Prozessbericht vom 2.8.: Geldstrafe und Berufung – Es ist noch nicht vorbei

Wir veröffentlichen hier den Bericht vom Prozess gegen Jan aus Nürnberg.

Am 2. August 2018 fand der Prozess gegen Jan vor dem Amtsgericht Nürnberg statt. Für “Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte” im Rahmen der Abschiebeblockade vom 31. Mai 2017 wurde er zu 2.700 Euro Geldstrafe verurteilt. Die Staatsanwaltschaft hatte 6 Monate Haft ohne Bewährung gefordert und ist offensichtlich entschlossen, die Freiheitsstrafe trotz der mauen Beweislage doch noch durchzusetzen: Eine Woche später ging sie in Berufung gegen das Urteil. Es ist also wieder alles offen.

Zum 31. Mai 2017, als 300 Schüler*innen und andere Aktivist*innen versuchten, die Abschiebung eines Berufsschülers nach Afghanistan zu verhindern, gab es bisher schon vier Gerichtsverfahren. In jedem davon wurden die Angeklagten vom Gericht beispielsweise für Widerstand, gefährliche Körperverletzung, tätlichen Angriff und ähnlichen scharf klingenden Vorwürfen für “schuldig” befunden und erhielten hohe Strafen wie Geldzahlungen, Arbeitsstunden und bis zu 9 Monate Knast (auf 3 Jahre Bewährung).

Nicht nur diese Urteile wiesen bereits auf den hohen Belastungs- und Verurteilungswillen hin, von dem wir auch bei Jans Prozess befürchteten, dass Gericht und Staatsanwaltschaft ihn verfolgen würden. Auch die Tatsache, dass der Richter Kuch Anfang des Jahres Nachermittlungen anordnete, stimmte darauf ein, dass sie Jan unbedingt dranbekommen wollten. Zurückgezogen wurde die Akte deshalb, weil dem Richter die Beweislage nicht ausreichte, um Straftaten in Jans Handeln zu erkennen. Was zunächst vielleicht gut klingt und darauf hoffen ließ, dass es dem Staat schwer fallen würde, etwas gegen Jan zu konstruieren, erwies sich im Prozess schlicht und einfach als Versuch, die Beweislage gegen Jan noch so gut wie möglich zu verdichten, um die Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung zu erhöhen. Offensichtlich auch mit Absprachen der Zeugen untereinander und Vorwürfen, die so abstrus waren, dass selbst die Staatsanwaltschaft sie zum Schluss fallen ließ, wie im Laufe dieses Berichts deutlich werden soll.

Eine andere Besonderheit waren die schikanösen Auflagen, wie sie im Mai31-Zusammenhang erst einmal in ähnlicher Form angeordnet worden waren: Nämlich bei dem Prozess gegen Sercem im Oktober vergangenen Jahres. Wie damals standen nun für alle Unterstützer*innen und selbst die Verteidigung doppelte Einlasskontrollen an, inklusive Abtasten des Körpers, Kopieren der Personalausweise – sehr zur Freude des Staatsschutzes – und dem Verbot, Schreibmaterial mit in den Gerichtsaal zu nehmen. Beim Prozess gegen Jan, den die Bullenzeugen in ihren Aussagen mehrmals als “den Punker” titulierten, wurde außerdem erlassen, dass “verwahrlosten und alkoholisierten Personen” der Zutritt verwehrt werde, ebenso wie solchen, die in einem “provozierend erscheinenden Aufzug” erscheinen würden.

Breite Unterstützung & Solidarität

Vor Beginn der Gerichtsverhandlung organisierte das Nürnberger Antirepressions-Bündnis “Widerstand Mai 31 – Solidarität ist kein Verbrechen” eine Kundgebung, an der sich knapp 100 solidarische Menschen beteiligten. Trotz etwas wackeliger Technik wurden etliche Reden gehalten, die den krassen Verfolgungswillen durch Polizei und Staatsanwaltschaft thematisierten, oder auch die Funktion von Knast und Strafe und die Notwendigkeit, diese zu überwinden. In den kleinen Gerichtssaal, in dem verhandelt wurde, drängten sich anschließend rund 40 kritische Prozessbeabachter*innen. Durch das hohe Interesse und die enormen Sicherheitsvorkehrungen hatte die Verhandlung schon lange begonnen, bevor die Zuschauer*innenbänke voll besetzt waren.

