Alles für alle und zwar umsonst… Freie Software und Anarchismus

[Dieser Text erscheint auch in der aktuellen Ausgabe der Gai Dao.]

Dieser Artikel erschien zuerst am 28.10.2013 auf linksunten.indymedia.org. Durch das Verbot von linksunten im Sommer 2017 verschwand er wie tausende andere in den Tiefen des Internets.¹ Darum und weil er eine Auffrischung und ein paar Erweiterungen benötigte, erscheint er hier in aktualisierter Fassung.

Die Freie-Software-Bewegung ist die radikale, anarchistische Kritik an der heutigen Ordnung des geistigen Eigentums, nicht nur in der liberalen Gesellschaft Amerikas, sondern an dessen Ordnung in der ganzen globalisierten Welt.“²

Mein erster bewusster Kontakt mit Freier Software wurde aus der Not heraus geboren: Nach einer Hausdurchsuchung vor einigen Jahren und der damit einhergehenden Beschlagnahme unseres unverschlüsselten Wohngemeinschaftscomputers (wir waren damals die absoluten Computer-Dummies), begann ich mich als Computerlaie mit Datensicherheit und Verschlüsselung zu beschäftigen. Ich wollte für zukünftige Besuche unserer Freund*innen und Helfer*innen gewappnet sein und den Staatsschergen den Zugang zu meinen Daten erschweren, ja unmöglich machen. So kam ich bald zum Gnu/Linux-Betriebssystem Ubuntu, das von Haus aus eine Verschlüsselung des gesamten Systems anbot und immer noch anbietet. Innerhalb weniger Tage stieg ich komplett auf Ubuntu um (inzwischen nutze ich das freiere Debian Gnu/Linux ) und kam so in den Genuss eines sicheren Systems, das es mir mit seinen unzähligen Programmen und Angeboten ermöglichte, verschlüsselt zu Mailen und zu chatten und meine Daten vor dem Zugriff Dritter effizient zu schützen.

Erst nach und nach wurde mir klar, dass mir mit Gnu/Linux ein Betriebssystem auf der Festplatte lag, das durch die Philosophie der Freien Software und die Arbeitsweisen ihrer Communities viele Anknüpfungspunkte zum Anarchismus hat.

Geschichte der Freien Software

Ich tendiere mehr zu der linken anarchistischen Idee, daß wir uns freiwillig zusammensetzen und ausdenken sollen, wie wir durch Zusammenarbeit für alle sorgen können.” [Richard Stallman]

Die Geschichte der Freien Software reicht bis in die 1960er Jahre zurück und ist eng mit dem Namen Richard Stallman, der sich nicht als Anarchisten versteht und sogar den Staat verteidigt³, verbunden. Stallman ist nicht der Erfinder der Freien Software. Software war bis Ende der 1960er Jahre grundsätzlich – wenn auch nicht absichtlich – frei. Das hieß, ihr von Menschen lesbarer Quellcode war jeder Person frei zugänglich. Sie folgte der akademischen Überzeugung, dass Wissen offen zugänglich sein sollte, da nur so wissenschaftliches Arbeiten möglich wäre. Programmierer*innen und Wissenschaftler*innen teilten frei und ungezwungen den Quellcode jeglicher Software. Desweiteren war die Software bis dahin eher ein Beiwerk zur teuren Hardware.

Stallman war der erste, der die Problematik der sich immer mehr ausbreitenden Unsitte der geschlossenen, jemensch gehörenden (also proprietären) Software erkannte, benannte und anprangerte. Gleichzeitig begann er, sich bewusst mit der gesellschaftlichen, kulturellen und ökonomischen Dimension von quelloffener Software zu beschäftigen. Nachdem er im Jahr 1984 das GNU-Projekt gegründet hatte, folgte ein Jahr später die Free Software Foundation (FSF), die seither weltweit für Freie Software und gegen z.b. Softwarepatente oder das Digital Rights Management (DRM) kämpft.

