Aufruf zum revolutionären 1. Mai
Der 1. Mai ist der Tag des Arbeiter*innenkampfes. Ein Kampf, dessen Notwendigkeit sich uns tagtäglich zeigt.
Wir leben in einem kapitalistischen Staat und einer Gesellschaft, deren Gesetze und Regulationen bemüht sind, möglichst billige und austauschbare Arbeitsplätze zu schaffen. Ihr Ziel ist Profitmaximierung und das Augenmerk liegt, beruflich als auch gesellschaftlich, auf der Verwertbarkeit des Menschen und nicht auf dessen Bedürfnissen.
Unsere oft bemängelte „Ellenbogengesellschaft“ zeichnet sich durch fehlende Solidarität zwischen den Menschen aus, durch Vereinzelung und diskriminierende Machtverhältnisse. Jede von uns bekommt ihren Platz in dieser Gesellschaft zugewiesen.
Die einen sind von ihrer Arbeitskraft abhängig und arbeiten 40 Jahre lang, fünf mal die Woche für eine Rente die sich bei manchen nicht mal auszahlt.
Andere haben mehr Glück, befehlen, dirigieren, weisen an und stehen unter Stress um ihre Gewinnspanne nicht abreissen zu lassen. Sie bezeichnen das auch als Arbeit.
Andere Tätigkeiten wie Reproduktionsarbeit wiederum werden nicht als solche gesehen. Betroffene sind immer noch fast immer Frauen, die dafür zuständig sind sich um den ganzen „Rest“ zu kümmern der noch aussteht um diesen Laden am Laufen zu halten, indem sie auch daheim – nicht selten nach bereits getaner Lohnarbeit – für das Wohl ihrer Liebsten sorgen. Kindererziehung, Pflege Angehöriger, Haushalt und ein warmes Ehebett.
Manchmal – falls sie es sich leisten können – bekommen sie Unterstützung durch eine noch billigere Arbeitskraft, am besten ohne jegliche rechtliche Absicherung, abhängigen Personen aus dem Ausland die froh sein können etwas Geld zu verdienen.
Andere Menschen wiederum dürfen nicht arbeiten aufgrund rassistischer Gesetzgebungen, sie erfüllen dann ihren Zweck als Sündenböcke für dieses und jenes. Wie gesagt, jeder*r hat einen Platz in dieser Gesellschaft und in diesem System.
Diskriminierung bekommen allzu viele Menschen in dieser Gesellschaft in unterschiedlicher Qualität Tag für Tag zu spüren. Auf dem Arbeitsmarkt, auf der Straße, in ihren Beziehungen oder ihrer Familie.
Um das still ertragen zu können, dröhnen wir wir uns mit unnötigem Konsum zu, wir treten nach unten, um unsere instabile Position erhalten und glauben daran dass dieses System alternativlos sei. Wirklich? Es gibt nicht genug für alle?
Stimmt ja: Es gibt nicht genügend bezahlbaren Wohnraum, wo sollen nur all die Menschen hin? Leerstehende Häuser stehen des Markts wegen leer. Das ist wichtig zu verstehen, denn erstaunlicherweise ist nicht Eigentum Diebstahl, sondern die Besetzung leerer Häuser ist illegal.
Es gibt nicht genügend Arbeitsplätze für alle? Klar, denn wir sind alle ersetzbar wenn wir nicht funktionieren. Lieber arbeiten wir bis zum Burnout und haben keine Zeit mehr für andere Dinge in unserem Leben. Sonst könnten wir noch Arbeit in die Veränderung der Verhältnisse stecken.
Es gibt nicht genügend Ressourcen für alle? Stimmt, denn wenn alle Menschen auf diesem Planeten denselben Konsum hätten wie wir, würde das tatsächlich nicht aufgehen. Aber Hauptsache wir vernichten Lebensmittel um den Markt am laufen zu halten. Und ansonsten produzieren wir Wegwerferzeugnisse, die von alleine den Geist aufgeben. Sonnenklar, was würde nur mit der Wirtschaft passieren wenn niemand so schnell was neues kaufen müsste?
Wir richten unseren Planeten zugrunde? Das ist schrecklich, aber von der Wissenschaft können wir uns wenig Hilfe erwarten: ist leider in ihren Bemühungen gebunden, weil sie vom Markt bestimmt wird.
Wir sind in einer Krise? Dann führen wir eben ein bisschen Krieg in anderen Regionen der Welt oder unterstützen das Ganze wenigstens durch Waffen, damit wir unsere Wirtschaft wieder ankurbeln können. Wir sollten auch absichern dass andere Regionen instabil bleiben, nicht dass sie uns noch auf Augenhöhe begegnen könnten und wir nicht mehr billig produzieren können.