Gleich zu Beginn der Verhandlung verlas Jan seine Prozesserklärung, um vorweg die politischen Beweggründe zu schildern, die mensch aktiv werden lässt gegen Abschiebungen: Er thematisierte die zum Himmel schreiende Ungerechtigkeit von Machtverhältnissen, die Gewalt gegen Menschen zulassen und fördern. Egal ob es sich um Abschiebungen und deren Folgen handelt, um die Verschleppung anarchistischer Genoss*innen in Argentinien oder Polizeigewalt. Gesetze, die eine solche Logik festschreiben, sollten gebrochen werden!

Das Publikum applaudierte heftig, was den Richter verleitete, cholerisch mit der Räumung des Saales zu drohen. In seinen Augen missachte dies die Ordnung des Gerichtes und sei respektlos dem Angeklagten gegenüber. Nach kurzem Lachen aufseiten des Publikums begann die Vernehmung der Zeugen.

Über prügelnde Bullen und abgestimmte Zeugenaussagen

Alle vier geladenen Zeugen sind (männlich* gelesene) Polizisten, die am 31. Mai im Einsatz waren. Aufgrund der Nachermittlungen gingen wir bereits davon aus, dass sich die Zeugenaussagen nicht groß unterscheiden würden, sondern gut aufeinander abgestimmt wären. Jedoch gab es einen klaren Unterschied zwischen den Aussagen der Streifenbullen (Balin und Böhner) und denen der geschlossenen Einheiten (E-Zug Erlangen).

So waren die Aussagen der ersten beiden Streifenbeamten vor allem durch fehlende Erinnerungen und vage Beschreibungen ausgezeichnet. Sie schilderten hauptsächlich die “chaotischen Situation” vor Ort. Trotzdem wollte einer von ihnen irgendwie gesehen haben, wie Jan in Richtung Polizeikette geschlagen habe, konnte dabei jedoch nicht sagen, ob der vermeintliche Schlag jemanden getroffen hatte.

Der zweite Zeuge Böhner war dem Publikum schon aus dem letzten Verfahren gegen einen anderen Aktivisten des 31. Mai bekannt. Bei jenem Verfahren wurde festgestellt, dass dem Angeklagten keine gewalttätigen Handlungen angelastet werden können, dem Cop aber sehr wohl. Böhner hatte mit seinem Schlagstock auf den Aktivisten eingeprügelt, wie damals auch das Gericht nicht leugnen konnte. In Jans Prozess bestätigte sich die Vorliebe Böhners zu Gewalt erneut: Mithilfe einer der vielen Videoaufnahmen, die das Geschehen des 31. Mai dokumentieren, sollten Beweise für Jans angebliche Straftaten gesichtet werden. Statt jedoch Gewalt zu zeigen, die von Jan ausging, ist ein Schlag mit dem Ellenbogen in Jans Gesicht zu sehen – ausgeführt von ebenjenem Böhner, der sich schon zuvor über Schläge profiliert hatte. “Verpassen Sie dem Angeklagten da einen Ellbogen-Check?!” witzelte der Richter ziemlich unbeschwert bei diesem Anblick. Gegen Böhner wurden wegen dieser Vorfälle interne Ermittlungen geführt. Wie nicht anders zu erwarten, waren diese aber bereits eingestellt, bevor bei den Genoss*innen die Anklageschriften eintrudelten.

Während die ersten beiden Streifenbullen also eher unzusammenhängend erzählten und so gut wie keine Erinnerungen an die Abläufe des Tages mehr zu haben schienen, sagten die darauf folgenden Erlanger USKler Schwemmle und Koch sehr gezielt und belastend aus. Generell fiel auf, dass zunächst ziemlich hoch gepokert wurde, um Jan zu belasten: Zunächst behaupteten sie “gezielte Schläge mit der Faust in Richtung der Köpfe” von Beamt*innen gesehen zu haben. Je länger sie durch die beiden Verteidiger befragt wurden, desto mehr relativierten sie jedoch ihre eigenen Aussagen und sprachen schließlich nur noch von einem “Umherfuchteln” Jans mit seinen Armen. Ebenso verhielt es sich mit der Behauptung, Jan habe “massiven Widerstand” geleistet; hieraus wurde die Feststellung, dass er wohl nur seine Arme ein wenig gedreht und gewunden habe.