Als dann im Jahr 1991 der finnische Student Linus Torvalds die erste Version des Betriebssystemkerns Linux (Linux-Kernel) veröffentlichte, diese später unter die GPL-Lizenz stellte und in den folgenden Jahren das Internet rasant an Fahrt gewann, waren der Entwicklung Freier Software kaum noch Grenzen gesetzt. Tausende von Menschen programmierten, was das Zeug hielt und schufen viele nützliche Anwendungen. Heute existieren weit über hundert verschiedene GNU/Linux-Distributionen, vom einsteiger*innenfreundlichen Linux Mint bis hin zum hochspezialisierten Scientific Linux, das unter anderem im Forschungszentrum Cern Anwendung findet. Hinzu kommen abertausende von einfachen und hochkomplexen Anwendungen.

In der Geschichte der Freien Software wird die Ablehnung von Geheimwissen und geistigem Eigentum deutlich. So wurde bewusst das erlangte Wissen für alle offen zugänglich gemacht oder auf Anfrage weitergereicht und bei Problemen gemeinsam an deren Lösung gearbeitet. Solidarisches Handeln war eine Selbstverständlichkeit. Und so wird es auch heute noch gehandhabt.

Die Definition Freier Software

Freie Software unterliegt einer klaren Definition, die in vier Freiheiten (0-3) gegliedert ist4:

Ein Programm ist freie Software, wenn Nutzer des Programms die vier wesentlichen Freiheiten haben:

  • Die Freiheit, das Programm für jeden Zweck auszuführen (Freiheit 0).
  • Die Freiheit, die Funktionsweise des Programms zu untersuchen und eigenen Bedürfnissen der Datenverarbeitung anzupassen (Freiheit 1). Der Zugang zum Quellcode ist dafür Voraussetzung.
  • Die Freiheit, das Programm weiterzuverbreiten und damit seinen Mitmenschen zu helfen (Freiheit 2).
  • Die Freiheit, das Programm zu verbessern und diese Verbesserungen der Öffentlichkeit freizugeben, damit die gesamte Gemeinschaft davon profitiert (Freiheit 3). Der Zugang zum Quellcode ist dafür Voraussetzung.“

Aus anarchistischer Sicht finde ich die Freiheiten zwei und drei besonders interessant : „…und damit seinen Mitmenschen zu helfen“ und „…damit die gesamte Gemeinschaft davon profitiert“. Hier wird das Prinzip der Solidarität, der gegenseitigen Hilfe deutlich, das also in der Definition von Freier Software schon fest verankert ist.
Immer wieder für Kritik sorgt Freiheit 0, die Freiheit, das Programm für jeden Zweck ausführen zu dürfen. Das schließt wirklich alles ein, also auch z.B. die militärische und polizeiliche Nutzung. So steigt die russische Armee auf das debianbasierte Astra Linux um5 – weil Microsofts Windows zu unsicher sei. Die niedersächsische Polizei stieg aus Kosten- und Sicherheitsgründen schon 2003 auf Linux um6 und die französische Gendarmerie nutzt seit 2007 das auf Ubuntu basierende GendBuntu7. US-Militärdrohnen fliegen auf Basis des Linux-Kernels.8 Versuche, enstprechende Ausschlussklauseln (Non Military, Non Intelligence) oder – positiv formuliert – Zivilklauseln in die Freie Software-Lizenzen einzubauen, scheitern regelmäßig. Stallman argumentiert z. B., dass wir auch die Nutzung von Stiften, Telefonen und Schreibmaschinen nicht reglementieren könnten, nur weil sie auch für schlimme Zwecke benutzt würden.9
Der oftmals synonym benutzte Begriff Open Source-Software ist auf rein technischer Basis deckungsgleich mit Freier Software. Die dahinterstehende Philosophie legt aber keinen Wert auf den Begriff der Freiheit, klammert diesen sogar absichtlich aus, um niemanden zu verschrecken und marktfähiger zu sein. Die Vertreter*innen der Freien Software-Bewegung argumentieren, dass es aber diesen Begriff der Freiheit braucht, um das Wesen der Sache zu verdeutlichen und politische Bedeutung zu behalten. Seit einigen Jahren wird vermehrt die diplomatische Abkürzung FOSS oder FLOSS benutzt: Free (Libre) Open Source Software benutzt.
Desweiteren gibt es die sogenannte Freeware. Diese ist zwar kostenlos (frei wie in Freibier), aber ihr Quellcode ist meist geschlossen und proprietär.