Und wenn einem nach einem scheiss-Arbeitstag die Galle hochkommt: wie gut dass es Menschen gibt auf deren Kosten man seinen Spass haben kann. Sonst wäre es ja nicht zum Aushalten.
Hört sich alles wunderbar an, oder etwa nicht? Falls nicht, müssen wir Euch leider enttäuschen, denn es gibt keine Alternativen. Das scheint zumindest die Übereinstimmung dieser Gesellschaft zu sein. Allerdings wurde die nicht im Konsens getroffen. Was macht uns nur so schwach, um nicht dagegen aufzubegehren?
Die Menschen vereinzeln. Eine solidarische Gesellschaft wird als Utopie belächelt und mit dem fadenscheinigen Argument verworfen, dass es durch die, so meint man, von Geburt an egoistische Natur des Menschen, gar nicht möglich sei, eine Gesellschaft auf anderen Werten aufzubauen als Konkurrenzkampf und falsch verstandenen darwinistischen Grundsätzen.
Doch zeigen allein schon die Kämpfe, denen wir an diesem Tag gedenken und an die wir anknüpfen wollen, dass es bereits viele Menschen gab die diese Gesellschaft verändern wollten und diesem kapitalistischen, patriarchalen, rassistischen System einiges abgerungen haben. Zugeständnisse bekommen wir erst wenn wir gemeinsam kämpfen, dann sind wir mächtig. Eines sollte uns klar sein: Wir bekommen nichts geschenkt.
Von den Errungenschaften vieler solidarisch geführter Kämpfe profitieren wir noch heute, auch wenn uns dabei bewusst ist, dass diese Errungenschaften längst nicht reichen. Hieran gilt es anzuknüpfen, bereits Erreichtes zu verteidigen und neue Räume zu erkämpfen.
Unsere Ziele als organisierte Anarchist*innen sind die Abschaffung jeglicher Herrschaft, Diskriminierung und Ausbeutung und der Aufbau einer emanzipatorischen Gesellschaft, die Freiheit, Gleichheit und soziale Gerechtigkeit und gegenseitige Hilfe verkörpert.
Solidarität als innere Haltung die aktiv nach außen gerichtet ist spielt in sowohl unserem Ideal einer befreiten Gesellschaft eine tragende Rolle, als auch in unserer Praxis im Hier und Jetzt.
Wenn wir diese Gesellschaft zu einer anderen umgestalten wollen, dann wird das nur durch die Zusammenarbeit vieler Menschen möglich sein.
Nötig ist der Aufbau schlagkräftiger Widerstandskulturen, sowie solidarischer Gegenstrukturen in allen Lebensbereichen. Dies gilt es gemeinsam mit vielen Menschen zu entwickeln, zu erproben, auszubauen und zu verändern.
Das ist Teil unserer politischen Arbeit, wenn wir anarchistische Praxis durch den Ausbau solidarischer Perspektiven erfahrbar machen. Das heisst, auf den Grundsätzen unserer Ideale: Auf Augenhöhe, transparent, alle miteinbeziehend, vorlebend, immer auf das Ziel ausgerichtet Herrschaftsverhältnisse abzubauen und Alternativen zu errichten. Ein anderes Leben ist möglich! Lasst uns diskutieren, Vernetzungen ausbauen und gemeinsame Kämpfe führen, gegen die Vereinzelung, gegen diese Unterdrückungsmechanismen denen wir alleine machtlos gegenüberstehen. Noch sind wir wenige, morgen sind wir hoffentlich viele.
Diese Kämpfe müssen wir solidarisch miteinander führen. In Herrschaftsverhältnissen kann es keine neutrale Position geben. Wer schweigt, stimmt zu.
Das heisst für uns…
Dass wir uns solidarisch mit unterdrückten, marginalisierten Menschen Seite an Seite stellen.
Dass wir unsere Privilegien reflektieren und aufgeben müssen, indem wir Gegenstrukturen errichten. Das heisst nicht nur eine Unterschrift zu setzen und Geld spenden, sondern tagtäglich aktiv in diesem Sinne zu handeln, an jedem Ort.
Denn Solidarität heißt nicht, wie es gerade im kirchlichen Kontext üblich ist, Geld oder Materialien zu spenden und damit zu versuchen die Folgen der Probleme abzumildern. Das sind Almosen und keine Veränderung an der Wurzel des Übels. Das ist nicht unser Ziel.
