Krise einfach erklärt

Im Folgendem veröffentlichen wir einen Text der Gruppe Kriselotte (föderiert in der AFB). Den Text findet ihr zudem als Fingerbook in der neuen Rubrik „Material“. Dort sind auch weitere Veröffentlichungen der AFB, bzw. von in ihr föderierten Gruppen, verlinkt.

KRISE EINFACH ERKLÄRT

Was ist eigentlich Kapitalismus?
Keine einfache Frage! Wir versuchen sie in drei Fragen zu unterteilen.

Wo findet Kapitalismus statt?
Das System, nach dem unser Zusammenleben auf diesem Planeten organisiert ist, wird Kapitalismus genannt. Der Kapitalismus betraf in seinen Anfängen, vor etwa 300 Jahren, nur Rohstoffbeschaffung und einige Produktionsbereiche. Nach und nach dehnte sich der Kapitalismus in immer neue Regionen des Planeten und in immer neue Gesellschaftsbereiche aus. Immer neue Bereiche unseres Lebens werden nach und nach zur Ware gemacht. Heute hat der Kapitalismus Auswirkungen unter anderem auf Gesundheitssystem, Bildungssystem, Kultur, Medien, Politik, Immobilienmarkt, Altenpflege, Emissionshandel, Strom- und Wasserversorgung, ja sogar auf unser Denken. Auch unser Denken? Ja, da der Kapitalismus so viele Bereiche durchdringt, haben wir die kapitalistische Logik weitgehend verinnerlicht und können uns Alternativen kaum vorstellen.

Was ist die Logik des Kapitalismus?
Die Logik des Kapitalismus ist „mehr, mehr, mehr“. Es geht darum Dinge mit Wert in Dinge mit noch mehr Wert zu verwandeln. Zum Beispiel dadurch, dass ich etwas kaufe, nicht weil ich es benötige, sondern weil ich es für mehr Geld wieder verkaufen möchte. Oder dadurch, dass ich eine Firma kaufe, in der ich Leute beschäftige, die Dinge herstellen. In der kapitalistischen Logik ist es so, dass diese Dinge mehr wert sind, als das Instandhalten der Firma und der Lohn für die Beschäftigten kostet. Die Beschäftigten haben also nicht nur ein Ding sondern auch ein “mehr” produziert, das sie mir als Firmenbesitzerin schenken müssen. Wenn ich so etwas mache, dann nicht, weil ich eine böse Kapitalistin bin, sondern weil ich das „mehr, mehr, mehr“ des Kapitalismus verinnerlicht habe und weil ähnliche Firmen meine Firma kaputt machen können, wenn die besser sind. Deshalb muss, muss, muss ich mindestens so viel „mehr“ aus meiner Firma rausholen wie andere aus ihrer, um überleben zu können. Und deshalb müssen die Rechte der Menschen, die die Dinge produzieren, möglichst eingeschränkt sein, damit sie mir weiterhin das “mehr” schenken. Ist das die Logik? Oder Irrsinn?

Offiziell soll der Kapitalismus Fortschritt und Wohlstand für alle bringen. In der Realität funktioniert das nicht ganz, aber dazu später. Die Logik des Kapitalismus ist, dieses Ziel durch Konkurrenz zu erreichen. Das bedeutet, dass alle versuchen sollten, besser zu sein als andere, damit ihre Fähigkeiten und Leistungen von anderen auf dem “Markt” wahrgenommen und belohnt werden. Diese Belohnung erfolgt durch andere Leistungen oder Geld. Nach der Logik des Kapitalismus sind alle gleichberechtigt, da sie sich nur genügend anstrengen müssen, um genau so toll zu werden wie andere (auch das stimmt in der Realität nicht, aber dazu später …). Das nennt sich dann „freier Markt“.

