Bis alle Frei sind
Interview mit einem Organisatoren zur Frauen-JVA in Chemnitz am 09.03.2019
Mona Alona interviewte Kevin, der in einer Soligruppe für die GG/BO aktiv ist
Ein Tag nach dem internationalen Frauenkampftag versammelten sich in Chemnitz am Platz vor der Technischen Universität zum dritten Mal über 200 Personen, um zur Justizvollzugsanstalt für Frauen, also dem Frauenknast zu demonstrieren. Damit wollten sie die Gefangenen in ihren täglichen Kämpfen unterstützen und die Forderungen der Gefangenengewerkschaft GG/BO vortragen. Die GG/BO fordert Gewerkschaftsfreiheit hinter Gittern, die Auszahlung von Mindestlohn an die gefangenen Lohnarbeiter*innen und die volle Sozialversicherung – alles Dinge, von denen gern behauptet wird, der demokratische Rechtsstaat würde sie selbstverständlich gewährleisten. Unterstützt von Mitgliedern verschiedener FAU-Syndikate und von feministischen Gruppen zielte die Demo auch darauf ab, die Kämpfe gegen Lohnarbeit, Patriarchat und Gefangenschaft zu verbinden. Denn eben die harte Mehrfachbetroffenheit von gesellschaftlichen Herrschaftsverhältnissen, verbunden mit Erfahrungen von Gewalt und Ausgrenzung, führen ja erst zu den sozialen Problemen, die Menschen in Konflikt mit ihnen aufgezwungenen Gesetzen bringen.
MA: Erst mal zum Einstieg: Wie fandst du diesjährige Demo zum Frauenknast persönlich? Was hat dich bewegt? Warst du zufrieden?
Kevin: Ich fand es gut, dass zum dritten Mal über 200 Leute zur Demo zusammengekommen sind. Das zeigt, dass es eine Gemeinschaft gibt, die an dem Thema dran ist und die fest hinter der Demo steht. Toll waren auch die verschiedenen Aktionen am Knast: die Parolen, die Redebeiträge, das Schreiben von Postkarten, die Tanz-Choreographie einiger Demonstranten für die Gefangenen. Es wurden auch ein paar Raketen gefeuert. Ansonsten war ich erstmal ziemlich erleichtert. Immer wenn es Demos gibt, wo ich Verantwortung übernehme, bin ich dauerhaft ziemlich angespannt und hibbelig.
MA: Schon zum dritten Mal in Folge fand die Demo gegen die JVA in Chemnitz statt. Hat sich die Teilnehmer*innenzahl gehalten oder verändert? Welche Unterschiede gab es zu den vorherigen Jahren?
Kevin: Wie schon gesagt, es waren wie schon die letzten beiden Jahre stabil um die 250 Leute und auch aus den selben politischen Strömungen: die Soligruppen der GG/BO, die FAU, feministische Gruppen und Anarchistinnen. Und natürlich die Antifa [lacht]. Das ist erstmal eine gute Sache, vor allem wenn man bedenkt, dass das Thema Knast bei uns in der Region, also in Ostdeutschland, bis vor wenigen Jahren nicht so präsent war in der Bewegung. Ich denke, wir haben das Thema gut gesetzt und etabliert. Ich habe mich trotzdem danach gefragt, was man anders machen kann und wen man noch dazu holen kann. Am Tag davor gab zum Beispiel in Leipzig und Jena ziemlich große Frauenkampftagsdemos. Darüber hinaus aber auch in etlichen kleineren Städten. Es ist deutlich, dass sich mehr Menschen bewegen, als noch vor einigen Jahren. Und es waren ziemlich verschiedene Leute, nicht nur die üblichen Kreise und das liegt daran, dass der Koordinierungskreis aus Jena Monate im Voraus zu zig Initiativen hingerannt ist und die ins Boot geholt hat. Die haben eine breite Gemeinschaft geschaffen, die dann auf der Demo sichtbar geworden ist. Also frag ich mich, wen können wir noch ins Boot holen, welche Initiativen, an die man in „der Linken“ zuerst vielleicht gar nicht denkt.
MA: Wie gelingt deiner Ansicht nach die inhaltliche Verknüpfung von Feminismus, Knastkritik und Antikapitalismus?
