsucht und Dutzende Aktivist*innen oft mehrmals hintereinander verhaftet. Schlussendlich wurde 6 von ihnen im Mai 2011 der Prozess gemacht, wobei ihnen alle bekannten Aktionen zur Last gelegt wurden, unabhängig ob eine konkrete Beteiligung nachgewiesen werden konnte. Die Aktivist*innen wurden zu Haftstrafen zwischen 3 und 8 Jahren verurteilt, lediglich einer der sechs, Pavel Syramolatau konnte durch ein Gnadengesuch an den Präsidenten im vergangenen September seine Entlassung erreichen. Da an ein solches Gesuch ein umfassendes Schuldeingständnis gekoppelt ist, verweigern die noch einsitzenden Aktivist*innen diese Möglichkeit vehement.

Dieser Umstand wiegt umso schwerer, als das sich die inhaftierten Aktivist*innen auch keiner großen Unterstützung seitens internationaler NGOs und Menschenrechtsorganisationen gewiss sein dürfen, wie etwa im Fall der inhaftierten Präsidentschaftskandidaten. Die Verfolgung von Anarchist*innen findet, wenn natürlich auch in anderer Intensität, auch in „demokratischen“ Staaten statt und ist somit auch in Diktaturen nicht kritikwürdiger als anderswo. Schließlich zieht auch in Weissrussland die Taktik, radikale Bewegungen als Kriminelle und Terroristen zu diskreditieren, also als Menschen, die keine hehren Ziele antreibt und somit auch keine besondere Unterstützung verdienen.

Dennoch hat sich mit ABC Belarus eine handlungsfähige Organisation gebildet, die aller Repression zum Trotz die Gefangenen und deren Familien praktisch und materiell unterstützt und darüber hinaus versucht das Thema lokal und international präsent zu halten. Die zur Zeit laufende Infotour soll an diese Arbeit anknüpfen. Daneben ist die Tour auch explizit als „Fundraising Tour“ konzipiert, also mit dem Ziel möglichst viel Geld für die Betreuung der Gefangenen, die anfallenden Repressionskosten und allgemein die anarchistische Bewegung vor Ort zu sammeln.

Radiobeitrag: Die politischen Gefangenen in Weißrussland und die Arbeit von ABC Belarus

 

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