Integration
Reden wir über Integration – aber überlegen wir zuerst worüber wir eigentlich reden
Spätestens seit den Fluchtbewegungen 2015/16 und den darauf folgenden
politischen Auseinandersetzungen dürfte der Begriff Integration den
meisten Menschen bekannt sein.
Viel wurde und wird in der Öffentlichkeit und in Hinterzimmern darüber
diskutiert. Doch die undifferenzierte allgemeine Verwendung des Wortes
Integration birgt die Gefahr, dass er in seiner Bedeutung eingeschränkt
und verfälscht wird, oder gar schon ist.
Begriffsherkunft und wissenschaftliche Einordnung
Das Wort Integration ist dem lateinischen Begriff integrare entlehnt. Der Begriff integrare wird mit erneuern, ergänzen oder auch geistig auffrischen übersetzt.
Allein die Übersetzung der Herkunftsbegriffes zeigt im Bezug auf die allgemeine Verwendung einige Ungereimtheiten auf. Um diese genauer zu beleuchten sehen wir uns den Begriff Integration in einem sozialwissenschaftlichen Kontext an und ordnen ihn ein.
Wie die Begriffsübersetzungen ob zeigen, geht es bei der Integration stets um die Erneuerung oder Ergänzung von etwas Bestehendem. Da wir uns dem Thema über die Diskussion über Geflüchtete genähert haben, ist das bestehende in diesem Fall die vorhandene Gesellschaftsstruktur. Diese Gesellschaftsstruktur setzt sich aus unterschiedlichsten Aspekten zusammen: in unserem Fall unter anderem aus politischen, kulturellen, sozialen und religiösen. Manche dieser Aspekte sind relativ klar geregelt, über andere finden seit hunderten Jahren Auseinandersetzungen, inhaltliche Verschiebungen und Veränderungen statt. All diese Aspekte sind in einer Gesellschaft nicht statisch.
Der Begriff Integration beschreibt, wie in einer sozialen Struktur verschiedene Positionen und Einstellungen zusammengeführt werden. Dabei spiegelt die Ausgangslage lediglich eine Position von vielen wieder. Die Integration fordert eine Gegenüberstellung und einen Austausch der unterschiedlichen Positionen, um über die Berücksichtigung dieser zu einer neuen, für alle Beteiligten tragbaren Position zu gelangen.
Weitere gesellschaftspolitische Möglichkeiten
Der oben beschriebene Vorgang zeigt, dass Integration kein festes
Ziel haben kann und lediglich im Zusammenhang im stetigen Veränderungen
und Erneuerungen zu sehen ist.
Sollten nicht alle drei Aspekte (Konflikt, Auseinandersetzung,
gemeinsame Übereinkunft) erfolgen, handelt es sich nicht um Integration.
Denkbar wäre, dass es sich in diesen Fällen um eine der drei
begleitenden Einordnungen der Integration handelt:
Assimilation: Der Begriff Assimilation bedeutet, dass sich eine Minderheitenposition auflösen und in die Position der Mehrheit übergehen muss. Das bedeutet, dass es eine festgesetzte Position gibt, die alle zur Gruppe hinzukommenden ausnahmslos übernehmen müssen. Ihre eigenen Einstellungen und Positionen finden dabei keine Berücksichtigung.
Segregation: Die Segregation stellt eine klare Spaltung durch verschiedene Positionen dar. Diese kommt beispielsweise zu Stande, wenn sich zwei verfestigte Positionen absolut unvereinbar gegenüber stehen. In diesem Falle werden sich zwei Gruppierungen entwickeln, die nebeneinander existieren.
Marginalität: Die Marginalität tritt dann auf, wenn es verschiedene Positionen gibt, diese in ihrer Wichtigkeit jedoch für den gesellschaftlichen Zusammenhang derart irrelevant sind, dass kein Grund zur Auseinandersetzung gegeben ist. Beide Positionen können somit innerhalb des selben gesellschaftlichen Kontext existieren.
Integration beruht stets auf Gegenseitigkeit, konstruktiver Auseinandersetzung und hat das Ziel, eine für alle beteiligten tragbare Lösung zu finden. Sie steht grundsätzlich für Erneuerung, Veränderung und hat kein statisches Element an sich. Der Ausgangspunkt ist stets die gegenwärtige Situation, der eine Kritik oder gar der Zwang einer notwendigen Veränderung gegenüber steht. Die Voraussetzung, dass Dritte ihrer eigenen Einstellungen aufgeben müssen und die der zweiten Gruppierung kritiklos anzunehmen wird als Assimilation bezeichnet. Die Assimilation ist eng mit der Segregation verknüpft, bei der sich zwei Positionen absolut unvereinbar gegenüber stehen und damit zwei parallele Strukturen entstehen.
Gesellschaftliche Einordnung von Integration
Innerhalb eines lebendigen Gesellschaftsgefüges ist die Integration
allgegenwärtig. Jede Gesellschaft ist durch unterschiedliche Einflüsse
(ökonomisch, ökologisch, sozial, kulturell, etc.) grundsätzlich im
Wandel. Dies bedeutet, dass sie stets vor neue Probleme und
Auseinandersetzungen gestellt wird und ihre Mitglieder Wege finden
müssen, um diese zu lösen. Dieser Vorgang ist eine endloser Prozess.
Für die Gesellschaft sind diese Auseinandersetzungen absolut notwendig.