Kevin: Ich denke sie ist total offensichtlich. Es geht um inhaftierte Arbeiterinnen, das wird ja auch immer wiederholt: im Aufruf, in den Redebeiträgen usw. Ansonsten hab ich gar nicht den Anspruch, bei einer Demo die ganze Welt zu erklären. Ich denke, die wichtige inhaltliche Arbeit, die Diskussion findet im Alltag statt. Also wenn wir mit den Gefangenen schreiben, telefonieren, sie besuchen und diskutieren, dann müssen diese Themen auf den Tisch. Die Demo ist für mich ein besonderer Moment, ein Zeichen, das diesen Prozess unterstützt. Also muss sie für mich nicht alles leisten, also z.B. nicht die ganze Welt erklären.
MA: Im Vorfeld befürchteten die Teilnehmenden massive Repressionen und Provokationen durch die Polizei. In einem Zeitungsartikel stand zu lesen, der Demo wäre untersagt worden, vor den Knast zu ziehen, weil es im vergangenen Jahr zu „Ausschreitungen“ gekommen wäre. Kannst du davon was erzählen? Was hatte sich da abgespielt?
Kevin: 2017 und 2018, also bei den ersten beiden Demos, hat die Polizei Leute von der Demo nach Auflösung der Demo angegriffen. Das erste Mal, waren wir ihnen nicht schnell genug bei der Auflösung, also haben sie uns ein paar Meter über die Straße geschubst und getreten und einige waren schon ganz schön verstört von der Gewalt. Und letztes Jahr wollten die Bullen einige Leute filzen, andere sind dabeigeblieben, da gab es schon schlechte Stimmung. Dann haben die Bullen einen Typen, einen blinden Punker, umgeworfen und sich auf den gestürzt und da sind die anderen wohl eingeschritten und das war für die Bullen perfekt. Sie haben dann die ca. 40 Leute gekesselt, über zwei Stunden festgehalten, schikaniert und kontrolliert und angeblich eine ganze Menge Anzeigen wegen Landfriedensbruch und anderen Sachen gestellt. Davon laufen auch ein paar und wir sind da dran, haben also Spenden gesammelt und so. Überhaupt haben die Bullen die letzten zwei Jahre schon während der Demo dumm gefeixt und Kommentare gemacht und uns einfach die ganze Zeit provoziert. Vor dem Hintergrund dachten wir, dass wir uns auch dieses Jahr auf so was wieder gefasst machen müssen, aber erstaunlicherweise hat der Polizeichef dieses Mal wohl auf Deeskalation gesetzt.
MA: Eine Eins-zu-Eins-Betreuung durch die Polizei war ja auch in diesem Jahr gewährleistet: Für circa 200 Demonstrierende wurde laut Zeitungsangaben 200 Bullen aufgefahren. Und dass, obwohl auch in den Jahren zuvor keinerlei Bedrohung von der Demo ausging. Wie kannst du dir das erklären? Hat die Sächsische Polizei einfach nichts zu tun oder müssen da noch irgendwelche Steuergelder ausgegeben werden? Oder glauben sie ernsthaft, dort könnte eine Gefangenenbefreiung durchgeführt werden?
Kevin: Ich denke, es sind zwei Faktoren. Zum einen ist es offensichtlich, dass wir alle „Linke“ sind und dass ein großer Teil von uns auch Anarchisten sind und die Polizei und der Staat, vielleicht in Sachsen noch mal verschärft, haben darauf eigentlich keine Lust. Sie identifizieren uns schon ziemlich klar als politischen Feind. Der zweite Faktor ist, dass wir ja einfach zum Knast demonstrieren und der Knast und überhaupt der ganze Sicherheitsapparat sind für den Staat ein sehr sensibles Thema. Das lässt der sich nicht so einfach bieten. Aber klar, es ist allen klar, dass da nichts Schlimmes passiert. Ich meine, guck dir mal den Knast an. Es ist heutzutage ja fast vollkommen unmöglich, dass irgendjemand ohne Erlaubnis in den Knast rein- oder rauskommt. Die ganze Bullenpräsenz ist in meinen Augen nur dazu, um uns einzuschüchtern und damit Leute von der Demo abzuhalten und es gibt solche Leute, denen das zu stressig ist, und um uns in der Öffentlichkeit zu stigmatisieren und damit zu isolieren. Was sollen sich auch normale Leute denken, wenn sie einen Demonstrationszug sehen, der von übelst vielen Bullen, am besten noch mit Blaulicht begleitet wird.
