Robinson, bitte mach was draus. Das Referat Politische Bildung und die Gesellschaftskritik

Das ‘Referat Politische Bildung’ ist ein Gremium an der TU Dresden. Traditionell organisiert es in jedem Semester eine Ringvorlesung o.ä. mit radikal gesellschaftskritischer Ausrichtung.
Seit zwei Semestern – möglicherweise gibt es einen Zusammenhang zur neuen komplett männlichen* Besetzung des Referats? – werden nur noch vortragende Männer* eingeladen. Zudem sind feministische Perspektiven wie so häufig eine Randerscheinung.
Es ist immer wieder dasselbe. Man wird müde, solche Dinge anzusprechen, aber es muss sein. Das kürzlich veröffentlichte Bekennerinnenschreiben hat uns bestärkt, auch nochmal solche vermeintlich banalen Dinge zu thematisieren. Wir kritisieren deshalb, weil wir wollen, dass es anders wird. Und wir kritisieren euch, weil euer eigener Anspruch euch dazu bewegen müsste, es anders zu machen.

Im Sommersemester 2015 lautete das Thema der Vortragsreihe “Interstellar: Eine kritische Theorie von Gesellschaft, Technik und Fortschritt”. Immerhin redete hier Soziologiedozent Tino Heim über “Geschlecht und Technik”. Keine vortragenden Frauen* in der Reihe – das mit der Technik ist ja auch eher kein Frauenthema. Sarkasmus.
Dieses Semester wurde sich ein ebenso breites Thema gesucht: “Robinson und die Krise. Zur Kritik von Gesellschaft, Wissenschaft und Ökonomie”. Ein ziemlich ambitioniertes Vorhaben. Sieht man sich das Programm an, fällt auf: Es reden nur weiße Männer*. Wie wurden sie ausgewählt?

Vielleicht wurden sie gewählt, weil sie ‘Namen’ haben. Vortragende werden oft so eingeladen: Man sucht nach Leuten mit Publikationen oder bereits gehaltetenen Vorträgen zu einem bestimmten Thema oder in bestimmten Zirkeln (z.B. ça ira-Verlags-Umfeld). Der Weg in bestimmte Zirkel, so sympathisch sie sein mögen, oder hin zu einer Veröffentlichung ist aber durch gender und race uvm. bedingt. Vielleicht muss man da auch mal auf anderen Wegen suchen?
Vielleicht wurden sie auch einfach deshalb gewählt, weil sie eben inhaltlich Richtiges und Wichtiges sagen. Nur: Gibt es keine Menschen of Color, keine Schwarzen Menschen, keine Frauen*, Inter* oder Trans*, die Kluges zur Krise zu sagen haben? Zur Kritik an Gesellschaft, Wissenschaft und Ökonomie? Nicht euer Ernst. Ob ihr ihnen auch genügend Intellekt ZUSPRECHT und sie als Sprecher_innen oder Autor_innen ernst nehmt, ist die andere Frage. Vor allem, wenn es um die HARTEN Themen geht (= alles außer Feminismus). Sarkasmus.

Niemand will Leute einladen, die inhaltlich nicht passen, bloß weil sie Frauen* sind. Dass das quatsch wäre, ist ja wohl klar. Mit diesem abwehrenden Standard-Missverständnis wird nur gern weggewischt, dass man die Frauen*, die inhaltlich passen, nicht einlädt.

Die weißen Männer* – die eingeladenen und ihr – können zunächst mal nichts dafür, dass sie weiße Männer* sind oder zu solchen gemacht wurden und werden. Vielleicht finden sie das eigentlich auch gar nicht gut, in dem Wissen, dass solche Kategorisierungen uns ALLE beschränken. Dennoch sind sie es, denen eher eine Bühne geboten wird als anderen. Und solche kleinen vermeintlich unwichtigen Dinge wie diese stablisieren die Verhältnisse.

Quengeln hier ‘Benachteiligte’ umher, dass sie nicht drankommen? Sollen sie sich doch anstrengen, man kann es schaffen – Arbeit und Triebverzicht. Doch scheinbar von Herrschaftsverhältnissen unabhängige ‘Leistung’ ist (neo)liberale Ideologie, das wisst ihr doch.

Euch ist aber sicher das Argument geläufig, dass man die Frage der Repäsentation nicht so überschätzen sollte. Wichtiger ist schließlich eine Art ‘reiner’ Inhalt. Diesen allerdings gibt es nicht – sorry, aber auch die Vortragenden sind gesellschaftlich positionierte Menschen. Man sollte diese Frage eben auch nicht unterschätzen. Wenn man das aber tut (was nicht mit Männlichkeit zusammenhängen muss, aber kann) schlägt sich das auch inhaltlich nieder – als Leerstellen in der Gesellschaftskritik.

Es wird behauptet, sich die Prämissen, die Vorannahmen usw. von Wissenschaft, Politik und Ökonomie anzusehen. Das ist ja ein wichtiges Vorhaben, aber wieso kommt man da nicht auch auf direktem Wege zu Geschlecht? Oder zu Coloniality. Hat irgendjemand neben Robinson auch mal über ‘Freitag’ geredet? Jetzt könnt ihr sagen: Das wird ja alles implizit mitverhandelt, es geht eben um eine ‘allgemeinere’ Gesellschaftskritik, da ist sowas dann mitgemeint. But that’s the point, Herrschendes setzt sich immer als Allgemeines.

Wenn es um umfassende Kritik der Gesellschaft geht, dann muss man sich Voraussetzungen, Bedingungen, Schattenseiten eben dieses Allgemeinen ansehen, das ihr selbst reproduziert. Die Kritik an Geschlecht und Rasse ist für eine Kritik der bürgerlichen Gesellschaft (und Wissenschaft, Politik und Ökonomie) fundamental, muss nicht nur genannt oder ‘mitgedacht’ werden. Ohne ihre theoretische UND PRAKTISCHE Kritik verliert der Rest an Radikalität.

Die Frage an das Referat Politische Bildung lautet, ob es euch tatsächlich um Gesellschaftskritik geht. Kritik ist nicht Theorie, Kritik ist Theorie und Praxis. Und auch Kritik AN Theorie und Praxis.
Dies ist ein Versuch, euch auf die Bedingtheit auch EURER “Kritik von Gesellschaft, Wissenschaft und Ökonomie” hinzuweisen.

Praktisch könnte man, wenn man eine Reihe plant, einfach unter diesen Gesichtspunkten noch einmal darüber nachdenken, welche Themen man setzen und wen man einladen will – und es dann anders machen. Es macht einen Unterschied, welche Stimmen und Positionen man verstärkt, welchen man Raum und Ressourcen bietet. Dass das allein nicht die Strukturen überwindet, die dazu führen, sich darüber überhaupt Gedanken machen zu müssen, ist kein Argument. Klar ist das ein Tropfen auf den heißen Stein, aber immerhin ein Tropfen. Ungefähr wie das hier, das wieder und wieder zu sagen.

Dies ist ein Versuch, Bestehendes zu kritisieren, um es zu verändern. Dazu gehört auf Ebene der Repräsentation nicht nur, Raum einzufordern, sondern auch, ihn sich zu nehmen. Deshalb ist dieser Text öffentlich. Noch zwei Veranstaltungen der Reihe finden statt, und man kann sicher auch beim Referat mitmachen.

Bitte macht was draus. (jetzt den Link anklicken)

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