Redebeitrag auf der #FFF-Demo am 15.03.
Die unten stehende Rede wurde am 15.03.2019 auf der #FridaysForFuture-Demo von eine*r Gefährt*in der IABF gehalten. Hiermit möchte wir die Rede auch breiter zugänglich machen und dokumentieren, die einen unserer Beiträge zur FFF-Bewegung darstellt:
Ich möchte mit euch über unsere Zukunft reden. Denn ich denke nicht, dass diese allein davon abhängt, ob wir es schaffen, den Klimawandel aufzuhalten. Ich bin der Überzeugung, dass dazu noch weitaus mehr gehört. Es ist natürlich kein schönes Thema, denn oft verursacht die Größe dieser Probleme ein Gefühl der Überforderung. Aber schaut euch um, niemand von uns muss mit dieser Überforderung alleine sein, also lasst uns die Probleme benennen, angehen und füreinander da sein. Die meisten Probleme von denen ich hier bisher so abstrakt rede, sind eine Folge des Wesens unserer Wirtschaft und unseres Zusammenlebens, des Wesens, das sich so tief hineingegraben hat in jeden Winkel unseres Lebens. Wir nennen es Kapitalismus, weiterführend ist es allerdings ein gesamtes System von Herrschaft und Unterdrückung jeder Art, von der Kapitalismus nur ein Teil, eine Ausprägung ist. Andere Ausprägungen sind der Faschismus oder auch der Staatssozialismus, wenngleich beide nicht miteinander zu vergleichen sind.
In dem Sinne möchte ich euch an dieser Stelle kurz vor anderen nach Herrschaft und Macht trachtenden Gruppen warnen, die sich hier seit einigen Wochen in die Demo gemischt haben. Autoritär-kommunistische oder gar stalinistische Gruppen wie die SDAJ, Rebell und die FDJ – jeweils Jugendorganisationen von leninistischen bis stalinistischen Parteien, oft Teil des kümmerlichen Rests von Menschen, die immer noch der Unterdrückung in der DDR, der Sowjetrepublik und anderen Diktaturen des Proletariats nachtrauern. Lest ihre Flyer mit kritischem Hinterfragen, glaubt nicht jeden Stuss, den sie euch aufbinden wollen und informiert euch und eure Freund*innen. Zur Überwindung des Kapitalismus sind wir auf solche ewig gestrigen autoritären Strukturen und ihre Machtphantasien nicht angewiesen. Im Gegenteil, es gibt genug andere anarchistische oder auch libertär-kommunistische Ansätze und Strömungen, die mit den Methoden dieser Organisationen nicht am Hut haben.
Aber widmen wir uns lieber wieder den nicht so marginalen Problemen des Kapitalismus. Da hier weder die Zeit, noch der Ort für eine ausreichende Beschäftigung mit diesem Problemfeld ist, möchte ich es am aktuellen Fall der Anschuldigungen festmachen, die gerade in einigen Medien gegen Luisa von der Bundesorga erhoben werden. Allein hier kann schon klar werden, warum Klimaschutz und die Abschaffung des Kapitalismus unbedingt zusammen gehören und zusammen gedacht werden müssen. Einige spitzfindige Menschen klagen, dass Luisa Flugzeuge nutzt. Ungeachtet der ganz eigenen Gründe, die sie dafür sonst noch hat, offenbart die Art und der Zeitpunkt davon den rückschrittlichen Geist und die Absicht derjenigen, die diese Anschuldigungen erheben. Dies dient nur der Delegitimierung von legitimen Prostet.