Die Aussagen der beiden ähnelten sich erstaunlich stark. Während der erste USKler Schwemmle jedoch nach und nach zurückruderte und seine Aussagen unter dem Druck der Verteidigung so nicht aufrechterhalten konnte, wirkte Koch in seinem Vorgehen, Jan zu belasten, sehr stringent und routiniert. Er stützte die vorhergehenden Angaben vor allem darin, wo Schwemmles Aussagen Lücken gelassen hatten.

Dass sich Cops bei Gerichtsverfahren absprechen, ist natürlich nichts neues. In diesem Fall aber spielten die Absprachen trotz ihrer Offensichtlichkeit im Urteil am Ende keine Rolle. So wurde im Verfahren durch die Verteidiger aufgedeckt, dass sich die USKler das Video bei der zweiten Zeugenerklärung infolge der Nachermittlungen gemeinsam angesehen hatten, um ihre “Erinnerungen aufzufrischen”. Eigentlich verbietet die Strafprozessordnung eine gemeinsame Vorbereitung von Zeug*innen. Aber natürlich gelten die eigenen Regeln für den Staat nur dann, wenn sie ihm in den Kram passen. Jans Verteidigung stellte daher einen Antrag, dass diese Zeugenaussagen nicht in das Urteil einfließen dürften.

Anscheinend sah der Richter das anders. Die Verurteilung von Jan wegen Widerstand gegen Vollstreckungsbeamt*innen stützte sich nämlich genau auf die vorausgegangenen Aussagen. Zwar sei auf den Videos keine Widerstandshandlung zu sehen, der Vorfall habe sich aber wohl ereignet, als zufällig keine Kamera in der Nähe war. Damit haben wir ein ziemlich klassisches Verfahren gegen einen linken Aktivisten, wie es gewiss keine Seltenheit sind: Keine der Videoaufnahmen liefert belastendes Material, sodass lediglich über abgesprochene Zeug*innenaussagen irgendeine Straftat verurteilt werden kann, und zufälligerweise fehlen diese Sekunden auf den Videoaufnahmen.

Staatsanwaltschaft legt Berufung ein

Aufgrund der mauen Beweislage versuchte die Verteidigung in einem Rechtsgespräch Richter und Staatsanwaltschaft von einem Freispruch bzw. einer Einstellung zu überzeugen. Die Staatsanwältin lehnte dies (nach Rücksprache mit ihrem Vorgesetzten) jedoch ab, da sie der Meinung waren, für solch schwere Vorwürfe müsse es doch mindestens eine Freiheitsstrafe geben. Dementsprechend plädierte die Verteidigung auf Freispruch, während die Staatsanwaltschaft eine Freiheitsstrafe von 6 Monate ohne Bewährung forderte. Wohlgemerkt: Auch die Staatsanwaltschaft sah keine Hinweise auf tätlichen Angriff oder versuchte Körperverletzung. Der Vorwurf des Widerstandes reichte für diese Forderung.

Der Richter folgte der Staatsanwaltschaft in seinem Urteil nicht. Er legte eine Geldstrafe in Höhe von 90 Tagessätzen à 30 € fest. Der Staatsanwaltschaft passte dies nicht – sie legte Berufung ein. Noch ist leider nicht klar, ob sie den gesamten Prozess anfechten wollen oder nur ein höheres Strafmaß für den bereits “festgestellten” Widerstand erreichen wollen.

Jans Prozess war nun schon der dritte zum 31. Mai, nach welchem gegen das Urteil Berufung eingelegt wurde. Bei Jan und einem weiteren Aktivisten erfolgte diese durch die Staatsanwaltschaft, in einem Fall durch die Verteidigung (Hier war eine junge Frau* zu 8 Monaten auf 3 Jahre Bewährung verurteilt worden, die das erste Mal überhaupt polizeilich in Erscheinung getreten war, dafür aber per Öffentlichkeitsfahndung gesucht wurde).

