Tonnenweise Froschschenkel, lachende Schweine und die kollektive Selbsttäuschung in der Werbung für „Tierprodukte“

In Vittel, einer kleinen Stadt in den Vogesen, also quasi in meiner Nachbar*innenschaft, findet jedes Jahr die sogenannte „foire aux grenouilles“ statt. So auch am kommenden Wochenende. Der „Jahrmarkt der Frösche“ ist aber kein Fest für die Frösche oder zum Thema „Rettet die Frösche“ oder „Heute verkleiden wir uns alle als Frösche, weil das so lustig aussieht“, sondern ein Stadtfest mit Fressmeile, bei der tonnenweise Froschschenkel gegessen werden. Dafür müssen ca. 350.000 Frösche sterben.

Ich kann mich erinnern, dass ich in meiner Kindheit bei Nachbar*innen von Freund*innen hin und wieder ungewohntes Essen serviert bekam: Weinbergschnecken, Gänseleberpastete, Kaviar und eben auch einmal Froschschenkel. Ich fand das interessant und war schon immer neugierig auf neues. Erinnerungen daran, ob und wie sie geschmeckt haben, habe ich keine. Und seither habe ich mich mit dem Thema auch nicht mehr beschäftigt.
Nun habe ich heute morgen im Deutschlandfunk einen Bericht über die „foire aux grenouilles„, das „größte Froschschenkel-Essen der Welt“ gehört und mich danach allgemein ein bischen in des Thema „Verzehr von Froschschenkeln“ eingelesen: Es ist ein grausiges Treiben aber auch ein Sinnbild dafür, was in unserer Welt grundsätzlich schiefläuft. Das geht von widerlichen (Ess-) Traditionen, zu kurz gedachtem, regionalem Umweltschutz über kulinarischen Kolonialismus, Überlastung empfindlicher Ökosysteme bis hin zu kapitalistischer Verwertungslogik und extremer Grausamkeit gegenüber nichtmenschlichen Tieren.
Ich will hier jetzt gar nicht die Details der komplexen, ökologischen Dimensionen beschreiben. Diese könnt ihr hier nachlesen und nachhören:

Deutschlandfunk: Umweltsünde und Tierleid: Größtes Froschschenkel-Essen der Welt
taz: Haute Cuisine bedroht Speisefrösche: Kein Schenkelklopfer
PDF von Pro Wildlife (englisch): Deadly Dish Role and responsibility of the European Union in the international frogs’ legs trade
PETA: Froschschenkel
Mitwelt: Froschschenkel

Aus veganer und tierbefreierischer Sicht verbietet sich der Konsum von Froschschenkeln natürlich auch und es ist eigentlich unnötig, das zu betonen. Frösche haben wie alle Wirbeltiere ein ausgeprägtes Schmerzempfinden und finden es wahrscheinlich eher ätzend, die Beine bei lebendigem Leib abgetrennt zu bekommen.