Denken wir die Sache doch einmal etwas durch: Wenn wir in eine andere Region reisen wollen, besonders eine weit entfernte, dann sind wir unter den Leistungszwängen, die unmittelbar mit dem Kapitalismus einher gehen, schlicht auf schnelle Transportmittel angewiesen. Tag für Tag, Woche für Woche, werden wir dazu genötigt für irgendetwas einen Teil unserer Zeit und unseres Lebens herzugeben. Zuerst büffeln wir wie Verrückte in der Schule, obwohl wir unter der gegebenen Politik und dem Klimawandel nicht einmal sicher sind, für welche Zukunft wir das tun. Danach geht es weiter in Ausbildung oder Universität und sobald wir diese abgeschlossen haben, sollen wir am besten direkt mit dem Berufsleben starten. Während all diesen Zwängen haben wir dann kaum noch Zeit für unsere Träume, denn der nächste Termin, die nächste Prüfung oder die Vorladung zum Jobcenter, um unsere Grundsicherung nicht auch noch zu verlieren, warten schon. Haben wir reiche Eltern, können wir uns mit diesem Privileg und etwas Glück vielleicht ein wenig Zeit erkaufen und durch die Welt reisen. Vielen steht dieses Privileg allerdings nicht offen. Während all dieser Arbeit entfernen wir uns von unserem eigentlich möglichen Leben, ein Leben, das wir gemeinsam aushandeln und dabei aufeinander achten.
Es ist unser gutes Recht durch die Welt zu reisen, dabei zu lernen und andere Kulturen und Lebensentwürfe kennenzulernen. Nicht alleine, dass das so schon schön ist. Ich bin davon überzeugt, dass diese Form des Kennenlernens des Fremden eine der wenigen wirksamen Sachen ist, um wirkliche Weltoffenheit zu erlangen und fremde Menschen zu schätzen, ganz unabhängig ihrer Hintergründe, ihrer Angewohnheiten und Eigenarten.
Kommen wir also nun zurück zu Luisa, an deren Einzelfall ich die Systematik aufzeigen möchte. Mit welcher Zeit soll sie und alle anderen dies denn bitte tun? All die, die reisen und die Welt mit eigenen Augen und offenem Geist erkunden wollen? Mit dem Verzicht auf das Flugzeug sind wir angewiesen auf andere Reiseformen. Ob mit dem Fahrrad, per Anhalter oder öffentlichem Nah- und Fernverkehr: Es braucht schlicht wesentlich mehr Zeit. Und wer entschuldigt uns dann, wenn wir deswegen zu spät oder gar nicht zu unseren Terminen, Prüfungen und Vorladungen erscheinen? Niemand! Eher würde man uns Anprangern für unsere Rücksichtslosigkeit, dafür, dass wir unser Leben gelebt und unsere Träume verwirklicht haben! Man prangert uns ja bereits jetzt an, weil wir aus einer aufgezwungenen Notwendigkeit für unsere Zukunft kämpfen, während alle Politik hier scheinbar versagt.
So betrachtet hört sich das vielleicht absurd an, eigentlich sollte so etwas möglich sein. Und ja, es ist auf viele Arten auch wirklich absurd. Doch so funktioniert die Art und Weise wie wir in der kapitalistischen Welt denken. So werden wir von uns, unseren Träumen und den Menschen um uns herum entfremdet. Mit welcher selbstverständliche Arroganz, welcher weltfremden Ignoranz dies geschieht – es ist mir unverständlich.
Ich lade euch deswegen ein, gemeinsam weiter zu gehen, weiter zu machen. Lasst uns miteinander über unsere Wünsche, Träume und Bedürfnisse reden. Lasst uns schauen, wie wir diese kaputte Welt zu einem besseren Ort für alle machen können. Klimaschutz ist Teil dieses Kampfes, alleine wird er jedoch nicht genügen. Alleine, losgelöst gedacht von all den anderen Problemen, wird er vermutlich nicht einmal effektiv machbar sein. Wir müssen diese Kämpfe zusammen denken. Es gibt keinen Weg daran vorbei, wenn diese Welt überleben soll: Entweder der Kapitalismus wird überwunden oder die Menschheit hat den größten Teil ihrer Geschichte geschrieben und vernichtet dabei nicht nur sich selbst, sondern mit sich so viel von dem anderen wundervollen Leben auf dieser Welt. Es ist Zeit zu handeln. Jetzt.