Repressionen gegen den Widerstand von Geflüchteten an Europas Außengrenzen

Repressionen gegen den Widerstand von Geflüchteten an Europas Außengrenzen
You cant evict solidarity – Antirepressionsarbeit entlang der Balkanroute & Griechenland

Was ist los an Europas Grenzen? – Eine Geschichte von Flucht und Gewalt…
Europaweit beobachten wir, dass die Staats- und EU-Politik gegenüber Menschen auf der Flucht, Unterstützer*innen sowie jeglichen Alternativen zu staatlicher Migrationskontrolle zunehmend repressiver wird. Diese Abschottungspolitik zwingt Menschen dazu, den gefährlichen Weg über das von Frontex überwachte Mittelmeer zu nehmen. Die Anzahl derjenigen, die dabei starben, lag allein 2018 bei über 2000 Menschen1. Die Grenzen zwischen den europäischen Staaten sind streng kontrolliert und hoch militarisiert. Während auf der Balkanroute zwischen Serbien und Ungarn Geflüchtete von Polizei und Militär mit modernster Technik aufgespürt, mit Gewalt am Grenzübertritt gehindert und ohne Rechtsgrundlage inhaftiert werden, wurden 2015 auch Flüchtende an der Grenze zwischen Bulgarien und der Türkei erschossen2. Trotz alledem nehmen viele Menschen neue, gefahrvolle Wege auf sich. Viele werden daraufhin unter menschenunwürdigen Bedingungen in sogenannten „Hotspots“, wie auf den griechischen Inseln Chios, Lesbos und Samos, faktisch inhaftiert, da diese seit dem EU-Türkei-Deal für Geflüchtete zu Gefängnissen geworden sind. Aktuell leben allein über 7500 Menschen im Camp Moria auf Lesbos, das für 3000 Personen ausgelegt ist. Andere Menschen sitzen an den Grenzen in Velika Kladusa (bosnisch-kroatischen Grenze) oder in Ventimiglia (italienisch-französischen Grenze) fest, wohnen teilweise auf der Straße oder werden illegal zurückgeschoben.

…von Widerstand und Repression
An verschiedenen Orten regt sich jedoch Widerstand gegen diese tödliche Politik und das EU-Grenzregime, wann immer Menschen gegen willkürliche Inhaftierungen, für offene Grenzen und für ihre Rechte kämpfen. So gab es u.a. ein Protestcamp von Geflüchteten bei Velika Kladusa (bosnisch-kroatische Grenze) im Herbst 2018, sowie unzählige Proteste von Geflüchteten in den Lagern auf den griechischen Inseln und an anderen europäischen Grenzorten, Städten oder (Abschiebe-)Gefängnissen.
Viele dieser oft für die Öffentlichkeit unsichtbaren Proteste werden mit Gewalt durch die Polizei oder andere staatliche Kontrollinstanzen beendet und die Protestierenden abgeschoben oder inhaftiert. So z.B. in den unten erläuterten Fällen Ahmed H. in Ungarn, den Betroffenen des Lagers Moria auf Lesbos, sowie den PetrouRalli 8 in Athen und der Harmanli 21 in Bulgarien.

Aus der Not besetzte Häuser werden wie in Thessaloniki im Sommer 2016 geräumt, solidarische Aktivist*innen durch neue Gesetze mit hohen Haftstrafen wegen „Schleuserei“ konfrontiert. Gleichzeitig kriminalisiert die EU solidarische Seenotretter*innen, wie „Jugend rettet“ oder „Sea Watch“, die mit ihren Schiffen mit Geretteten nicht in europäischen Häfen anlegen dürfen.

Im Folgenden werden einige solcher Repressionsfälle gegen Geflüchtete, die sich ihrer menschenun-würdigen Lage widersetzen, exemplarisch dargestellt und stehen zugleich für unzählige weitere Fälle ähnlicher staatlicher Brutalität und legaler Willkür, die größtenteils im Verborgenen bleiben.

Ahmed H. und die Röszke 11, Ungarn
Im September 2015 wurden bei Protesten gegen die Grenzschließung Ungarns der ungarisch-serbischen Grenze bei Röszke elf Geflüchtete aus der Menge heraus verhaftet und u.a. wegen Terrorismus und illegalem Grenzübertritt angeklagt. Im November 2016 wurde Ahmed H. zu 10 Jahren Haft verurteilt. Durch Solidaritätsarbeit und Proteste konnte dieses Urteil in den nächsten Instanzen gekippt und 5 Jahre verringert werden. Seine Freilassung wird für das Frühjahr 2019 erwartet.

Die Moria 35 und Moria 8, Griechenland
Der Fall der Moria 35 ist seit Herbst 2018 abgeschlossen. Darin ging es um 35 Menschen, die im Juni 2017 nach einem friedlichen Sitzstreik, im Camp Moria auf Lesbos (Griechenland), von der Polizei wahllos und brutal verhaftet worden sind. Alle 35 Personen wurden freigelassen, einige von ihnen wurden abgeschoben. Ein Vorgehen, das sich auf ähnliche Weise im aktuellen Fall der Moria 8 wiederholt: Im März 2018 entfachten sich erneut Proteste im Camp Moria. Das anschließende Klageverfahren gegen die vermeintlichen „Täter*innen“, basierte auf vagen Aussagen zur Identifizierung u.a. eines vermeintlichen Rädelsführers, der jedoch nachweislich gar nicht vor Ort war, als der Protest losging.
Ganz aktuell, im Februar 2019, wurden alle acht Angeklagten freigesprochen, nachdem sich herausstellte, dass die Aussage gegen die acht Betroffenen auf Druck der Polizei und mit einem Versprechen auf Weiterreise für den vermeintlichen Zeugen durch diesen getätigt wurde. Somit saßen acht Menschen nachweislich unschuldig für elf Monate im Gefängnis3.