Um ein Zusammenleben vieler Menschen ermöglichen zu können bedarf es
einer Gesellschaftsstruktur, die zunächst die Grundbedürfnisse ihrer
Mitglieder befriedigen kann und weitergehend persönliche Bedürfnisse
innerhalb der Gemeinschaft zu diskutieren und auf diese eingehen zu
können.
Damit findet Integration vor allem dort statt, wo Probleme auftauchen, an denen Personen mit unterschiedlichen Sichtweisen beteiligt sind. Um Beispiele zu nennen: Wie können alle Gesellschaftsteile am wirtschaftlichen Wachstum beteiligt werden, Tarifkonflikte, die über Arbeitgeber- und nehmervertretungen ausgetragen werden, Migration, kulturelle Vorstellungen, Strukturwandel (z.B. Ende des Kohleabbaus in NRW und die sozialen und strukturellen Folgen). Dies sind wenige Beispiele aus verschiedenen gesellschaftlichen Kontexten, die Aufzeigen, wie wichtig und allgegenwärtig Integration für die Gesellschaft ist.
Politische Einordnung
Der Begriff Integration taucht in der Öffentlichkeit seit geraumer Zeit lediglich in Bezug auf Geflüchtete und Migration auf. Dabei wird der Begriff Integration in vielen Fällen mit Assimilation gleich gesetzt. Diese Gleichsetzung führt zu einer Umdeutung des eigentlichen Inhalts und seiner Aussage.
Diese Umdeutung ist jedoch nicht ungewollt.
Steigende soziale Konflikte innerhalb einer Gesellschaft tragen stets
dazu bei, die Gründe nach außen zu verlagern. Dieses ist Prinzip hängt
mit dem Prinzip des Nationalismus zusammen. Wenn soziale Konflikte
drohen, eine Gesellschaft zu spalten, wird der Grund nach außen
verlagert, um somit die inneren Konflikte zu überlagern und die Einheit
zu stärken.
Das Problem ist, dass dadurch wichtige grundlegende Veränderungen und Auseinandersetzungen verhindert werden.
Die Neue Rechte
Die Neue Rechte, deren Ziel seit den 90er Jahren es ist, den
rechtsextreme Positionen innerhalb der deutschen Gesellschaft wieder
hoffähig zu machen, treibt diese Vorgänge stark voran. Ihre Idee ist es,
durch eine oberflächliche Distanzierung vom Nationalsozialismus und
Nazismus deren Inhalte positiv in der Gesellschaft zu positionieren.
Was mit dem Projekt der Republikaner nach kurzem Hoch in den 90ern
kläglich gescheitert ist, hat in der Identitären Bewegung und der AfD
zumindest momentan ein großes Ventil gefunden. Ihre Ursprünge hat sie in
den 60er Jahren. Ihr Ziel ist es eine intellektuelle Elite zu schaffen,
die selbst nicht direkt politisch agiert, sondern versucht den
öffentlichen Diskurs zu beeinflussen und einen rechten Gegendiskurs zu
den Ideen der 68er-Bewegung voran treibt. Ihr Ziel ist es eine
Verbindung zwischen demokratischem Konservatismus und antidemokratischem
Rechtsextremismus zu schaffen
Flüchtlingswelle, Flüchtlingsströme sind Begriffe, die durch die Neue
Rechte gesetzt wurden. Sie prägen den gesellschaftlichen Diskurs und
verschleiern zusätzlich die zu Grunde liegenden Fluchtursachen. Der
Mensch wird als Raubtier dargestellt.
Genau so wird der Begriff Integration mit der Bedeutung der Assimilation
besetzt, um die eigentliche Ideologie eines völkisch rassistischen
Nationalismus in die Gesellschaft zu tragen.
Um die eigentlichen Absichten zu verdecken, zeigt sich die Neue Rechte in bürgerlichem Antlitz. Ein Beispiel dafür ist eben die Integration. Eine fortschrittliche und positiv konnotierte Idee. Sowohl die Identitäre Bewegung, als auch die AfD benutzen diesen Begriff. Damit stellen sie sich in einen fortschrittlichen Kontext. Ihre Zuschreibung jedoch ist in höchstem Maße reaktionär und rückschrittlich. Götz Kubitschek, einer der wichtigsten Vordenker der Neuen Rechten in unserer Zeit, erklärt ganz offen, wie wichtig dieses taktische Mittel ist, um die bürgerliche Gesellschaft nicht abzuschrecken. Und gleichzeitig, dass er selbst den Begriff der Integration nicht braucht, da er mit Assimilation viel klarer ausdrücken kann, um was es tatsächlich geht.
Fazit
Es liegt an uns allen die positive Idee der Integration zu leben und
zu transportieren. Es liegt an uns allen, eine solidarische
Gesellschaft, in der jeder Mensch seinen Platz findet und geachtet wird,
zu gestalten.
Wer die Umdeutung der Neuen Rechten in der Diskussion übernimmt geht
nicht nur diesen auf den Leim. Er oder sie stellt sich dadurch, ob
bewusst oder unbewusst dem gesellschaftlichen Fortschritt entgegen und
unterstützt reaktionäre und rückwärtsgewandte Kräfte ihre
menschenverachtende Ideologie zu verbreiten und durchzusetzen.
Libertäre Gruppe Karlsruhe - Februar 2018