Bemerkenswert ist hierbei vor allem, dass die Staatsanwaltschaft bei den beiden anderen Berufungen bereits hohe Strafen erreicht hatte. Zum Beispiel bei dem Aktivisten, dem letztlich nicht mehr vorgeworfen werden konnte, als sein Fahrrad in der Nähe der Cops geschoben und dabei irgendwie etwas blockiert zu haben. Dass letzterem Aktivisten – übrigens am Ende auch “nur” wegen Widerstand – 8 Monate Freiheitsstrafe (auf 3 Jahre Bewährung) und eine vierstellige Geldstrafe aufgebrummt wurden und die Staatsanwalt trotz dieses scharfen Urteils in Berufung gegangen ist – deutlicher könnte sich der staatliche Verfolgungswillen wohl kaum zeigen.

Keine Abschiebungen und keine Knäste – egal wohin, egal für wen!

Nachdem der Staat bereits auf allen Ebenen Verleumdungen gegen die Antirassist*innen vom 31. Mai gefahren hat und die vormals noch einigermaßen solidarische Öffentlichkeit über ein Jahr nach den Vorfällen immer weiter abgeflaut ist, soll nun offensichtlich ausgelotet werden, wie weit sich die verschärfte Gesetzgebung und ein sich rasant nach rechts bewegendes gesellschaftliches Klima zur Verfolgung politischer Feind*innen nutzen lassen können. Und so reiht sich auch dieser Prozess und das Urteil gegen Jan in eine lange Reihe von Versuchen, den 31. Mai im Nachhinein als eine von der linksautonomen Szene verursachte und kontrollierte, “blinde Randale” darzustellen, anstatt als den breiten, auch und vor allem zivilgesellschaftlich getragenen Widerstand gegen eine menschenverachtende Asylpolitik, der an diesem Tag so viele Menschen berührt und erreicht hat. Doch dass sich noch mehr Menschen als die marginalisierte Linke an den rassistischen Zuständen in Bayern und Deutschland stören, das hat die regierende CSU ja auch unabhängig vom 31. Mai schon immer konsequent negiert. Erst am 14.8. ist von München aus wieder ein Abschiebeflug nach Afghanistan abgehoben, ungeachtet des Protestes hunderter Abschiebegegner*innen.

Mensch darf sich also spätestens jetzt darauf einstellen, weiter und noch heftiger gegen den tödlichen Rassismus hier zu kämpfen – ebenso wie gegen die schärfer werdende Repression gegen all jene, die sich dem entgegenstellen. Knast wird dabei als schärfstes Mittel eingesetzt, die Einhaltung der herrschenden Verhältnisse zu erzwingen: Durch Freiheitsstrafen (oder auch nur die Drohung damit) sollen Menschen davon abschreckt werden, aktiv zu sein. Denn dem System der Strafe kommt im bürgerlich-demokratischen Staat eine tragende Bedeutung zu: Mit seiner Hilfe werden die gegenwärtigen Machtverhältnisse legitimiert, geschützt und gestützt.
So kann leider auch in Jans Repressionsfall noch keine Entwarnung in puncto Knaststrafe gegeben werden – ganz davon abgesehen, dass selbst bei einer Beibehaltung dieses Urteils noch immer die Möglichkeit besteht, dass seine Bewährung widerrufen wird. Der Staat hat ihn längst als einen optimalen Schuldigen ausgemacht.

Die Nürnberger BILD-Zeitung hat dieses Spiel übrigens wunderbar mitgespielt, als sie am Tag nach dem Prozess unter einem großen Bild von Jan titelte: “Linker Chaot greift Polizisten bei Abschiebung an – und bleibt dennoch auf freiem Fuß”. Ungeachtet des tatsächlichen Schuldspruchs (ohne dass wir dessen Wahrheitsanspruch oder die Urteile irgendeines Gerichts legitimieren wollten), war in dem Zeitungstext von “brutalem Zuschlagen nach Polizisten” zu lesen. Willkommen im postfaktischen Zeitalter!

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