Bekennerinnenschreiben „Punk ist dann tot, wenn er ein beschissener Männerverein ist.“
Uns wurde per Mail folgendes Schreiben mit der Bitte um Veröffentlichung zugespielt. Dieser Bitte kommen wir gern nach:
„Ich möchte mich dazu bekennen, was ich getan habe und erklären, was das sollte. Bei Bekennerinnenschreiben denkt man gleich an strafrechtlich relevante Handlungen, in diesem Fall war es keine. Eigentlich eine ganz einfache Geschichte, aber so einfach fand ich es gar nicht. Also:
Am Freitag, 11.12.2015 fand die Klatschcafé-Soliparty statt. Das Klatschcafé ist eine super Sache, und außerdem wollte ich das letzte Konzert von Mengenrabatz nicht verpassen. Was ich gemacht habe: Ich ging zwischen zwei Songs auf die Bühne und sagte durchs Mikro: „Punk ist dann tot, wenn er ein beschissener Männerverein ist. Auf der Bühne; und vor der Bühne.“
Was war passiert, warum diese Intervention? Eigentlich nichts Besonderes, und das ist auch schon Teil des Problems:
Man hält sowas für normal. Man und auch frau hält es für normal, wenn an einem Abend nur Männer auf der Bühne stehen. Und wenn Männer pogend den Bereich vor der Bühne einnehmen. Männliche Dominanz ist in Punkrock und Hardcore, aber wahrlich nicht nur dort, normal.
Auf der Bühne sind Frauen selten (erst recht Lesben), Trans* noch seltener. Von Türsteher_innen ganz zu schweigen. Im heterosexuellen Normal-Rahmen ist Frauen-Aufgabe, die Jungs auf der Bühne toll zu finden. Auch eine super Frauenaufgabe bei solchen Konzerten: fotografieren. Am besten noch Essen machen und Getränke bringen.
In dem Fall nun waren die Frauen hinten und am Rand, und das ist meistens so. Liegt es dran, dass Frauen nicht pogen können oder wollen, weil ihnen das zu aggressiv ist? Will ich das vielleicht sagen? Absoluter Quatsch. Menschen jeden Geschlechts können auf die Härte, die Aggression, den Rotz, die Wut, den Schweiß von Punk, die Körperlichkeit des Pogo stehen – oder eben nicht. Frauen*Mädchen haben allerdings oft nicht gelernt, physisch aggressiv zu sein. Sie lernen eher Lächeln und Kümmern. Aber für mich waren Punk und Pogo dadurch erst recht geil, als Möglichkeit mal nach außen aggressiv sein zu dürfen. Wie es bei den Anwesenden so aussah, hätte man sie wohl selber fragen müssen.
Können die Menschen nicht stehen, wo sie wollen? Natürlich. Aber es geht mir darum, diese wirklich nur beispielhafte Situation zu nehmen und daran allgemeinere Merkmale der Geschlechterverhältnisse zu erkennen.
Die eigentliche Frage ist, wer spricht und wer zuhört. Wer sendet und wer empfängt. Es geht mir um den beschissenen Zustand, dass Frauen* ständig zum passiven Objekt gemacht werden – und sich selbst zum Objekt machen müssen, um Subjekt werden zu können. Und der spiegelt sich eben darin, dass viele, auch linke, Veranstaltungen so tun, als hätten Menschen nicht-männlichen Geschlechts musikalisch oder sprachlich nichts mitzuteilen. Laaaaangweilig. Das Problem ist kein neues, es nervt echt, wie alt es ist. Auch im Punk – lest einfach das RIOT GRRRRL MANIFEST [Link] aus den 90ern, da steht alles drin. Und guckt euch Ladyfeste an. Zum Beispiel.
Ihr wollt auf eurer Party keinen Sexismus? Sexismus steckt nicht nur in blöden Sprüchen. Herrschaftskritik muss auch bei der Organisation von Veranstaltungen eine Rolle spielen (nicht nur in Bezug auf Geschlecht). Wenn ihr nicht wisst, wie ihr Frauen findet, die gute Musik machen oder euch fragt, was ihr noch beachten könntet: denkt nach, informiert euch, google ist groß. Ich finde, das ist nicht Aufgabe von Feminist_innen. Und seit Jahrzehnten machen sie dennoch immer wieder drauf aufmerksam.. man hat eben gelernt, sich zu kümmern. Aber manchmal fragt man sich, ob man Parties sprengen muss, um ernst genommen zu werden.
Die Kritik richtet sich nicht (nur) ans Klatschcafé als Organisator_innen oder an Mengenrabatz als Band oder das AZ Conni als Ort oder an die linke Szene als Subkultur oder Punk als Subkultur oder an irgendwelche Medien oder die einzelnen Leute/Männer vor der Bühne oder die einzelnen Leute/Frauen hinten oder an deren Eltern und Lehrer_innen und die Sozialisation oder an abstrakte gesellschaftliche Strukturen… sondern an alles davon, weil es nicht voneinander zu trennen ist.
Fakt ist: all das hat zu dieser sexistischen Situation beigetragen. Dass es keine besondere Situation war, sondern eine sehr häufige, macht es nicht besser. Dass ich mich über Normales beschwere, macht mich zur nervigen Feministin. Tja, was will man machen. Spaß macht es nicht. Obwohl, es war schon ein gutes Gefühl, es nicht wie so oft so stehenzulassen und mich zu ärgern, sondern zu widersprechen, zu irritieren und zu beobachten, was geschieht. Kann ich euch nur empfehlen
Ich hab mich im Nachhinein noch eine Weile (auch geschlechtstypisch) gefragt, ob das denn jetzt okay war, ob das jetzt zu gemein war, das Klatschcafé ist doch nett, für die Band war es das letzte Konzert, man hätte doch tausend andere Orte gefunden, um das zu sagen… aber im Endeffekt finde ich: Das war schon alles gut. Und an den tausend anderen Orten muss man es einfach auch sagen.
Jungs, es war doch schön – nach der Ansage wart ihr so irritiert, dass eine zeitlang der Raum vor der Bühne einfach leer war. Das fand ich gut – mal nen Schritt zurück gehen oder mal kurz warten ist eine Tugend, die ihr in allen möglichen Situationen üben könnt. Und Ladies, den Raum können wir dann auch einnehmen Und wir müssen immer weiter Musik machen, Bands gründen, uns auf Bühnen stellen, schreien und posen und pogen und tanzen und uns gegenseitig feiern und uns damit so richtig breit machen.
Don’t be in love with the guitarist. Be the guitarist.
P.s.: Weil ich dem zustimme, möchte ich noch Mengenrabatz zitieren: „…du meinst, das wär egal. Doch für ein gutes Leben ist das keinesfalls normal.“ [Video 2012 im Conni] – Genau.
Das ist aus dem Song „Sexismus ist Scheiße! Ihr seid die Beweise.“ – Diese Titelzeile hätte eigentlich auch die Überschrift für den Text hier werden können ;-)“
Hier endet das Schreiben. Wir lassen das mal unkommentiert und möchten an dieser Stelle noch auf etwas hinweisen: Falls ihr mehr über Sexismus und Geschlechterverhältnisse allgemein wissen wollt: Im Klatsch-Café gab es am 04.12. von uns eine Einführung in den Feminismus. Den Vortrag gibt es nun hier zum Nachhören:
Mixcloud-Link