Auch Freie Software unterliegt Lizenzen

„Lizenzen? Was kümmern mich die? Als Anarchist*in nutze ich halt gecrackte proprietäre Programme.“ Das ist eine u. a. auch aus finazieller Sicht verständliche und von vielen praktizierte Herangehensweise. Vielleicht auch mit dem Hintergedanken, dass mensch Microsoft und Co. eins auswischen würde. Oder einfach aus Bequemlichkeit und Gewohnheit heraus.

Also, wofür braucht eine Freie Software-Bewegung Lizenzen? Sind Lizenzen nicht per se Einschränkungen von Nutzungsmöglichkeiten? Nicht im Fall der Lizenzen, die für Freie Software entwickelt wurden. Sie garantieren den Fortbestand der gewährten Freiheiten innerhalb des bürgerlichen Rechtsstaates und der kapitalistischen Verwertungslogik. Das heißt zum Beispiel, dass ein einmal unter der GPL-Lizenz veröffentlichtes Programm, immer frei bleiben wird und auch alle Programme, die daraus weiterentwickelt werden.

Hier ein paar Beispiele:

Die Lizenz GPL
„Die GNU General Public License – die Allgemeine Öffentliche GNU-Lizenz – ist eine freie Copyleft-Lizenz für Software und andere Arten von Werken.“10
Die GPL ist sicher die bekannteste Lizenz, die das Copyleft garantiert. Formuliert wurde sie 1989 von Richard Stallman für sein GNU-Projekt, um zu sichern, dass die darin enthaltene Software frei bleibt.

Die Copyleftklausel
„Copyleft ist eine allgemeine Methode, ein Programm (oder anderes Werk) frei zu machen und zu verlangen, dass alle modifizierten und erweiterten Programmversionen ebenfalls frei sind.“11 Copyleft ist keine Lizenz, sondern ein wichtiger Bestandteil vieler Lizenzen, die bestimmte Freiheiten garantieren sollen.

Die Lizenz WTFPL (Do What The Fuck You Want To Public License)
Im Gegensatz zu allen anderen Lizenzen, die den Nutzer*innen die Freiheiten der Werke gewährleisten wollen, besteht die WTFPL nicht aus unzähligen Paragrafen, sondern nur aus einem Satz: „0. You just DO WHAT THE FUCK YOU WANT TO.“12 Sinngemäß in etwa „ Du machst einfach, was du verdammt nochmal tun willst.“. Die WTFPL kommt nur sehr selten zum Einsatz.

Es gibt ca. 30 Lizenzen für freie Inhalte. Diese beschränken sich schon lange nicht mehr nur auf Software, sondern befassen sich mittlerweile mit Kunst, Musik, Literatur, Wissenschaft und Technik. Besonders hervorzuheben sind hier die verschiedenen Creative Commons-Lizenzen.13 Natürlich bewegen sich die Lizenzen innerhalb des Rechts des jeweiligen Staates und sie sind nicht frei von Fehlern. Aber ich sehe sie als eine Art Notwehr an. So wie wir oft auch vor Gericht mit Paragrafen und Recht argumentieren, um uns zu verteidigen, so nutzen wir auch hier die Spielräume, die uns eingeräumt werden.

Die Verbreitung Freier Software

Um Freie Software zu nutzen, muss mensch kein Computernerd sein und auch nicht GNU/Linux auf dem PC installiert haben. Unzählige Programme verrichten unbemerkt von den Nutzer*innen ihre Arbeit in DSL-Routern, auf Servern, in Fernsehgeräten, Smartphones, DVD-Playern, Supermarktkassen und vielen anderen elektronischen Produkten.

