Risse im stolzen Flaggschiff Deutschland
Redebeitrag auf der „There is no alternative – Kapitalismus überwinden“ – Demonstration am 22. Dezember in Mannheim
Berichte und Fotos der Demo findet ihr hier.
Immobilienkrise, Bankenkrise, Eurokrise, Schuldenkrise. Seit Jahren tönen diese Schlagwörter in Dauerschleife durch Medien und Politik. Mensch könnte glatt meinen, dass die Weltuntergangsprophet*innen, die für Ende 2012 das Ende der Geschichte erwarten, vielleicht doch richtig liegen – denn wer kann schon etwas gegen diese totale Krise ausrichten?
Natürlich ist diese Aussage nicht ganz fair. Denn die gewählten Vertreter*innen in deutscher und europäischer Politik versuchen natürlich ihr menschenmöglichstes, um die Krise an allen Fronten zu bekämpfen und scheuen dabei auch weder Kosten noch Mühen. Da werden Rettungsschirme gespannt, Hilfszahlungen geleistet, marode Banken saniert, giftige Aktien unter Quarantäne gesetzt und all das mithilfe von Summen, bei denen Otto-Normal-Bürger*innen mit den Ohren schlackern.
Natürlich verlangt die Interessenswahrung ihrer Bürgerinnen und Bürger von unseren Denker*innen und Lenker*innen eine gewisse Vorsicht beim schier endlosen Verteilen von Geld und Krediten. Schließlich ist es keine großherzige Privatspende aus Diätenkassen und Honorarkontos unserer Parlamentarier*innen, sondern irgendwie ja unser aller Geld mit dem freimütig gerettet, gestützt und saniert wird.
Aber wie bei jeder privaten Schuldnerberatung gibt es ja auch in größeren Dimensionen unkomplizierte Methoden um eine reibungslose Rückzahlung zu gewährleisten: die Auflagen.
Den Gürtel ein wenig enger schnallen, ein bißchen Personal abbauen und hier und da etwas an den Fixkosten zu rationalisieren, sollte angesichts von dutzenden und hunderten Milliarden Euro Solikohle aber ja auch nicht sonderlich schwer zu realisieren sein. Dann muss nur noch jede*r einzelne seinen bzw. ihren Beitrag zum großen Projekt „Krisenbewältung“ leisten, auf ein wenig Lohn verzichten, ein paar Abstriche bei Gesundheits-, Alters- und Sozialvorsorge machen und vielleicht auf das eine Schwimmbad oder die andere Bibliothek verzichten, aber natürlich nur die winzig kurze Zeitspanne, bis die europäische Wirtschaft wieder volle Fahrt aufgenommen hat und allen endlich wieder Wohlstand, Freiheit und Sicherheit bietet.
So zumindest die Theorie.
Die Realität sieht leider etwas anders aus. Wir nähern uns dem offiziell fünften Jahr der europäischen und weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise und wenig hat sich geändert, im Gegenteil. Aber wie sollte es das auch?
Blicken wir nach Griechenland, dem Land der sog. Pleitegriechen und der Basis des gemeinen, faulen Südländers, will man Bild-Zeitung und Konsort*innen Glauben schenken. Etwa 380 Milliarden wurden seit Beginn der Krise in das Land gepumpt bzw. durch Schuldenerlasse getilgt. Erstmal eine stolze Summe möchte mensch denken, schließlich sind dies etwa 33.600 € pro Einwohner*in. Doch natürlich kommt von diesen exorbitaten Summen kein Cent bei den einzelnen Menschen an, schließlich gilt es vorher die Verbindlichkeiten von Banken und dem griechischen Staat abzutragen. Die Menschen in Griechenland bleiben aber dennoch nicht außen vor, jedoch heißt es für sie anstatt Geld, Schuldentilgung und Wirtschaftshilfe: Kürzungen, Entlassungen und Sparpakete. Von letzterem wurde Anfang November das nunmehr fünfte verabschiedet, mit drastischen Folgen für die Bevölkerung. Die Gehälter im öffentlichen Dienst sanken im Durchschnitt um etwa 30%, die Renten wurden um 10% gekürzt und das Renteneintrittsalter um 2 Jahre angehoben, die Arbeitslosigkeit beträgt zur Zeit etwa 25%, unter Jugendlichen ist sogar fast jede*r zweite*r ohne einen festen Job, und das Gesundheitssystem ist faktisch kollabiert, was dazu geführt hat, dass zahlreiche Krankenhäuser und Arztpraxen schließen mussten und Apotheken Medikamente nur noch gegen Bargeld herausgeben, was viele Menschen sich schlicht und einfach nicht mehr leisten können, um nur einige Zahlen zu nennen.
