Redebeitrag der APJ zur Tierrechtsdemo in Düsseldorf am 17.10.
Was ist Tierbefreiung?
Tierbefreiung liegt die Überzeugung zugrunde, alle Tiere, ob menschlich oder nicht, als Individuum zu betrachten. Die erste Konsequenz, die sich daraus ergibt ist nichtmenschliche Tiere nicht mehr als Ware zu betrachten und Grundrechte für sie zu fordern. Das Einräumen eines Rechts auf Freiheitund Unversehrtheit stellt dabei aber nur einen ersten, wenn auch wichtigen, Schritt dar. Das eigentliche Problem ist die folgende Kernüberzeugung in unserem Kopf: Wir haben eine Zweiteilung von Mensch und Tier gelernt. Und so sehr wir auch nicht-menschliche Tiere schützen wollen und ihnen Rechte zusprechen, so sehr bleiben sie während dessen von uns abhängig.
- Um diese Zweiteilung zu verstehen müssen wir etwas ausholen: Diese ist aus wissenschaflticher und ethischer Sicht heutzutage nicht mehr ansatzweise haltbar. Auch wenn konservativ-religiöse Gruppen den Menschen gerne als Krone der Schöpfung oder aber manche humanistische Gruppen als Spitze der Evolution verstehen wollen, so liegt dem doch das gleiche Konzept zugrunde: „Wir Menschen sind ‚den Tieren‘ übergeordnet und dürfen über sie entscheiden.“ Die Wissenschaft weist uns aber eigentlich schon lange darauf hin, dass wir nur eine Spezies unter vielen sind. Weder hat die Erde im Universum eine Sonderrolle noch hat der Mensch in der irdischen Natur eine Sonderstellung. Genauso wenig können wir legitimieren, warum wir unter anderen Spezies zwischen Nutztieren, Haustiernen, Schädlingen, Parasiten und Wildtieren unterscheiden. Diese Einteilung ist von einer anthropozentrischen, also den Mensch in den Mittelpunkt stellenden Sicht geprägt. Sie bezieht sich auf bestimmte Eigenschaften die der Mensch von sich auf andere Tiere projeziert.
Die menschliche Kultur hat Wissenschaft, Technik und Kunst hervorgebracht, und darin sind wir gut. Daher sind wir häufig versucht diesen Maßstab auch auf andere Spezies anzuwenden: Wie gut können Schimpansen unsere Grammatik verstehen? Wie gut können Hühner rechnen? Im Ernst – das haben echt Leute ausprobiert! Aber ist das fair oder gar sinnvoll? Menschen können ohne Hilfsmittel verdammt schlecht fliegen: Nämlich gar nicht. Wir sind im Vergleich zu Katzen fast taub. Wir können deutlich schlechter Gerüche wahrnehmen als Schweine. Im Vergleich zu Pferden können wir nur sehr langsam rennen. Es ist offensichtlich absurd, den ethischen Wert eines Individuums anhand dessen Fähigkeiten zu bemessen. Bei Menschen sind die Fähigkeiten nicht entscheidend dafür, ob sie leben dürfen – zum Glück. Aber dieser Maßstab findet sich wieder, wenn über die Beziehung unserer Spezies mit anderen diskutiert wird.
Aus dieser falschen Annahme unsere Spezies sei anderen überlegen, leitet sich die Vorstellung ab, verschiedenen Spezies verschiedene Wertikeit und Bedeutung beizumessen: dies ist Speziesismus. Auf dieser menschgemachten Skala befindet sich der Mensch – wen wundert es – natürlich ganz oben und leitet daraus einen Herrschaftsanspruch ab.
Tierbefreiung will also die Loslösung von Tieren aus dem Herrschaftsverhältniss mit Menschen. Nochmal: Es geht aber um die Auflösung von allen Herrschaftsstrukturen – Unser Überdenken des Verhältnisses welches wir zu anderen Individuen haben. Dies wird häufig mit der Forderung nach der Möglichkeit ein Leben in Freiheit und Unversehrtheit führen zu können verbunden.
Wenn wir Menschen also zu den Tieren gehören, reicht es dann für die Tierbefreiung aus, sich auf nichtmenschliche Tiere zu konzentrieren? Die Befreiung also auf die von der Menschheit kollektiv unterdrückten Spezies zu beschränken? Ein solcher Standpunkt wäre absurd und offensichtlich speziesistisch, wenn wir das Ausmaß bedenken in dem wir Menschen uns gegenseitig fertig machen, bekämpfen, unterdrücken und ausbeuten.