Millionen Menschen nutzen z.b. den Internetbrowser Firefox, den Emailclienten Thunderbird, die Büropakete Openoffice oder Libreoffice, das Bildbearbeitungsprogramm Gimp, das Desktop Publishing-Programm Scribus (auch diese Zeitschrift wird mit ihm erstellt.), die Blogsoftware WordPress, die Filehosting Software Nextcloud, das Content Management System Drupal und zig weitere.
Die millionen Server, die das Internet bilden, werden zu einem Großteil mit Freier Software, meist Apache, betrieben.
Milliarden Smartphones laufen mit dem unfreien aber auf dem Linux-Kernel basierenden Android von Google. Immer mehr nutzen entgooglete, freie Androidversionen, wie z. B. LineageOS, /e/ OS oder CalyxOS.14
Zunehmend mehr Menschen nutzen komplette Betriebssysteme, die weitestgehend frei sind: GNU/Linux und seine Distributionen wie Linux Mint, Ubuntu, Debian Gnu/Linux , Open Suse, Arch Linux und viele andere. Menschen, die darauf angewiesen sind, dass sie keine oder kaum Spuren im netz hinterlassen, nutzen das auf Anonymität und Privatsphäre fokussierte Linux-Live-System Tails.15
Freie Software ist also weiter verbreitet, als die meisten Menschen annehmen würden. Das sagt aber noch nichts über ihre gesellschaftliche Wirkung aus. Diese kann sich erst dann entfalten, wenn die Menschen Freie Software mit Absicht nutzen, verbreiten und sich ihrer Freiheit bewusst sind.
Das tun z.B. linke und anarchistische Tech-Kollektive (Riseup, Autistici/Inventati, Disroot, Immerda, Calyx Institute…). Sie bieten Dienste, die auf Freier Software basieren, für (nicht nur) politische Einzelpersonen und Gruppen an. Sie tun das, weil sie den gesellschaftlichen Wert von Freier Software erkannt haben: Sie ist eines von vielen Werkzeugen im Kampf gegen die herrschenden Verhältnisse.
Eine kritische Auseinandersetzung mit Technologie und der digitalisierten Gesellschaft ist hier wichtig. Wer denkt, Technologie könne gesellschaftliche Probleme lösen oder uns gar zur Sozialen Revolution führen, liegt falsch. Hier empfehle ich, sich z. B. mit den Texten von capulcu16 auseinanderzusetzen.

Wie entsteht Freie Software?

Da die Bedürfnisse der Menschen keine zufälligen sind, entstehen freie Softwareprojekte“17

Wir orientieren uns an den Bedürfnissen unserer Anwender und der Gemeinschaft für Freie Software.“18

Freie Software fällt nicht einfach so vom Himmel, sondern wird wie jede andere Software programmiert. Doch wer ist so frei und programmiert einfach so und meist, ohne dafür mit Geld entlohnt zu werden, all diese nützlichen kleinen und großen Programme? Allein für Debian Gnu/Linux (und somit auch für alle auf diesem basierenden Betriebssysteme wie Ubuntu oder Linux Mint) gibt es über 57.000 Programmpakete.19 Ungefähr 1000 offizielle Entwickler*innen programmieren für diese GNU/Linux-Distribution.20

Viele große (IT-) Konzerne unterstützen inzwischen Freie Software-Projekte aus reinem Eigennutz, da sie auf die Software angewiesen sind. Sie stellen Angestellte frei, damit diese zu den entsprechenden Programmen Code beitragen. Es gibt Schätzungen, dass ca. 90 Prozent des aktuellen Linux-Kernels von diesen programmiert wurden.21

Freie Software entsteht aber oft aus reinem Eigennutz: Ein*e Programmierer*in benötigt eine bestimmte Anwendung. Also wird sie programmiert und der Quellcode veröffentlicht. Andere Menschen finden das Programm nützlich, ergänzen den Code um weitere Funktionen, beseitigen Fehler und stellen den neuen Quellcode wiederum online. So kann um das Projekt herum eine Community entstehen, die das Programm betreut, stetig verbessert und aktualisiert. Anderen gefällt die Richtung, die das Projekt einschlägt nicht. Sie machen einen Fork (eine Abzweigung) und entwickeln das Programm in ihrem Sinne weiter und auch davon wird der Quellcode veröffentlicht. Freie Software folgt den Bedürfnissen der Menschen. Der russische Anarchist Pjotr Kropotkin (1842 – 1921) hätte dieses Organisationsprinzip und die Communities Freie Vereinbarungen genannt.