Ich will hier aber auf einen anderen Aspekt, über den ich beim Lesen zum Thema „Froschschenkel essen“ wieder mal gestolpert bin, eingehen: Ich nenne ihn mal „Das lachende Tier in der sowieso schon manipulativen Werbung für tierliche Produkte“. Vielleicht gibt es dafür ja schon einen anerkannten Fachbegriff, den ich nicht gefunden habe?
Er begegnet mir bewusst schon seit vielen Jahren und ihr kennt ihn sicher auch: Ihr geht an einer Metzgerei vorbei und und ihr seht auf dem Schaufenster ein lachendes Schwein oder tanzende und grinsende Würste. Ein Tiertransporter fährt an euch vorbei und auf dem Anhänger prangen fröhliche Kühe. Glückliche Hühner preisen ihre eigenen Eier zum Verkauf an. Und genau so wird teilweise auch für Froschschenkel geworben: Die Marke „Miss Froggy“ verkauft ihre tiefgekühlten Froschschenkel in einer Plastikverpackung, auf der ein stilisierter, lachender Frosch zu sehen ist. Das Logo des Restaurants „Grenouilles et Delices“ ist ein grinsender Frosch mit Kochhaube auf dem Kopf. Und die „foire aux grenouilles“ bewirbt ihre Veranstaltung mit Fotos eines Rotaugenfrosches, der so abgebildet ist, dass er für das menschliche Gehirn fröhlich aussieht. Das tun diese Frösche tatsächlich auf vielen Fotos und es scheint ein ähnlicher Effekt wie bei Delfinen zu sein: Sie sehen halt fröhlich aus, weil ihr Mund zu lächeln scheint. Das krasseste Beispiel hab ich vor Jahren in Form einer meterhohen Figur vor einer Dorfmetzgerei gesehen. Ein aufrecht stehendes Schwein, dessen Körper teilweise aus Würsten, Steaks, Speck und Schnitzeln bestand, schwang lachend ein Schlachtermesser gegen sich selbst. Meistens sind die Darstellungen der Tiere cartoonartig, bunt und deswegen sicherlich auch oft Kinder ansprechend.
Eigentlich wissen natürlich alle, dass die Tiere sich nicht über ihren Tod freuen, sich nicht lachend für uns in’s Messer stürzen oder sich freudig die Beine bei lebendigem Leib abschneiden lassen. Sie opfern sich nicht voller Glück für unseren vollen Magen, weil das halt so ihre Bestimmung ist. Im Gegenteil, sie haben ein Interesse daran, weiterzuleben und Leid nicht zu erfahren. Und, tatsächlich, sie können lachen (also zumindest ist das bisher bei 65 Arten nachgewiesen, u.a. bei Primaten, Hunden, Papageien und Hausrindern). Sie tun es aber in ähnlichen Situationen wie wir: Nämlich dann, wenn sie spielen, gut drauf sind und deeskalieren wollen. Und nicht, wenn sie leiden und sterben müssen.

[Hier ein paar Beispiele. Anklicken zum Vergrößern.]

Was ich nicht verstehe, ist die Motivation für diese Art der Werbung. Auf der einen Seite baut die Tierausbeutung u.a. darauf auf, dass Tieren abgesprochen wird, uns ähnlich zu sein. Ein beliebter Vorwurf von Gegner*innen des Veganismus ist, dass wir Tiere vermenschlichen, also an­th­ro­po­mor­phi­sie­ren würden. Aber genau das passiert ja hier zuhauf: Tiere sprechen, tragen Kleidung, lachen, grinsen, benutzen Werkzeug, preisen ihre eigenen Produkte und Körperteile an etc. Dann frage ich mich: Wer soll darauf reinfallen? Im Jahr 2023? Sind die Werbefritzen so doof oder naiv, dass sie sich einen positiven Effekt davon erhoffen? Bin ich so doof oder naiv, weil ich nicht glauben will, dass es wirkt? Ist es ein krampfhafter Versuch, die Realität hinter Tierausbeutung zu verstecken, quasi eine fröhliche Theatermaske, die das Grauen bedeckt? Ist es Tradition? Ist es reiner Zynismus? Trumpesker Ausdruck von „Wir können mit Tieren machen, was wir wollen, auch wenn es noch so krank ist“? Ist es Empathielosigkeit? Ich denke es ist von alldem etwas, aber hauptsächlich kollektive Selbsttäuschung, die in die Ideologie des Karnismus eingebettet ist. In ihr ist tatsächlich jedes Grauen und jede Brutalität aber eben auch jede Absurdität gegenüber nichtmenschlichen Tieren möglich und sie wird akzeptiert. Und das macht es so schwer, jeden Tag gegen diesen Normalzustand anzugehen.

Dennoch ist es wichtig, dass wir solche Praktiken kritisieren und aussprechen, dass kein Tier gerne für uns stirbt und dass die Darstellung von lachenden Tieren, die freudig in’s Schlachtermesser hüpfen, eine Lüge ist. Wir müssen, um mit Melanie Joy zu sprechen, „Zeugnis ablegen, um nicht nur als äußere Beobachter zu handeln, sondern um eine emotionale Verbindung zum inneren Erleben des anderen herzustellen.“¹ So durchbrechen wir die betäubende Normalität des Karnismus.

Until every cage is empty.


¹ aus „Warum wir Hunde lieben, Schweine essen und Kühe anziehen“ (S. 156)

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