Redebeitrag auf der Solidarität mit Afrin Demo

Liebe Genoss*innen, liebe Freund*innen,

Als Föderation deutschsprachiger Anarchist*innen blicken wir mit Zorn und Entsetzen auf die Militäroffensive Erdogans auf Afrin. Seit dem Angriffskrieg auf die kurdischen Gebiete Nordsyriens legt sich ein dunkler Schatten über uns.

Die Kurdische Bewegung hat in Rojava die fortschrittlichsten Gesellschaftsstrukturen der Region etabliert, die in ihrer Strahlkraft bis weit nach Mitteleuropa reichen und uns als leuchtendes Vorbild und Quelle der Inspiration dienen. Neben dem basisdemokratischen Entscheidungssystem, dessen Entstehung erheblich durch Frauen vorangetrieben wurde, wurden ihnen auch die gleichen Rechte wie Männern zugesichert. Es wird in allen Bereichen eine 40% Geschlechterquote angestrebt. Ziel ist es, dass Frauen sowohl öffentlich, als auch privat gleichgestellt sind. Darüber hinaus wurde mit der YPJ ein eigener Frauenkampfverband geschaffen. Mit der „The Queer Insurrection and Liberation Army“ kämpfte in Raqqa außerdem eine Queer Anarchistische Miliz für die Freiheit Rojavas. Darin zeigt sich die Bedeutung, welche das Projekt des Demokratischen Konförderalismus für die Emanzipation der Frauen der Region hat.
Weltweit ist der Kampf der Kurdischen Frauen ein Stern am Himmel der Emanzipation, der nun zur Zielscheibe für die islamistischen Wahnvorstellungen Erdogans geworden ist.
Diese Errungenschaften sind nun durch die türkische Invasion massiv bedroht. Die islamistische AKP vertritt zutiefst patriarchale Ansichten und arbeitet daran konservative Geschlechternormen politisch zu legitimieren. So äußerte Erdogan bereits mehrfach, dass Frauen als Mütter und im Haushalt ihren Männern zu dienen hätten. 2016 hob Erdogan positiv die Funktion des Harems hervor, wie es ihn im Osmanischen Reich gegeben hatte.
Bei der Betrachtung der Äußerungen Erdogans und anderer AKP-Funktionäre wird deutlich, welche folgen der türkische Angriffskrieg für die Bewohnerinnen Afrins haben wird. Darüber hinaus kämpfen dschihadistische Gruppierungen an vorderster Front für die Türkei. Dort kämpfen Menschen die zuvor für die Al-Nusra Front, einen Al-Qaeda-Ableger und den Islamischen Staat gekämpft haben. Für diese haben Frauen endgültig keinerlei Rechte mehr. Von ihnen wurden in der Vergangenheit Verbrechen wie Menschenhandel und Sklaverei, Vergewaltigung begangen. Wir haben die Sorge, dass sich Solche Verbrechen dort Wiederholen.

Die Demokratien der Welt zeigen wieder einmal wieweit es mit ihrem aufklärerischen Anspruch her ist, wenn sie den kämpfenden Kurdinnen in den Rücken fallen. Eben jenen Kurdinnen die noch gestern mit ihrem Leben für das einstanden, für das sich auch die hiesige Demokratie stets zu rühmen sucht: Freiheit für die Menschen und Gerechtigkeit unter den Geschlechtern.
Fast jeder Staat hat „Sicherheitsinteressen“ im Nahen Osten. Im Falle Deutschlands ist das gleichzusetzen mit dem wirtschaftlichen Interesse, Waffen und Panzer an die Türkei zu liefern. Die NATO sieht tatenlos dabei zu, wie eines ihrer Mitglieder einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg führt. Die Werte der Aufklärung wie Menschenrechte, Demokratie und Geschlechtergerechtigkeit werden hier als leere Worthülsen entlarvt, einzig dazu da, staatliche Herrschaft zu legitimieren und sich in einem Gefühl von westlicher Überlegenheit zu suhlen.

Ich stehe heute hier in Frankfurt und freue mich über jeden Menschen, über jede Genossin, die mit mir zusammen ihre Wut über den Verrat des Westens an den Kurdinnen zum Ausdruck bringt. Und doch wundert es mich, dass wir so wenige sind, dass die Invasion der Türkei keine Welle öffentlicher Empörung auslöst. Die demokratische Maske der Türkei ist längst zerrissen und Erdogan streckt seine Finger machthungrig nach Nordsyrien aus. Währenddessen schweigt die bürgerliche Presse sich aus, wird in Talk-Shows ignorant über die neue GroKo diskutiert und Gabriel bewilligt Rüstunsgexporte in die Türkei. Exporte mit Waffen, die in diesem Krieg, in dieser Stunde gegen unsere kurdischen Schwestern eingesetzt werden! Wo bleibt der öffentliche Aufschrei?

Währenddessen stellen sich große Teile der türkischen Gemeinschaften der BRD als Advokaten Erdogans auf. Als deutsche Linke müssen wir den Schulterschluss mit unseren kurdischen und türkischen Genossinnen suchen, um den nationalistischen Umtrieben einhalt zu gebieten und ein politisches Gegengewicht zu werden.

„Freiheit und Recht stehn auf der Schanze“ schrieb einst der anarchistische Dichter Erich Mühsam und fand damit die passenden Worte um heute die katastrophale Situation in Rojava zu beschreiben.
Die Handlungsmöglichkeiten für uns als Linke in Deutschland sind begrenzt, doch können wir wenigstens versuchen, die Unterstützung der AKP durch die Bundesregierung und den Krieg gegen die Kurdinnen zu einem unkalkulierbaren Risiko zu machen. Wir dürfen nicht ruhen, keinen Stein auf dem anderen lassen, bis dieser Krieg beendet ist! Realpolitische Ziele zu formulieren birgt immer das Risiko die Folgen tragen zu müssen. Doch angesichts der Zustände die wir vorfinden, angesichts der Barbarei und der Regression, angesichts des kurdischen Blutes, das auch in dieser Stunde vergossen wird, ist es für uns keine Option nicht zu handeln.

Wir verlangen ein sofortiges Ende der Türkischen Invasion und die sofortige Einstellung aller Rüstungsexporte Deutschlands in die Türkei
Wir verlangen die Unterstürzung Rojavas durch humanitäre Hilfe.
Wir verlangen die Anerkennung der Demokratischen Förderation Nordsyriens
Und wir verlangen die sofortige Entkriminalisierung kurdischer Organisationen in der BRD.

Das verlangen wir und nicht weniger!