Vom Nutzen und Wert Freier Software

Der erste Antrieb Freier Software ist die Nützlichkeit. Der erste Konsument ist der Produzent. Es tritt kein Tausch und kein Geld dazwischen, es zählt nur die Frage: Macht die Software das, was ich will?“22

Fangen wir mit dem Wert an: Im Jahr 2012 wurde der Wert der damals aktuellen Version von Debian Gnu/Linux, Debian 7 „Wheezy“, grob auf 14,4 Milliarden € geschätzt.23 Doch diese Summe landete in keiner Geldbörse und auf keinem Konzernkonto. Sie wurde einfach nie erwirtschaftet.
Freie Software ist wertlos im besten Sinn des Wortes: Sie stellt sich außerhalb der kapitalistischen Verwertungslogik, es macht keinen Sinn, sie zu verkaufen oder zu kaufen.
Freie Software ist aber nützlich. Sie erfüllt unzählige Zwecke, bietet viele Funktionen und kreiert so einen Freiraum, eine Nische in der durch und durch kapitalisierten Gesellschaft und ihrer Ökonomie. Die Freie Software-Bewegung schafft das, was Anarchist*innen und Antikapitalist*innen im Großen erreichen wollen: Sie macht den Kapitalismus nutzlos und überwindet ihn. Das ist zwar erstmal auf die digitale Ebene beschränkt, wirkt aber immer mehr in die Gesellschaft hinein und berührt und verändert das materielle Leben.

Geld verdienen mit Freier Software

Das geht und kann auch ausdrücklich durch z.b. die GPL-Lizenzen erlaubt sein.
Es gibt durchaus Firmen, die mit Freier Software Geld verdienen. Sie bieten Freie Software an und lassen sich dann die Dienstleistung daran bezahlen: Schulung, Administration, Wartung und Pflege. Zu den Kund*innen zählen in erster Linie andere Firmen oder Behörden.
Auch viele Entwickler*innen und Programmierer*innen verdienen mit dem erstellen freier Software Geld im Auftrag großer Konzerne wie z. B. Google.
Ubuntu, eines der bekanntesten und am meisten genutzten GNU/Linux-Betriebssysteme für den Desktop und das Laptop, wird zu einem großen Teil von der Firma Canonical gesponsert, die einen Jahresumsatz von ca. 30 Millionen US-Dollar macht. Ihr Besitzer, der Millionär Mark Shuttleworth, ist bekennender Kapitalist und will mit Ubuntu irgendwann Geld verdienen.

Die Freie Hardware-Bewegung

Freies Hardware-Design
(Technische) Geräte, deren Baupläne (z.B. Schaltpläne, Leiterplattendesign) sowie Dokumentation (Bedienungsanweisungen, Interface-Definitionen etc.) unter freien Lizenzen wie der GPL genutzt werden können (der Informationsanteil ist frei im Sinne der vier Freiheiten, der materielle Anteil nicht). Handelt es sich bei der verwendeten Lizenz um die GPL, spricht man auch von GPL-Hardware.
Frei verfügbare Hardware
(Technische) Geräte, die darüber hinaus (ähnlich wie Freie Software und Freie Inhalte) allen Interessierten frei zur Verfügung stehen (was bedeutet, dass die materielle Knappheit an diesen Geräten überwunden sein muss).24

Die Idee der Freien Software schwappt auch hier und da auf das „Real Life“, die Hardware über oder besser gesagt zurück. Es entstand und entsteht eine Freie Hardware-Bewegung, die es sich zum Ziel gesetzt hat, Produkte ohne Lizenzbeschränkungen zu entwickeln. Das reicht von der Entwicklung eines freien 64-Bit-Hauptprozessors mit Linux über Prothesen und Traktoren bis hin zu Opencola.
Immer geht es dabei darum, Menschen uneingeschränkten Zugang zu Wissen und Information zu ermöglichen. Proprietäre Lizenzen sind hier oft die größten Hürden, da sie viel Geld kosten können. Gemeinsam entwickelt auch hier eine Community die Grundlage für ein Produkt, das allen Menschen zu gute kommt unabhängig von ihren finanziellen Möglichkeiten.

