Redebeitrag „Militant oder Macker außer Rand und Band?“

Wir wurden gebeten unseren Redebeitrag vom 03. 04. (NOPE-Demo) online zu stellen. Dieser Bitte kommen wir natürlich gerne nach und hoffen, dass sich eine konstruktive Diskussion entfaltet.

Militant oder Macker außer Rand und Band?

Am 27.03. zog eine Spontandemonstration im Anschluss an die NOPE-Demo durch die Dresdner Neustadt, die von einigen Teilnehmenden der FAU als politisch unhaltbar empfunden wurde. Wir sind beschämt über diese kopflose Aktion, die Menschen verletzt und viel politisches Porzellan völlig grundlos zerschmissen hat. Vor Ort selbst waren wir vor Wut und Ekel den Tränen nah und hoffen auf das Verständnis und die Reflektion unserer Genoss_innen.

Was ist passiert?

Direkt nach der Abschlusskundgebung der NOPE-Demo am 27.03., bei der auch die Toten Hosen Support leisteten, formierte sich spontan noch eine Minidemo durch die Neustadt. Voran lief ein schwarzes Blöckchen. Diese Spontandemo wurde im Laufschritt und mit viel Pyrotechnik durchgeführt. Durch die Mischung aus Pyro, Tempo, Männerdominanz und kehlige Sprechchöre empfanden wir die Außenwirkung eher wie einen aggressiven Lynchmob, der genauso gut Dynamo-Parolen hätte rufen können. Aus der Demo heraus kam es zu einer Entglasung des Kiezklubs und zwei Verletzten unter Passant_innen. Einer davon ist nach Aussagen mehrerer Freund_innen vor Ort selbst Antifaschist. Er wurde Opfer einer Eskalation, als er sich Aktionen entgegen stellen wollte, die er für nicht zweckmäßig hielt.

Inszenierung vs. politisches Ziel

Wir sprechen uns dafür aus, dass bei politischen Aktionen Klarheit über die Ziele und den gewünschten Effekt erlangt wird, welche dann in der Aktion nach Möglichkeit umgesetzt werden. Es ist klar, dass diese bei spontanen Aktionen nicht vorher diskutiert und abgestimmt werden können. Trotzdem kann mensch vor und während solcher Aktion mitdenken und durch das eigene Verhalten oder Meinungsäußerung das Ziel deutlich machen.

Bei der Sponti letzten Montag haben wir nun folgendes wahrgenommen: Gefährdung von Passant_innen, u.a. Kindern, von Hunden, von arglosen Teilnehmenden der Sponti selbst und von überhaupt nicht beteiligten Aktivist_innen, die im Nachgang trotzdem von staatlicher Repression betroffen sein können. Die Entglasung und Einschüchterung des Kiezklubs, Darstellung von Aktions- und Gewaltbereitschaft. In diesem Kontext Wasser auf die Mühlen konservativer und rechter Kritiker_innen, sowie Grundlage für herben Spott aus der bürgerlichen Presse.
Wenn dies das Ziel der Demo war, dann wären wir der Aktion gern fern geblieben.

Warum sprechen wir in diesem Zusammenhang von Männerdominanz und Mackertum? Ohne hier zweckfrei Genderdebatten nachskizzieren zu wollen, meinen wir damit ganz konkret: Aggressives, martialisches Gebaren ohne Sinn und Verstand. Wer vermummt sich am dunkelsten, wer legt die rauste und aggressivste Stimme beim Sprechchor an den Tag, wer muss vor aller Augen die krasseste Aktion begehen, wer muss Kritiker_innen mit einem Schlag oder Tritt k.o. setzen? Das Ganze wirkt wie eine Neandertaler-Karikatur: Wer am heftigsten die Keule schwingt, hat das politisch größte Gewicht. Ja, es wäre schön, wenn unser sozialisiertes Geschlecht nicht mehr diese Relevanz hätte und ja, es gibt genug gute Gründe für Vermummung. Aber was soll diese grundlose Selbstinszenierung?

Wir dachten wir schließen uns einer Sponti an, die für die Rechte von Geflüchteten und für massenhaften Antifaschismus einsteht und diese Werte über die angemeldete Demo hinaus noch einmal in die Neustadt trägt. Eine Sponti die auch dafür wirbt, öfters wieder auf die Straße zu gehen. Tatsächlich hat diese Sponti diese Ziele massiv beschädigt.

Eigentlich ist Anschlussfähigkeit in aller Munde. “Leute lasst das Glotzen sein, reiht euch in die Demo ein!” ist ein vielgerufener Sprechchor und fiel auch während der Sponti. Auch sonst wird immer wieder davon gesprochen, dass mensch sich mehr Leute bei den Demos wünscht.

Dieses Motto war bei dieser Spontandemonstration jedoch mehr als unglaubwürdig. Das fängt dabei an, wenn eine Demonstration sofort losrennt ohne Rücksicht auf die Gruppe. Das wirkt nicht gerade souverän und viele Leute bekommen es so schnell nicht mit oder kommt nicht hinterher.

