Entgegnung I – Lampedusa

Als am Donnerstag vergangener Woche wieder hunderte Menschen im Mittelmeer ertranken, ging eine hysterische Welle durch die Medienlandschaft. Alle Welt ist schockiert über die rund 300 Toten und beratschlagt betroffen, was zu tun ist. Ein höchst zweifelhaftes Vorhaben angesichts der Tatsache, dass »die EU (Deutschland vorneweg) mit ihren global überlegenen Unternehmen und subventionierten Waren die afrikanischen und arabischen Ökonomien erfolgreich kaputt konkurriert und den betroffenen Menschen damit ihre Lebensgrundlage nimmt« (1).

Dennoch lässt es sich niemand in Amt und Würden nehmen, seine aufrichtige Betroffenheit kundzutun. »Zuflucht Suchende sind Menschen – und die gestrige Tragödie zeigt das – besonders verletzliche Menschen. Sie bedürfen des Schutzes. Wegzuschauen und sie hineinsegeln zu lassen in einen vorhersehbaren Tod, missachtet unsere europäischen Werte«, so Joachim Gauck am Freitag. (2) Natürlich zeigt sich auch Papst Franziskus schwer empört und sprach von einer »Schande« und einem »Tag der Tränen«. (2) Als ganz besonders moralisch integer präsentierte sich der Ministerpräsident Italiens, Enrico Letta, der in seiner grenzenlosen Güte den Ertrunkenen posthum die italienische Staatsbürgerschaft verlieh. (3) Ein geschickter Schachzug, denn ein toter Flüchtling macht bestimmt keinen Gebrauch seiner neu erworbenen staatsbürgerlichen Rechte. Besonders aufschlussreich, wie kalkulierend mit den Geflüchteten umgegangen wird, ist das Schicksal der Flüchtlinge, die ihre Fahrt über das Mittelmeer überlebt haben. Diese sehen sich nun mit der italienischen Staatsanwaltschaft konfrontiert, die noch bevor die letzten Leichen geborgen waren, bereits Ermittlungen gegen die Überlebenden eingeleitet hat. Der Vorwurf: Illegale Einwanderung, die Konsequenz: bis zu 5000 Euro Strafe. (1)(3)
Es soll schließlich nicht riskiert werden, dass hier ein falsches Signal an die Leidensgenossen der Geflüchteten auf der anderen Seite des Meeres geschickt wird. Die Nachricht ist klar: »In Europa sind Flüchtlinge nicht erwünscht, probiert es gar nicht erst!«. So »ist [es] auch konsequent, daß Fischer nicht helfen und vorbeifahrende Container- und Kreuzfahrtschiffe die Ertrinkenden nicht retten, ihre Hilferufe nicht erhören, da möglichen Rettern harte Strafe droht.« (1)

Die öffentlichen Diskussionen verpassen also eine Einsicht: Die Toten von Lampedusa sind nicht Ausdruck des Scheiterns europäischer Asylpolitik oder eine Frage der Verteilung der Flüchtlinge, wie das Christian Jakob in seinem Artikel »Flüchtlinge fairer verteilen« in der TAZ formuliert (4), sondern die stummen Zeugen erfolgreicher Flüchtlingsabwehr.

Eine Änderung der Asylpolitik ist nicht in Sicht. Wieso auch? Sie funktioniert genau so, wie sie es soll. Die Mehrzahl der Flüchtenden landet, wie es Dublin II vorsieht, in den südeuropäischen Ländern. Die Flüchtlinge, die lebenden wie die toten, sind notwendiges Opfer einer Wirtschaftsweise, die auf Eigentum und Konkurrenz basiert. Die schrecklichen Bedingungen vermitteln genau das abschreckende Bild, das sie sollen.

»Auch wenn es niemand so sagen will: Die nun öffentlich zur Schau getragene Betroffenheit dient nicht den toten Flüchtlingen – wie sollte sie auch. Scham und Trauer gelten dem Ansehen des europäischen Staatenbündnisses, seiner Machthaber und seiner Werte. Angesichts von überdurchschnittlich vielen Grenztoten geht es Presse und Politik um die Wiederherstellung der Glaubwürdigkeit jener Werte, in deren Namen von Afghanistan bis Mali Krieg geführt wird.« (1)

1. www.jungewelt.de/2013/10-08/044.php
2. www.n-tv.de/politik/Papst-prangert-Gleichgueltigkeit-an-article11485786.html
3. www.spiegel.de/politik/ausland/asylpolitik-in-der-eu-wie-europa-sich-abschirmt-a-926573.html
4. taz.de/Ideen-fuer-eine-bessere-Fluechtlingspolitik-3/!125128/

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