Redebeitrag auf dem Rock gegen Rechts 2011
Redebeitrag Rock gegen Rechts Ludwigsburg
Ich möchte euch alle herzlich auf dem zweiten Rock gegen rechts in
Ludwigsburg begrüßen! Es ist schön und wichtig, daß wir so zahlreich
zusammengekommen sind, um ein sichtbares Zeichen gegen Rechts zu
setzten!
Ich werde jetzt für das libertäre Bündnis Ludwigsburg einen Redebeitrag halten über:
Naziaktivitäten im Umkreis von Ludwigsburg und was diese mit dem Staat und der ganz „normalen“ Gesellschaft zu tun haben.
Im diesem Jahr gab es im Umkreis von Ludwigsburg alarmierend viele
Naziaktivitäten, die Zeugnis von einer zunehmenden Organisation und
Verankerung rechten Gedankenguts ablegen.
In Ludwigsburg hetzt die Anti-Antifa auf ihrer Homepage gegen linke
AktivistInnen, in der Rock Fabrik treffen sich immer noch ungestört
Nazis zum Feiern.
Mit Aufklebern und Sprühereien versuchen sie, ihr menschenverachtendes Weltbild zu verbreiten.
Was passiert, wenn dieser Haß, auf alles, das anders oder fremd ist,
in die Tat umgesetzt wird, haben wir in den letzten Monaten in der Region erlebt.
Im März schoss ein Neonazi in Leonberg mit einer Gaspistole einem jungen Antifaschist in das Auge.
Bereits in Vorjahr überfielen die zum Teil selben Täter eine antifaschistische Kundgebung.
Der Rems-Murr-Kreis ist seit Jahren eine Gegend,
in der rechtstorientiere Einstellungen und Übergriffe toleriert oder bagatelisiert werden.
So verwundert es nicht, daß gerade hier, in einer Gartenlaube bei
Winterbach, ein kaltblütiger Brandanschlag von Neonazis auf eine Gruppe
von Jugendlichen mit Migrationshintergrund verübt wurde.
Im Mai demonstrierten über 800 Faschisten aus ganz Süddeutschland in Heilbronn.
Hier wurde von Seiten der Polizei zum Wegschauen aufgerufen, bis die
braunen Ufos wieder weg sind – denn ein Naziproblem gibt es in Heilbronn
ja angeblich nicht!
Im Juni fand in Stuttgart ein mehrtägiges Programm der
islamophob-rassistischen Organisationen “Politically Incorrect – News”
und
“Bürgerbewegung Pax Europa e.V.” statt, das durch Proteste massiv gestört und behindert wurde.
Die Reaktion der betroffenen Städte und der staatlichen Organe darauf lautet nur zu oft und immer öfter:
Konsequente Unterbindung und Kriminalisierung – aber eben nicht der Naziaktivitäten, sondern der antifaschistischen Arbeit.
In Heilbronn etwa erließ die Stadt ein allgemeines Versammlungsverbot in
der Bahnhofsvorstadt, hob also in diesem Stadtteil fundamentale
Grundrechte aller Anwesenden auf – außer denen der Nazis.
Fast 4000 Polizisten (das größte Polizeiaufgebot der Heilbronner
Nachkriegsgeschichte) schützten die Nazidemonstration, während mit ca.
500 über die Hälfte aller Gegendemonstranten des Blockadebündnisses in
Kesseln und Sammellagern festgesetzt wurden.
In Stuttgart wurde vor wenigen Tagen ein Antifaschist zu 11 Monaten Haft verurteilt, weil er im Zuge der Gegendemonstration gegen Pax Europa mit anderen zusammen die Rednerbühne besetzte.
Als es einem breiten Bündnis aus “ganz normalen Bürgern”,
verschiedenen Parteien und Gewerkschaften sowie Antifaschisten im Febuar
gelang,
zum zweiten Mal in Folge den europaweit größten Naziaufmarsch in Dresden zu verhindern,
wurde unter anderem eine Funkzellenabfrage durchgeführt, bei der fast 900,000 “Verkehrsdatensätze” erfaßt wurden:
Telefonate und SMS von Anwohnern und Demonstrationsteilnehmern, unter diesen auch Journalisten und Abgeordnete.
Das repressive Vorgehen gegen Antifaschisten wird von staatlicher Seite mithilfe der “Extremismustheorie” gerechtfertigt.
Der Extremismusbegriff faßt vollkommen unterschiedliche Weltanschauungen
und politische Strömungen unter einen Begriff zusammen und setzt sie
dadurch miteinander gleich:
Während alle (!) “Extremisten”, ob links oder rechts, sich gemäß dieser “Theorie” durch die – ich zitiere –
“grundsätzliche Ablehnung gesellschaftlicher Vielfalt, Toleranz und
Offenheit” auszeichnen sollen, ist die “Mitte” angeblich entsprechend
“demokratisch”, offen und tolerant.