Es gibt viele Varianten vom Kapitalismus, die sich darin unterscheiden, wie stark der Markt reguliert wird. Die einen wollen gar keine Regulation, also auch gar keinen Staat und keine Regierung. Andere wollen mehr Staat, der ab und zu die Banken unterstützt, wenn die Krise zu hart wird, oder denen, die auf dem Markt keine Chance haben, ein wenig Geld gibt, damit sie sich Dinge kaufen können. Denn wenn keiner mehr Dinge kauft, kommt schon wieder eine Krise. Gemeinsam ist diesen Varianten, dass ihnen der Wettbewerb zwischen Menschen wichtiger ist, als den Menschen das zu geben, was sie benötigen.

Was sind die Auswirkungen von Kapitalismus?
Kapitalismus ist ganz schön kompliziert. Auch sogenannte Experten können selten sicher vorhersagen, wie sich die wirtschaftliche Situation entwickeln wird, wann die nächste Krise kommt und was dagegen unternommen werden könnte. Das ist doof, denn wenn mal wieder eine schlimme Krise kommt, sind viele wichtige Lebensbereiche betroffen: Menschen finden keine Arbeit mehr, haben nicht mehr genügend Geld, können sich den Arzt, das Kino, die Wohnung und die Nachhilfe nicht mehr leisten. Viele Menschen haben Angst davor. Besonders, weil sie keinen Einfluss darauf nehmen können, wann mal wieder eine Krise kommt. Je mehr Angst sie haben, um so verbissener, trauriger oder wütender werden sie. Mit so viel Wut kann der Wettbewerb ganz schön unmenschlich werden. Die Gedanken drehen sich nur noch darum zu gewinnen, zu überleben, egal wie es den anderen geht.

Das alles ist zwar schon schlimm genug, aber Kapitalismus hat noch mehr Auswirkungen. Er sorgt dafür, dass Menschen ihre Existenz beim Jobcenter rechtfertigen müssen. Er sorgt dafür, dass in Universitäten zunehmend von Dingen erzählt wird, die Marktvorteile versprechen. Er sorgt dafür, dass außer Menschen auch die Umwelt ausgebeutet und verschmutzt wird, da auch das Marktvorteile verspricht.

Was ist eine ökonomische Krise?
… wieder so eine schwierige Frage …

Was sind die Ursachen von Krisen und wie entstehen sie?
Eine ökonomische Krise herrscht nach der Logik des Kapitalismus dann, wenn die Märkte zusammenbrechen, weil keiner mehr was kaufen will. Das kann aus unterschiedlichen Gründen passieren. Ein recht häufiger Grund ist, dass die Produktion von Dingen immer weiter verbessert wird (um auf dem Markt gegen die anderen zu gewinnen), sodass immer mehr und mehr produziert wird. Irgendwann ist das soviel, dass diese Dinge (z.B. Autos oder Häuser) nicht mehr alle benötigt und deshalb nicht gekauft werden. Wenn nicht mehr gekauft wird, macht es auch keinen Sinn mehr zu produzieren, und die Menschen, die in dieser Produktion beschäftigt waren, verlieren ihre Arbeit. Wenn sie keine Arbeit mehr haben, bekommen sie auch keinen Lohn (Geld) mehr und können sich nichts mehr kaufen. Es gibt also zu viele Dinge, die die Menschen mit Geld nicht mehr haben wollen, und Menschen, die diese Dinge gebrauchen könnten, sie aber nicht bekommen können, weil sie kein Geld haben. So ein Irrsinn!

Eine andere Ursache einer ökonomischen Krise können nicht gehaltene Zusagen sein. Irgendwer leiht sich Geld für ein neues Projekt, das Projekt scheitert und das Geld kann nicht zurück bezahlt werden. Wenn die Bank, die das Geld ausgeliehen hat, sich von einer anderen Bank auch Geld geliehen hat und diese wieder von einer anderen Bank, kann es eine Kettenreaktion geben, wenn einige Zusagen, Geld zurückzugeben, nicht gehalten werden können. Wenn wegen der Kettenreaktion Projekte nicht realisiert werden können, verlieren wieder viele Leute Arbeit und so weiter …