MA: Womöglich war das massive Polizeiaufgebot ja auch strategisch so platziert. Bot die Anti-Knast-Demo vielleicht einen willkommenen Anlass, um das zeitgleich stattfindende das Nazi-Gedenken im Stadion unbeaufsichtigt zu lassen? Nach Zeitungsberichten erhoben sich beim Spiel des CfC Chemnitz 4000 Menschen, die Ultras brannten Pyrotechnik in den Farben schwarz-weiß-rot ab, lauschten einer Gedenkrede des Stadionsprechers und sahen im Bildschirm das Bild ihres verstorbenen Anführers, des Nazis Thomas Haller eingeblendet. Haller war Chef einer faschistischen Security-Firma, die beim CfC für „Ordnung“ sorgte. Daneben war er Mitbegründer der einflussreichen Gruppe „Hooligans Nazis Rassisten“ (HoNaRa), ging also jahrelang völlig offen mit seiner faschistischen Ideologie um. Einzig Hitler-Grüße und Hakenkreuze fehlten beim Gedenken in der Stadt, deren Politiker*innen auf lächerliche Weise bemüht sind, Rechtsextremismus – und auch die Ausschreitungen und Menschenjagden im August 2018 gefolgt von einem „breiten“ Demo-Bündnis aller Faschisten von Hooligans, Pro Chemnitz, Pegida-Anhänger*innen, NPD, Dritter Weg und AfD ‒ als ein auswärtiges Problem darzustellen. Die Faschos werden sich jedenfalls über jeden Bericht zum Gedenken an ihr verstorbenes Arschloch freuen… (Zehn Tage später, am 18.03., kamen dann 1000 Faschos zu Hallers Beerdigung). Wie steht dieses zeitgleiche (der Polizei bekannten) Nazi-Gedenken im Stadion deiner Ansicht nach im Verhältnis zur Demo gegen den Frauenknast?
Kevin: Puh, dazu kann ich nicht so viel sagen, weil ich nicht aus Chemnitz bin und mich mit der dortigen Fascho- und Hoolszene nicht so auskenne. Allgemein denke ich, dass die Polizei natürlich strategische Entscheidungen trifft. So ein ähnlicher Skandal war ja, dass die Polizei den Anis Amri, also den Attentäter vom Breitscheidplatz, nicht weiter observiert hat, weil es ihr wichtiger war, die Rigaer Straße zu räumen und da haben die ihre Kräfte drauf konzentriert. Ob solche Entscheidungen nun daran liegen, weil sie die Rechten oder Islamisten fördern wollen oder weil wir ihnen einfach ein lieberes Ziel sind, dazu müsste mal wohl in die Köpfe der Polizei reinschauen und das können wir leider nicht. Oder zum Glück [lacht].
MA: In diesem Zusammenhang muss ich selbstverständlich noch eine unangenehme Frage stellen: Bekanntermaßen ist Beate Zschäpe in der JVA Chemnitz eingesperrt. Auf ihren Wunsch hin konnte sie in den Knast ihrer zweiten Heimat verlegt werden, wo der NSU in den 2000ern auch Banküberfälle und – dann von Zwickau aus ‒ seine bundesweiten Morde durchführte. Nun kritisieren einige Einzelpersonen, dass man keine Demo zum Knast machen könne, wo Zschäpe ihre Haftstrafe verbüßt. Was denkst du dazu?
Das haben wir ja auch im Aufruf thematisiert und ich hab’s auch ganz am Anfang der Demo nochmal erklärt. Ich glaube, wenn irgendwo Faschisten auftauchen, dann ist die richtige Herangehensweise nicht, ihnen das Feld zu überlassen, sondern ihre Gegner zu sammeln und eine Gegenströmung aufzubauen und zwar eine Strömung, die nicht nur gegen Nazis ist, sondern auch eigene Ziele und Forderungen hat. Und genau das ist ja auch im Knast der Fall. Das ist ja kein schwarzes Loch, sondern es ist eine kleine Teilgesellschaft mit den verschiedensten Leuten, mit den verschiedensten Hintergründen und mit der GG/BO gibt es dort halt auch eine Gegenströmung und die müssen wir stärken. Überhaupt finde ich diesen Antifa-Reflex von wegen „da ist die Zschäpe, also Finger weg davon“ total dumm. Wir würden ja auch keine*n Mieter*in oder Gewerkschafter*in fortschicken, weil es in der Platte oder in dem Unternehmen auch Nazis gibt. Das führt ja genau zum Gegenteil, nämlich dass die Faschos noch stärker werden. Das alles heißt aber natürlich nicht, dass wir die Zschäpe-Sache einfach ignorieren. Natürlich beziehen wir da eine klare Position, auch in den Gesprächen mit den Gefangenen und auch gegenüber der Öffentlichkeit. Ich komme beispielsweise aus Jena. Dort gibt es logischerweise immer noch Leute, die in den 90ern mit dem Umfeld des sogenannten NSU ‒ also UweBeateUwe ‒ André Kapke oder Ralf Wohlleben selbst zu tun hatten. Da gab es auch verschiedene gewaltsame Konfrontationen. Die Fronten sind hier meiner Ansicht nach schon klar.