Das schwarze Blöckchen und der aggressive Aufzug ziehen eine klare Grenze zwischen dem Mob und dem Rest auf der Straße. Die kopflosen Aktionen und die völlige Eskalation lassen viele Leute schnell verschwinden: Leute mit Verantwortung, die nichts riskieren können, oder die sowieso schon Angst vor den Cops haben. Übrig bleibt ein kleiner Haufen, der sich dann darüber aufregt, dass er allein ist.

Militanz und direkte Aktion bedeuten für uns, NICHT an einen Staat und seine Institutionen zu appellieren und darauf zu warten, dass sich etwas ändert. Solche Aktionen sind unserer Meinung nach legitim. Gewalt gegen Mitmenschen jedoch, auch wenn sie auf der anderen Seite eines politischen Konflikts stehen, sollte aus Humanismus heraus eine kalkulierte letzte Option sein. Das soll im Klartext heißen: Gewalt aus dem Mob heraus gegen Einzelpersonen ist fast nie zu tolerieren!

Des Weiteren sind öffentliche Proteste denkbar ungeeignet, um direkte Aktionen zu forcieren.
Einerseits befördern solche Situationen ein Hochschaukeln und Unübersichtlichkeit. Das kann zu Fehleinschätzungen und Handlungen führen, die später als untragbar empfunden werden oder die mensch gut mit anderen Mitteln hätte lösen könnte. Andererseits sollten direkte Aktionen möglichst den Schaden für unbeteiligte Dritte ausschließen. Das ist mit Bengalos und LaBombas eher nicht der Fall, wenn sich zB. Kinder und Hunde in der Nähe befinden. Außerdem war durch die aufgeheizte Stimmung die Äußerung von vertretbaren politischen Meinungsverschiedenheiten nicht mehr möglich.

Schließlich gefährdet mensch sich und andere Genoss_innen durch Aktionismus in diesem Setting selbst. Das rücksichtslose vorneweg rennen der Sponti, hatte viele zerstreute Teilnehmende zur Folge, die wohl eine gute Angriffsfläche geboten hätten. Das Risiko erwischt oder gefilmt zu werden, in eine Aktion einbezogen zu werden die mensch so nie erwartet hätte, oder von Zivilpolizist_innen festgesetzt zu werden war sicher höher als bei einer durchgeplanten klandestinen Aktion.

Die Ziele sollen im Weg erkennbar sein!“

Wollen wir Menschen überzeugen, für eine Welt ohne Staat und Kapital zu kämpfen, sind wir heutzutage in der Beweispflicht, dass dies möglich ist. Schließlich ist es nicht unser Ziel, wie Rattenfänger_innen mit einem fernen sozialistischen Paradies zu locken, sondern mit grundlegend anders gestrickten Strukturen und Konzepten zu überzeugen.

In diesem Sinne dürfen, ja müssen von einer emanzipatorischen Bewegung gewisse Dinge zu erwarten sein, nämlich:

  • dass unsere Aktionsformen mit unseren Aktionszielen in Einklang stehen
  • dass politischen Aktionen so integrativ wie möglich sind
  • dass die Gefährdung der Teilnehmenden und Unbeteiligter minimiert wird
  • dass Feminismus mehr als Retweet ist, sondern in unserem reflektiertem Verhalten erkennbar ist
  • dass Aktionen auf Sachlichkeit, Verhältnismäßigkeit und Vermittelbarkeit überprüft werden
  • und dass die Einschränkung von Freiheit und Unversehrtheit Anderer eine ultima ratio bleibt!

Mit dieser Sponti wurde ein bürgerliches Klischee bestärkt: die Linksradikalen als wütender Mob, die zu keiner Diskussion bereit sind. Von so etwas haben wir wirklich schon genug in der Welt.

Wir wollen hier kein Urteil zu direkten Aktionen gegen den Kiezklub fällen. Auch wollen wir nicht spontane direkte Aktionen generell verurteilen – uns fallen eine Menge guter Gründe ein, in denen mensch genötigt ist, spontan und couragiert zu handeln. Die Frage ist nur, ob eine Aktion genauso gut in einem besseren Setting stattfinden könnte oder unmittelbar notwendig ist.

Dies ist leider nicht unser erster Textbeitrag zu Verhaltensweisen auf Demonstration. Traurig macht uns, dass viele Kritikpunkte sich in den Texten doppeln. Der Verdacht bestätigt sich, dass die Kritik an denen vorbei gezogen ist, die sich unserer Meinung nach problematisch verhalten.

Uns stellt sich daher die Frage, wie wir in Zukunft damit umgehen. Ob wir unseren Widerspruch vielleicht eben nicht nur in Auswertungstexten, sondern besser ganz unmittelbar auf der Straße formulieren müssen. Gelten wir damit dann als “Nestbeschmutzer_innen” – oder werden wir selbst das nächste Mal auf der Straße liegen?

AG Antifa der FAU Dresden

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