Das ist aus so vielen Gründen völliger Schwachsinn, daß ich gar nicht
alle hier aufzählen kann, und mich auf zwei ganz wesentliche beschränken
will:
1.Man kann eine Weltanschauung, die an die grundlegende Gleichheit aller
Menschen glaubt, egal welcher Hautfarbe, welchen Geschlechts, welcher
Bildung, und deren Vertreter dafür kämpfen, diese Gleichheit in der Welt
zu verwirklichen,
nicht gleichsetzen mit einer Ideologie, die von der fundamentalen
Ungleichheit aller Menschen ausgeht, von “lebensunwertem Leben” spricht,
und gegen alle von ihr verachteten Gruppen massive Gewalt anwendet!
Seit 1990 sind in Deutschland über 140 Menschen von Nazis getötet worden.
2. Die hochgepriesene “Mitte” ist alles andere als tolerant, sondern
vertritt in erschreckendem Ausmaß Einstellungen, die man als Elemente
der Nazi-Ideologie bezeichnen kann:
Rassismus, Antisemitismus, Sexismus, die Abwertung von sozial
Schwächeren, Autoritarismus und Verharmlosung, wenn nicht Verherrlichung
des Nationalsozialismus.
So stimmt grob ein Drittel der Bevölkerung der Aussage zu, Deutschland
sei “durch die vielen Ausländer in gefährlichem Maß überfremdet”;
über 10% wünschen sich wieder “einen starken Führer”, der „Deutschland zum Wohle aller mit harter Hand regiert“; und so weiter.
Und gerade die Besserverdienenden treten bevorzugt “nach unten”: Fast
60% von ihnen finden es “empörend”, dass “sich Langzeitarbeitslose auf
Kosten der Gesellschaft ein bequemes Leben“ machen würden.
Dieser massive Trend zur Entsolidarisierung der Mittelschicht hängt
eng zusammen mit dem Abbau des Sozialstaats und “der Krise”.
Diese führt dazu, daß die Reichen immer Reicher und die Armen immer
ärmer sowie die Mittelschicht immer kleiner wird und erzeugt so immense
Abstiegsängste bei der Mittelschicht.
Statt diese jedoch in Solidarität umzusetzen, gemeinsam für eine bessere
Gesellschaft zu kämpfen, erfolgt die Abwertung der Schwächeren:
Zum einen innerhalb der deutschen Gesellschaft,gegenüber Arbeitslosen
und Migranten. Zum zweiten innerhalb Europas, wo die als „faul“
beschumpfenen Griechen selbst für ihr Elend verantwortlich gemacht
werden das die deutsche Export-Politik wesentlich mitverursacht hat und
von dem deutsche Banken als Groß-Gläubiger satt profitieren.
Zum dritten gegenüber dem Rest der Welt, wenn Migranten als
„Wirtschaftsflüchtlinge“ verunglimpft und mit brutaler Gewalt aus der
Festung Europa herausgehalten werden.
Aber darüber sollte man sich in einem Land, in dem Thilo Sarrazins Buch
“Deutschland schafft sich ab” innerhalb von fünf Wochen über 1 Million
mal verkauft wurde, wahrscheinlich nicht wundern.
Nur auf dieser Basis können europaweit Rechtspopulismus und Nazistrukturen so gut gedeihen, wie sie es tun.
Und vielleicht erklärt auch diese Basis der Nazis in der “Mitte” der
Gesellschaft, warum so viele NS-Verbrechen ungesühnt blieben. Oder warum
heute immer wieder neue “Anti-Terror-Gesetze” erlassen werden, wenn
„islamistische Terroristen“ aktib sind,
während rechtsradikale Gewalt und selbst Terrorangriffe wie in Norwegen
lediglich “Betroffenheit” erzeugen, aber kein konsequentes Vorgehen
gegen Nazistrukturen.
Dem wollen wir hier und überall, heute und immer, Solidarität und den
Kampf für eine solidarische und libertäre Gesellschaft entgegensetzen:
Für eine Gesellschaft, in der alle Menschen gleich welcher Herkunft gleichberechtigt und selbstbestimmt leben können!
Gegen Nazis, aber nicht nur gegen Nazis,
sondern gegen die unwürdigen Lebensumstände von so vielen Menschen in
diesem Land und weltweit, gegen die Abwertung “anderer” oder
“schwächerer” Menschen, und gegen die Ursachen dieser beschissenen
Zustände.
Und deshalb heißt unsere Aktion heute auch “Rock gegen Rechts” und nicht
“Rock gegen Neonazis” oder “Rock gegen Rechtsextremismus”.
Für die Freiheit! Für das Leben! Nazis von der Straße fegen!
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