„Das Gebet des Wildes“: Jäger*innenlatein vom Feinsten
Die Tage war ich im Wald unterwegs und entdeckte am Wegesrand ein Schild, auf dem ein „Gebet des Wildes“ geschrieben stand. Schon der Titel zeigte mir, woher der Wind wehte.
Hier das „Gebet“ in voller Länge:
Das Gebet des Wildes
Kommst du oh Mensch in dies’ Revier,
vergiss uns nicht wir leben hier.
Sind froh und dankbar, genau wie Du
gibt man uns Frieden und die Ruh’.
Wir bitten Dich, sei darauf bedacht:
Dir sei der Tag – lass uns die Nacht.
Drum wenn die Sonne geht zur Ruh’
verlasse dann den Wald auch Du.
Sei morgens nicht so zeitig hier
sonst störst Du uns und das Revier.
Vom Dämmern bis zum frühen Morgen
da müssen wir für Äsung sorgen.
Gar eng ist unser Paradies,
das uns die Technik übrig lies.
Lass uns die Dickung – bleib Du auf den Wegen
so kommst Du unserer Bitt’ entgegen.
Für Dein Verständnis danken Dir,
das Wild und auch der Pächter vom Revier.
Oberflächlich betrachtet ist das ein Apell an die Waldbesucher*innen, den Lebensraum von wilden Tieren zu respektieren. Das scheint ja erstmal okay zu sein. Schaut mensch genauer hin, wird daraus etwas ganz anderes. Nämlich ein Aufruf von Jäger*innen, ihre „Beute“ nicht zu stören. Begriffe wie „Wild“, „Revier“, Dickung“, Äsung“ und „Pächter vom Revier“ deuten darauf hin. Besonders „Äsung“ ist eine Vokabel aus der Jäger*innensprache und meint ganz allgemein die Nahrung der „Beute“. Und die Nahrungsaufnahme soll auf gar keinen Fall gestört werden, schließlich sollen Wildschweine, Rehe und andere Tiere schön fett sein, wenn sie erschossen und dann gegegessen werden. Das Wort „Wild“ bedeutet laut Bundesjagdgesetz nichts anderes als „wildlebende Tiere, die dem Jagdrecht unterliegen“.
Die Vermenschlichung von Tieren im Text ist wieder mal ein Hinweis auf die Heuchelei von Carnivor*innen: Die Tiere des Waldes sprechen mit den Leser*innen des „Gebetes“, sie scheinen „genau wie Du“ die gleichen Bedürfnisse zu haben, nämlich „Frieden und Ruh’“. Auch die Behauptung, Tiere würden beten, ist eine Vermenschlichung (auf so einen Quatsch, also das Beten, können doch wirklich nur Menschen kommen…). Doch all das hilft nicht viel: Am Ende des Tages werden sie halt doch abgeknallt und gegessen.
In anderen Kontexten wird Tieren natürlich vehement abgesprochen, „so zu sein wie wir“: Wie könnten es dann z. B. Jäger*innen rechtfertigen, fühlende, denkende Lebewesen zu töten? Wäre das dann nicht Mord? Immer wieder kritisieren Nichtveganer*innen jeder Couleur, wir würden Tiere vermenschlichen, weil wir und immer mehr auch die Wissenschaft ihnen bestimmte Fähigkeiten und Bedürfnisse zusprechen. Dabei ist das doch bei Fleischesser*innen besonders beliebt.
Alles in Allem ist das „Gebet des Wildes“ Jäger*innenlatein vom Feinsten. Anstatt sich ehrlich zu machen und z. B. zu schreiben „Leute, geht nicht in die Natur! Bleibt in euren Häusern und Städten! Wir wollen den Wald, die Wiesen, die Heide, die Berge und die Moore für uns alleine haben, damit wir in aller Ruhe die uns rechtmäßig zustehenden Tiere abknallen können. Das war schon im Feudalismus so und wir hätten gerne, dass das für immer so bleibt.“, schustern sie sich ein peinliches „Gebet“ zusammen, das tief blicken lässt.
Es ist unbenommen, dass der Zivilisationsdruck der Restnatur, die ja in den allermeisten Fällen in Deutschland eine vom Menschen geprägte Kulturlandschaft ist, stark zusetzt. Gerade in den Corona-Jahren hat der „Raus in die Natur“-Boom nochmal stark zugenommen. Und viele Menschen verhalten sich rücksichtslos gegenüber den verbliebenen Lebensräumen der noch in Freiheit lebenden Tiere. Aber das Hauptproblem sind ja nicht Menschen, die ihre rare Freizeit in der Natur verbringen wollen, sondern das kapitalistische Wirtschaftssystem, das durch seinen Wachstumszwang und sein Profitstreben, Ökosysteme ausbeutet und nachhaltig zerstört. Lebensräume von Tieren und Pflanzen sind nicht hauptsächlich durch Spaziergänger*innen, Wander*innen oder Mountainbiker*innen bedroht, sondern z. B. durch geplante Autobahnen, extensive Landwirtschaft mir ihren Monokulturen, Neubaugebiete, Lithiumminen oder Kohleabbau.
Daraus folgt dann das „Gar eng ist unser Paradies, das uns die Technik übrig lies.“. Dass diese „Technik“ kein Naturgesetz ist sondern das menschliche Einwirken in Ökosysteme und letzten Endes deren Zerstörung, hat im „Gebet“ keinen Platz. Und – wen wundert es – Jäger*innen sind überdurchschnittlich oft Akteur*innen in Konzernen, der Politik und Landwirtschaft, da die Jagd immer noch hauptsächlich von reichen und mächtigen Menschen (hauptsächlich Männer*, nur sieben Prozent sind Frauen*) betrieben wird, die tief im patriarchialen System verankert sind (So ist z. B. Finanzminister Lindner überzeugter Jäger). Ihre Verquickungen mit zerstörerischen Machenschaften werden immer wieder belegt und zeigen, dass es ihnen eben nicht um den Schutz der Tiere und deren Lebensräume geht sondern darum, ihrem blutigen Hobby zu fröhnen, nämlich Tiere zu ermorden.
Und ja, ich weiß, dass sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten etwas in der Jäger*innenschaft verändert und ökologische, nachhaltige Ansätze zu entdecken sind. Gerade junge Jäger*innen haben oft einen anderen Blick auf die Jagd, als der Alte Herr von der CDU. Es gibt sogar angeblich vegetarische und vegane Jäger*innen. Das ändert aber nichts an der tierbefreierischen Kritik der Jagd: Tiere sind keine austauschbaren Schachfiguren im Zahlenspiel der Waldwirtschaft oder dem Umbau des auszubeutenden Forstes in einen klimawandelresistenten Wald. Sie sind fühlende und leidensfähige Lebewesen, die als Individuen ein Recht auf ein unversehrtes und glückliches Leben haben. Darum lehne ich die Jagd ab.
Geschissen auf das „Gebet des Wildes“. Ich geh in die Natur, wann und wo ich das will und wenn ich den Jäger*innen dabei das „Wild“ vetreibe, hat es sich doppelt gelohnt.