0. Freiheit (primäre Freiheit): Die Freiheit, ein Werk für jeden Zweck einsetzen zu dürfen.
1. Freiheit (wissenschaftliche Freiheit): Die Freiheit, untersuchen zu dürfen, wie ein Werk funktioniert, und es den eigenen Bedürfnissen anzupassen.
2. Freiheit (soziale Freiheit): Die Freiheit, das Werk an andere weiterzugeben und Kopien für andere machen zu dürfen.
3. Freiheit (konstruktive Freiheit): Die Freiheit, das Werk zu verbessern zu dürfen unhttps://e.foundation/d diese Verbesserungen zum allgemeinen Wohl zugänglich zu machen.25

Diese vier Freiheiten zeigen deutlich die Nähe zur Freien Software-Bewegung. Die Umsetzung von der Idee zum fertigen Produkt ist bei Hardware natürlich ungleich aufwändiger, da wir es hier mit Materie und nicht nur mit Einsen und Nullen zu tun haben: Es braucht Werkzeug, Maschinen, Rohstoffe, Energie, Geld und vieles mehr.

Die anarchistische Bewegung und Freie Software

Nach meiner Beobachtung ist Freie Software und ihre Nutzung in der anarchistischen Bewegung stärker vertreten als im Rest der Gesellschaft. Zahlen dazu kenne ich keine. Gründe dafür sind meiner Meinung nach der antikapitalistische und libertäre Charakter Freier Software und die Möglichkeit sich mit einfachen Bordmitteln ein halbwegs sicheres System zusammenzustellen, das eine verschlüsselte Verwaltung und Weitergabe von Daten ermöglicht.
Auf der anderen Seite bin ich immer wieder überrascht, wie viele dann doch proprietäre Software nutzen. Eine Umstellung fällt schwer. Besonders, wenn mensch gerne die neuesten Spiele zockt oder auf bestimmte Software angewiesen ist, die es nur für Windows oder Apple-Hardware gibt.
Aber ich denke dennoch, dass die Gründe, die für Freie Software sprechen, uns als Anarchist*innen ansprechen müssten. Der Umstieg fällt leichter, wenn mensch sich Gleichgesinnte sucht, sei es online oder im echten Leben. Es gibt zu jeder GNU/Linux-Distribution und zu vielen freien Programmen eine Community und ein Forum, die Hilfe anbieten. In größeren Städten finden sich meist sogenannte Linux User Groups, die sich regelmäßg treffen und Veranstaltungen organisieren.
In organisierten anarchistischen Gruppen und Föderationen müsste es zu mehr Skill-Sharing kommen: Die Computer-Nerds der Gruppen bieten Workshops an, in denen Endgeräte auf Freie Software umgestellt, Gnu/Linux-Distributionen installiert werden und die Anwendung der Software geübt wird. Das hat auch den Effekt, dass sich Computer-Wissen allgemeiner verbreitet und Hierarchien abgebaut werden.

Aussichten

Die wenigsten Menschen hinter der Freien Software sind Anarchist*innen. Aber das müssen sie auch gar nicht sein. Das, was sie tun, trägt den Keim einer freieren Gesellschaft auch ohne Label in sich. Die Grundlagen sind vielversprechend und schon jetzt befruchten sie andere gesellschaftliche Bereiche und schaffen neue Ideen oder bringen Althergebrachtes wieder ans Licht.

Zur weiteren Verbreitung Freier Software tragen u. a. seit 2013 ungewollt die NSA und Konsorten („Was, die Geheimdienste überwachen unsere digitalen Daten?“; so stiegen seither die Nutzer*innenzahlen von Riseup-Diensten in nie gekannte Höhen) und ihre Datensammelwut bei. Denn aufgrund des offenen und somit von Menschen lesbaren Quellcodes kann eine Freie Software von vielen auf Sicherheit und Hintertüren kontrolliert werden. Sie bietet – werden bestimmte Regeln eingehalten wie z. B. gute einmalige Passwörter – mehr Schutz vor Ausspähung und Auswertung von Endgeräten durch Geheimdienste, Polizeien und Konzerne. So scheiterten z. B. die Bullen grandios daran, die beschlagnahmten Geräte der Betroffenen der linksunten-Razzien zu entschlüsseln.

Die Verwendung, Verbreitung, Programmierung und Unterstützung (ja, auch Geldspenden werden gerne angenommen) Freier Software ist Widerstand gegen den Status Quo. Nur darf es nicht dabei bleiben. Eine nur auf digitaler Ebene freiere Gesellschaft nutzt letztendlich niemandem. Eine gegenseitige Befruchtung tut not und geschieht schon hier und da.