Wir müssen erkennen dass die Befreiung nicht-menschlicher Tiere an die Gesellschaftsstruktur der zurzeit dominantesten Spezies gekoppelt ist: Der Menschheit. Es gibt verschiedene gesellschaftliche Bemühungen welche eine Veränderung bestehender Strukturen und Normen fordern. Um nur einige wenige zu nennen, der Antirassismus und Antinationalismus, der Feminismus und die queer und LGBT Bewegung sowie die Anti-Ableism Bewegung welche sich gegen die Diskriminierung von Menschen mit Behinderung einsetzt. Hinter all diesen Bestrebungen steht die Erkenntnis, dass niemand ein Individuum unterdrücken darf. Die herbeigezogenen Unterschiede, welche gerne angeführt werden, wie beispielsweise Hautfarbe, Geschlecht, Sexuelle Identität und Neigung oder Fähigkeiten sind für die Vergabe von Grundrechten und Wertschätzung eines Individuums vollkommen – irrelevant. Interessant ist, dass hinter all diesen Phänomenen, das gleiche Denkmuster steckt. Menschen schätzen andere Menschen gering, weil sie anders sind. Dieses Konzept ist als „Othering“ bekannt: Es beschreibt die Kategorisierung von Individuen anhand von Merkmalen wie etwa Hautfarbe oder Geschlecht. Des weiteren macht es Schubladen in denen wiruns zugehörig fühlen und die wir strategisch einsetzen können um andere Individuen auszugrenzen.
Es ist daher sehr wichtig dass wir dieses Schubladendenken ablegen und über Kategorien hinausdenken. Geben wir das Othering auf! Alle Ausbeutungsmechanismen sind miteinander verwandt und können nur gemeinsam angegriffen werden. Es muss eine Abschaffung von sämtlichen Herrschaftsstrukturen erreicht werden, welche notwendig antikapitalistisch sein muss. Hierzu können wir keine Reformen einsetzen sondern brauchen einen radikalen Ansatz.
Warum muss Tierbefreiung stets antikapitalistisch sein? Nun – Kapitalismus begünstigt immer Konkurrenz, immer Wettstreit um Ressourcen und erfordert Andere auszustechen. Die freie Marktwirtschaft, wie der Kapitalismus auch verschönernd genannt wird, ist nicht danach orientiert die Bedürfnisse von Individuen zu erfüllen sondern nur das Kapital von Konzernen zu maximieren. Diese sind aber nur gedankliche Konstrukte, sie existieren nur auf Papier. Eine Fabrik, die beispielsweise Brot herstellt, braucht lediglich Bäcker*innen aber ob in irgend einer Akte in irgend einem Büro eine Eigentumsurkunde liegt, auf der ein Name steht, ist für die Funktionsfähigkeit der Fabrik nicht relevant. Sie dient nur dazu, dass die Menschen die in der Fabrik das Brot herstellen, glauben für eine andere Person arbeiten zu müssen, und es gerecht ist, dass die Person die auf dem Papier steht bestimmen darf wann und wie sie arbeiten und wie viel Geld sie bekommen. Othering und Herrschaft ist unmittelbar in jede Form des Kapitalismus eingebacken.
Also, wo stehen wir?
Unterdrückung nicht-menschlicher Tiere kann nicht isoliert betrachtet werden, und die Forderung nach Rechten für nichtmenschliche Tiere darf nur ein Teil unserer Forderung sein. Wir müssen nicht nur für Grundrechte sondern die geistige und körperliche Befreiung aller fühlenden Individuen kämpfen. Wir müssen aufhören unsere Kompetenz an Politiker*innen abzugeben und uns selbst und andere ermächtigen. Keine Duldung der Zerstörung der Erde, auf der wir alle Leben! Kein Fußbreit für Rassist*innen! Keine Toleranz für Sexismus! Weg mit allen Facetten von Homo- und Transphobie! Speziesismus bekämpfen! Den Kapitalismus aus den Köpfen! Schluss mit jeder Herrschaftsform!
Nicht länger warten, die vegane Revolution ist jetzt!