MA: Nun noch mal zurück zu den Personen, mit denen sich die Demo-Teilnehmer*innen solidarisiert haben: Wie haben die gefangenen Frauen auf die Demo reagiert? Was kannst du davon aus den letzten Jahren berichten und hast du schon Rückmeldungen von diesem Jahr?
Kevin: Von den Gefangenen haben wir im Anschluss erfahren, dass die Demo gut ankam, dass die Redebeiträge zu verstehen waren und dass sie die Grußworte ihrer Mitgefangenen richtig toll fanden. Einige fragen sich halt, was das bringen soll. Es ist ja im Knast weit verbreitet, dass man sich lieber zurückhält und bei so offenen Sachen skeptisch ist, weil die halt Angst haben, dafür Repression abzukriegen. Aber viele verstehen wohl, was unsere Grundaussage ist: Ihr seid da drin, wir haben euch nicht vergessen und wir sind an eurer Seite. Überhaupt ist die Demo natürlich im ganzen Knast irgendwie Gespräch. Das ist gut. Weil so erfahren die von der GG/BO und wissen auch, wer an ihrer Seite steht: wir „Linken“ halt.
MA: Du machst ja als Unterstützer der GG/BO von außen selbst öfters Knastbesuche. Möchtest du dazu noch kurz deine Eindrücke schildern? Was bewegt speziell die gefangenen Frauen?
Kevin: Themen, die aufkommen, wenn ich Gefangene in Chemnitz besuche, sind: die sozialen Probleme wie Armut, Drogenabhängigkeit, Perspektivlosigkeit. Die Probleme im Vollzug wie Schikanen von der Anstalt, keine medizinische Versorgung, sinnlose Streits und Konflikte unter den Gefangenen selbst. Es geht auch darum, wie schwierig es ist, Mitgefangene zu überzeugen mitzumachen oder überhaupt gut zu finden, was man macht. Es geht auch viel um Frauenthemen: Vergewaltigung, Missbrauch, Gewalt durch Männer, Kinder, die draußen sind, um die man sich nicht wirklich kümmern kann. Es gibt immer wieder Leute, die wollen was zum Thema „Trans im Knast“ machen. Das ist ein Thema, das irgendwie attraktiv ist in der Szene, von Seite der Gefangenen aber bisher kaum angesprochen wurde. Einmal hat eine Gefangene geschrieben, die meinte, „sie leide unter Transsexualismus“, da wollte ich mit ihr gerne mehr darüber schreiben, aber dann hat sie sich nicht mehr gemeldet. Irgendwie sind es insgesamt einfach die Probleme der Unterschicht und der Arbeiterklasse [damit ist nicht die Transsexualität gemeint, sondern die Selbstwahrnehmung davon].
MA: Möchtest du sonst noch etwas bei dieser Gelegenheit zum Abschluss sagen? Und wird es auch nächstes Jahr wieder eine Demo zum Frauenknast in Chemnitz geben?
Kevin: Ich find’s total toll, wie die Demo lief und das es auch dieses Jahr so viel Unterstützung gab. Ich denke schon, dass wir das im nächsten Jahr wiederholen werden und ich würde mich auch gerne Gedanken darüber machen, wie wir das Format weiterentwickeln können. Z.B. dass wir länger an der JVA bleiben und Musik spielen, dass es weniger Fahnenmarsch ist, sondern halt mehr gemeinsames Erlebnis. Dass wir mehr Menschen, z.B. mit Kindern, oder irgendwelche Leute, die beruflich mit Gefangenen zu tun haben, wie Sozialarbeiterinnen oder Angehörige überzeugen, mitzudemonstrieren. Also dass wir es irgendwie schaffen, dass es, salopp gesagt, nicht ein Schaulaufen der linken Szene bleibt, sondern dass eine breitere soziale Bewegung auf die Straße geht und ihre Bedürfnisse zum Ausdruck bringt. Ansonsten ist es mir wichtig zu betonen, dass Demos schön und gut sind, aber der soziale Kampf findet im Alltag statt und es braucht einfach verlässliche Genossinnen und Genossen, die sich alltäglich und verbindlich in die Solidaritätsarbeit einbringen. Meldet euch also gerne bei den Soligruppen der GG/BO, wenn ihr Lust habt, uns zu unterstützen.
MA: Vielen Dank für das Gespräch. Und weiterhin viel Erfolg mit der Soli-Arbeit für die GG/BO!