In diesem Sinne: apt-get install anarchism!26

Endnoten

¹ Die Originalversion könnt ihr hier nachlesen: https://nigra.noblogs.org/post/2013/10/28/alles-fuer-alle-und-zwar-umsonst-freie-software-und-anarchismus/ oder seit Anfang 2020 im linksunten-Archiv https://linksunten.archive.indymedia.org/node/98264/index.html (alle alten Links zu linksunten funktionieren somit wieder).

² Aus „Die Anarchie der Hacker – Richard Stallman und die Freie-Software-Bewegung“ von Christian Imhorst. Zum freien Download auf der Seite des Autors: https://texte.datenteiler.de/die-anarchie-der-hacker-ebook/

³ Siehe hier: https://stallman.org/articles/why-we-need-a-state.html

4 Siehe z.B. hier: https://www.gnu.org/philosophy/free-sw.de.html

5 Siehe z.B. hier: https://www.derstandard.at/story/2000104309796/russisches-militaer-wechselt-zu-linux-bundesheer-zu-windows-10

6 Siehe z.B. hier: https://de.wikipedia.org/wiki/Open-Source-Software_in_%C3%B6ffentlichen_Einrichtungen#Nieders%C3%A4chsische_Polizei

7 Siehe z.B. hier: https://de.wikipedia.org/wiki/Open-Source-Software_in_%C3%B6ffentlichen_Einrichtungen#Franz%C3%B6sische_Gendarmerie

8 Siehe z.B. hier: https://taz.de/Daten-von-US-Drohnen-leicht-zugaenglich/!5080213/

9 Siehe z.B. hier: https://fsfe.org/campaigns/gplv3/barcelona-rms-transcript.en.html#q11-banning-bad-use

10 Siehe z.B. hier: http://www.gnu.de/documents/gpl.de.html

11 Siehe z.B. hier: https://www.gnu.org/copyleft/copyleft.de.html

12 Siehe z.B. hier: https://de.wikipedia.org/wiki/WTFPL
13 Siehe hier: https://creativecommons.org/licenses/?lang=de und https://de.wikipedia.org/wiki/Creative_Commons

14 Siehe hier: https://lineageos.org/, hier: https://e.foundation/ und hier: https://calyxos.org/

15 Siehe hier: https://tails.boum.org

16 Siehe hier: https://capulcu.blackblogs.org/

17 Aus „Linux und Co – Freie Software – Iddeen für eine andere Gesellschaft“ von Stefan Meretz

18 Aus dem Gesellschaftsvertrag von Debian, siehe auch http://www.debian.org/social_contract
19 Siehe z. B. hier: https://www.debian.org/releases/stable/amd64/release-notes/ch-whats-new.en.html#idm120

20 Siehe z.B. hier: https://de.wikipedia.org/wiki/Debian

21 Siehe hier: Broschüre der fsfe „Public Money – Public Code“, S. 12, Punkt 02 oder hier: https://download.fsfe.org/campaigns/pmpc/PMPC-Modernising-with-Free-Software.de.pdf

22 Aus „Linux und Co – Freie Software – Iddeen für eine andere Gesellschaft“ von Stefan Meretz

23 Siehe z.B. hier: https://www.golem.de/news/open-source-debian-projekt-auf-14-milliarden-euro-geschaetzt-1202-89793.html

24 Siehe hier: https://www.freie-gesellschaft.de/wiki/Freie_Hardware

25 Siehe z. B. Hier: https://www.freie-gesellschaft.de/wiki/Vier_Freiheiten

26 Befehl für die Kommandozeile in Debian und debianbasierenden GNU/Linux-Distributionen, um die FAQ zum Thema Anarchismus auf englisch herunterzuladen. Zu finden ist diese umfangreiche Textsammlung zum Thema Anarchismus dann im Dateisystem unter /usr/share/doc/anarchism (die html-Dateien lassen sich in einem Browser öffnen) oder immer (auch für Nutzer*innen anderer Betriebssysteme) auf http://www.infoshop.org/AnAnarchistFAQ]

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