Die griechische Wirtschaft ist am Boden und die Bevölkerung am Rande der Existenzlosigkeit. Und trotzdem fordern Vertreter*innen von Währungsfonds, EZB, EU und auch der Bundesregierung in bürokratisch-kalter Regelmäßigkeit weitere Einsparungen, Kürzungen und Rationalisierungen, schließlich wollen Hilfsabkommen erfüllt und Zeitpläne eingehalten werden. Und somit zeigt sich die absurde Situation eines Landes, das vielleicht in einigen Jahren seine Verbindlichkeiten und Schulden bereinigt haben wird, während große Teile der Bevölkerung verarmt, arbeitslos und ohne Perspektive da stehen.
Und dieses Phänomen macht nicht an den griechischen Grenzen halt. Ähnliche Auswirkungen der Krise zeigen sich in Spanien, Portugal und Italien.
Und Deutschland? Deutschland geht es gut, sollte mensch denken, schließlich ist dies die Parole, die in schnöder Laierkastenmanier immer und immer wieder von Vertreter*innen aller Parteien vorgegeben wird. In gewisser Weise mag dies zutreffen, schließlich profitiert die deutsche Wirtschaft von den Problemen der anderen Länder. Aber bei genauerem Hinsehen offenbaren sich auch hier Risse im stolzen Flaggschiff Deutschland, das als einziges im tosenden Sturm der Krise trotzig auf Kurs bleibt. Zwar gab es bisher keine vergleichbaren Sparpakete, die große Teile der Bevölkerung auf einen Schlag treffen, und auch die nackten Zahlen, wie etwa das Wirtschaftswachstum oder die Arbeitslosigkeit, sehen nicht nach der bereits erwähnten “totalen Krise” aus. Aber dennoch ist auch hier nicht alles Gold, was glänzt. Mit der Einführung von Hartz 4 und der Umsetzung der Schröderschen Agenda 2010 hat Deutschland bereits einige Jahre vor der Krise präventive Sparpakete aufgelegt, die zu massiven Einschnitten in Einkommen und Lebensstandard vieler Menschen geführt haben. Und auch die Einführung und der massive Ausbau von Minijobs, Leih- und Zeitarbeit gibt den vermeintlich kostant bleibenden Arbeitslosenzahlen einen fahlen Beigeschmack. Und auch hier wird im öffentlichen und sozialen Sektor immer weiter gekürzt, werden Bibliotheken, Schwimmbäder und Jugendeinrichtungen geschlossen, Zuschüsse für Vereine, Beratungsstellen und Kulturangebote gekürzt und privatisiert, wo immer dies möglich ist.
All dies zeigt uns, dass der Kapitalismus seine Versprechungen von Frieden und Wohlstand für alle nicht halten kann, denn diese Krise war nicht die erste und wird auch nicht die letzte sein. Wir sind es Leid, in einem System zu leben, dass Milliarden umd Milliarden zu seiner eigenen Rettung verschwendet, während die Menschen in diesem System immer mehr opfern müssen. Dass dieses System immer noch in einer tiefen Krise steckt, obwohl bereits Summen investiert wurden, die theoretisch jedem Menschen auf der Erde ein gutes und sorgenfreies Leben ermöglichen würden, zeigt nur eins: Der Kapitalismus hat keine Krise, er ist die Krise.
Wir wollen dieses System, diesen Staat, diese Gesellschaft nicht reformieren oder verbessern, denn das wollten und wollen schon genug andere, mit den bereits genannten “Erfolgen”. Wir wollen die Art, wie wir alle zusammenleben, vollkommen neu denken. Eine Welt, in der alle Menschen in Wohlstand und Gleichheit leben können, ist in der heutigen Zeit nicht nur möglich, sondern nötiger denn je.
Doch das funktioniert nur, wenn alle Menschen gemeinsam an diesem Ziel arbeiten und sich nicht weiter in Ellenbogenmanier um die wenigen Krümel streiten, die dieses System uns vom Kuchen übrig lässt. Krise, Armut und Verelendung macht nicht an Landesgrenzen, Betrieben oder Wohnorten halt, sondern betreffen uns alle.
Deshalb gilt: Leistet Widerstand, wo und wie immer das möglich ist. Protestiert gegen Kürzungen, Entlassungen und Schließungen, schließt euch mit anderen Betroffenen zusammen, seid solidarisch auch und gerade mit Menschen, die die Auswirkungen der Krise jetzt schon stärker spüren als ihr, denn ihr könntet die nächsten sein.
Der Kapitalismus ist nicht alternativlos, alternativlos ist nur seine Abschaffung.
Für eine Gesellschaft ohne Ausbeutung, Ausgrenzung und Unterdrückung: Für die Anarchie.