Solidarität bedeutet den Verlust der eigenen Vorteile und Unannehmlichkeiten in Kauf zu nehmen. Das heisst auch, unterschiedliche Kämpfe zu verbinden, ohne sie unterzuordnen.
Dazu zählt nicht nur der Kampf gegen Ausbeutung auf beruflicher Ebene und Hierarchie durch Kapital, sondern auch Solidarität mit dem Frauenkampf, Kampf gegen das Patriarchat, gegen Diskriminerung von Trans*-Menschen, nicht heteronormativ einordbarer Menschen, der Kampf gegen Rassismus, Ableismus und jede weitere Form von Unterdrückung.
Wenn wir diese Welt zu einer besser machen wollen, reicht es nicht irgendwelchen Idealen zuzustimmen, auf Petitionen Unterschriften zu setzen oder Parteien zu wählen die einem als das geringste Übel erscheinen.
Solidarität bedeutet aktiv gegen Ungerechtigkeit einzustehen und Machtverhältnisse umzukehren. Das bedeutet die Macht und Willkür in den Händen weniger in die Hände aller zu legen innerhalb des Rahmens Freiheit, Gleichheit und Solidarität.
Es bedeutet Betroffenen Macht zurückzugeben und beispielsweise alternative Konzepte zum Umgang mit Konflikten, Gewalt und Diskriminierung zu etablieren. Denn unsere revolutionären Kämpfe müssen bewusst feministisch sein, sonst scheitern wir bereits auf dem Weg zu unserem Ideal.
Das bedeutet auch nicht wegzusehen, sondern sich einzumischen, wenn andere Mitmenschen Diskriminierung und Gewalt erfahren. Auch im eigenen Freundeskreis und in der eigenen Szene. Es bedeutet achtsam zu sein, zu helfen, wenn man helfen kann und sich an Aufbau und Erhalt solidarischer Strukturen zu beteiligen.
Dazu zählt auch Organisationen aufzubauen und zu entwickeln, deren Entscheidungen an die Basis gebunden sind und die bereits genannten Konzepte strukturell einbinden und umsetzen.
Solidarische Strukturen fangen im Kleinen überall dort an, wo sich Menschen selbstlos, ohne zu instrumentalisieren und entgegen jeglicher Ellenbogen- Verwertungs- und nach-unten-tret-Logik mit anderen Mitmenschen zusammenschließen und Alternativen leben.
Dazu zählen unter anderem, bereits erfreulich übliche und gesellschaftlich immer weiter verbreitete, Foodsharing- Events, Solidarische Landwirtschaft, Umsonst- und Leih-Läden, Umsonstflohmärkte sowie Online-Gruppen, in denen nicht mehr benötigtes verschenkt, statt verkauft wird. Weiter geht es mit Kollektiven, Kooperativen und Genossenschaften unterschiedlichster Art, die Ressourcen dem kapitalistischen Markt entziehen. Lasst uns mehr werden, in allen relevanten und lebensnotwendigen Bereichen Fuss fassen und durch alternative Gegenstrukturen dieses System zum Kippen bringen!
Bei all dem Lob, wollen wir noch eines klar stellen: Solidarische Perspektiven entwickeln heißt für uns nicht, bei reformistischen Projekten, Forderungen und Errungenschaften (auch wenn sie manchmal notwendig sind) stehen zu bleiben und sich zufrieden zu geben.
Unsere Position wird sich auch in größeren Bündnissen nicht verlieren, wenn wir uns in soziale Kämpfe und Bewegungen einmischen, uns beteiligen und unsere Ideen und Vorstellungen einfliessen lassen. Wir sehen uns als Teil der sozialrevolutionären Bewegung und streben ein solidarisches Verhätltnis zu anderen Zusammenhängen an, die sich hier ebenfalls verorten.
Solidarische Alternativen schaffen, Widerstandskultur aufbauen und gemeinsam kämpfen.
All das sind notwendige Schritte zur sozialen Revolution
Und diese Schritte beginnen hier und heute, also kommt zur revolutionären 1. Mai Demo und lasst uns gemeinsam für Solidarität, gegen Diskriminierung und gegen kapitalistische Ausbeutung auf die Straße gehen!
Wir wollen nicht ein Stück vom Kuchen – wir wollen die ganze Bäckerei! Und zwar für alle!
Wir sind mit unserem Büchertisch im Lilo auf dem 1.Mai Fest im Lilo anzutreffen.
Der Beitrag Aufruf zum revolutionären 1. Mai erschien zuerst auf Libertäres Bündnis Ludwigsburg (LB)².