Repressionen gegen Solidarität entlang von Fluchtrouten
Repressionen und Kriminalisierung gegen Solidaritätsbewegungen entlang von Fluchtrouten hat in den letzten Jahren massiv zugenommen. Die Kriminalisierung von Menschen, die versuchen selbstorganisierte Alternativen zur repressiven Asylpolitik aufzubauen, ist auch andernorts zu beobachten: So wurden besetzte Häuser in Belgrad, zum Schutz vor Kälte für Menschen auf der Flucht, immer wieder geräumt; Protestaktionen in Ungarn im Kampf gegen den rassistischen Schauprozess von Ahmed H. juristisch verfolgt, selbstorganisierte Seenotrettung auf den griechischen Inseln angegriffen, die einfache Basisversorgung von Flüchtenden in Ventimiglia oder die Unterbringung von Geflüchteten in Privathäusern in Brüssel kriminalisiert.

Dennoch gibt es trotz all der staatlichen Repressionen weiterhin Widerstand und Proteste und außerdem ein breites Netzwerk aus solidarischen Strukturen entlang der Balkanroute und darüber hinaus. So gibt es z.B. in vielen Städten soziale Zentren und Hausbesetzungen, in denen kostenlose Sprachkurse, medizinische Versorgung, Rechtsberatung bei Repression und im Asylverfahren, Essen und Kleidung, aber auch Theater, Musik und Kino organisiert werden. Denn viele verschiedene und gemeinsame Kämpfe finden permanent statt: von Menschen an den EU-Grenzen, in den Camps, in (Abschiebe-)Gefängnissen und auf den Straßen; gegen die unmenschlichen Bedingungen und das EU-Grenzregime und für Freiräume und Bewegungsfreiheit von Menschen – manche sichtbarer als andere.

Antirepressionsarbeit – You can‘t evict solidarity!
Im Sommer 2016 hat sich, als Reaktion auf die oben genannten Räumungen solidarischer Hausbesetzungen in Thessaloniki, die Antirepressionskampagne You can‘t evict solidarity gegründet – eine Gruppe von bundesweit aktiver Menschen, die vor allem während des sogenannten „langen Sommers der Migration“ regelmäßig entlang der Balkanroute solidarisch unterwegs waren und sich mit lokalen Unterstützungsstrukturen vernetzt haben.
Der Fokus der Kampagne liegt auf der Unterstützung von Menschen, die nach Widerstandshandlungen in antirassistischen Kämpfen an den EU-Grenzen von staatlichen Repressionen betroffen sind. Seit 2016 wurden mehrere tausend Euro an Spenden gesammelt und an Betroffene weitergeleitet, um Anwalts- und Gerichtskosten zu bezahlen. Außerdem werden Gerichtsprozesse vor Ort oder von Deutschland aus solidarisch und mit Öffentlichkeitsarbeit begleitet, Informationsvorträge zur aktuellen Situationen entlang der Balkanroute gehalten und eine transnationale Vernetzung und Zusammenarbeit mit Betroffenen und lokalen Initiativen aufgebaut. Es wurden seither einige Freisprüche erwirkt und Menschen aus Gefängnissen entlassen – unter anderem im Fall der Moria 8 und der Moria 35 sowie für die 100 Angeklagten der Hausbesetzungen in Thessaloniki.

Was könnt ihr tun?
Unterstützt die Kampagne, indem ihr diese Infos verbreitet. Auf unserem Blog könnt ihr Infomaterial bestellen.
Schreibt selber Aufrufe und werdet kreativ.
Veranstaltet Solipartys und sammelt Spendengelder für die Unterstützung inhaftierter Genoss*innen.
Organisiert Infoveranstaltungen, damit die Situation von inhaftierten (geflüchteten) Aktivist*innen sichtbar wird.
Vernetzt euch mit bereits bestehenden Unterstützungsstrukturen und erzählt diesen von der Kampagne. Teilt eure Erfahrungen und Erlebnisse, gerne auch mit uns.
Helft mit Übersetzen, es reicht nicht Flyer in den europäischen Mehrheitssprachen zu verfassen, falls du oder deine Freund*innen übersetzten können, macht gerne mit.

Lasst uns gemeinsam kraftvoll und grenzenlos gegen Repression kämpfen – lasst uns selbstorganisierte Strukturen der Solidarität als Alternative gegenüber Polizei, Staat und EU schaffen!

You cant evict solidarity Kollektiv
Kontakt: cantevictsolidarity@riseup.net

Spendenkonto:
Rote Hilfe e.V./ OG Hannover
IBAN: DE42 4306 0967 4007 2383 57
BIC: GENODEM1GLS
GLS Bank
Verwendungszweck: Cant evict Solidarity