Wie lassen sich Krisen vermeiden?
Hierauf gibt es selbst von den “Experten” keine überzeugende Antwort. Eine Expertin widerspricht oft wenig konstruktiv der anderen, denn sie müssen sich schließlich auf dem Expertenmarkt durchsetzen, um überleben zu können.
Uns ist klar, dass es keine „Schuldigen“ für Krisen gibt. Nicht die Banken, nicht die Menschen, die wenig Chancen auf dem Markt haben, nicht die Politiker und auch nicht die Arbeitgeber, die Arbeiter entlassen. Denn all diese Menschen und Institutionen folgen der Logik des Kapitalismus. Sie müssen dieser verinnerlichten Logik mehr oder weniger folgen, ihre Rolle spielen, weil sie sonst auf dem Markt ziemlich verloren wären. Vermeiden lassen sich Krisen also nicht durch das Finden von Schuldigen, sondern durch das Ändern der Logik, also durch die Abschaffung des Kapitalismus.

Wann fängt die Krise an?
Die ökonomische Krise fängt nach kapitalistischer Logik erst dann an, wenn der Markt nicht mehr funktioniert oder die Banken zusammenbrechen. Wir meinen aber, dass der Kapitalismus ständig von Krise zu Krise schlittert. Und der Irrsinn des Kapitalismus fängt nicht bei den Krisen an. Er fängt schon dann an, wenn eine Person etwas besitzt, was sie nicht unbedingt benötigt, eine andere Person dies braucht, es aber nicht bekommen kann, ohne die erste Person mit Geld oder einer anderen Leistung zu bezahlen. Die erstere Person könnte aber auch ablehnen und so verhindern, dass die zweite Person bekommt, was sie braucht. So geht es vielen Menschen, die hungern oder gar verhungern, obwohl bei geschickter Verteilung genug für alle da sein könnte. Das alles ist nach der Logik des Kapitalismus keine ökonomische Krise, nach unserer Logik jedoch eine große, nicht akzeptable Katastrophe.

Aber es gibt keine Alternative, oder doch?
… endlich mal eine einfache Frage! Doch! Zum Glück gibt es viele Alternativen.

Was genau ist am Kapitalismus nicht ok?
Wir meinen, dass Konkurrenz nicht unbedingt zu Fortschritt führt, da Konkurrenz auch darauf beruht, Informationen geheim zu halten, um den eigenen Vorsprung auf dem Markt zu sichern. Gemeinsame konstruktive Diskussionen der Informationen könnten dagegen zu mehr Fortschritt führen. Wir meinen, dass die Annahme, alle seien am Markt gleichberechtigt, falsch ist. Menschen haben unterschiedliche Fähigkeiten und ihre Chancen sind abhängig z. B. davon, wie sie aufgewachsen sind und was sie bereits besitzen. Wir meinen, dass die Annahme, dass der Kapitalismus zu Fortschritt und mehr Wohlstand für alle führt, falsch ist. Es gibt viele Statistiken, die zeigen, dass sich immer mehr Geld bei wenigen Menschen ansammelt, während die meisten Menschen immer weniger haben. Auch wenn viele Menschen ein wenig mehr haben als zuvor, ist der größer werdende Unterschied zwischen “arm” und “reich” nicht akzeptabel.

Das schlimmste jedoch, was am Kapitalismus nicht ok ist, ist die Priorität des Wettbewerbs vor der Sorge um das Wohl der Menschen.

Welche Grundsätze sind für eine Alternative zum Kapitalismus wichtig?
Das wichtigste ist die Solidarität zwischen Menschen. Solidarität bedeutet, Andere zu unterstützen, wenn dies möglich und nötig ist. Das bedeutet, Interesse daran zu haben, dass nicht nur die eigenen, sondern auch die Bedürfnisse der Menschen im Umfeld möglichst erfüllt sind – unabhängig von deren Fähigkeiten. Wieso sollte irgendwer weniger Recht auf ein gutes Leben haben, nur weil ihre Eltern keine Eliteschule bezahlen konnten? Solidarität bedeutet auch zu erkennen, dass ich mich nur dann wirklich gut fühlen kann, wenn ich die gleichen Rechte und Möglichkeiten, die ich gerne hätte, auch anderen zugestehe.

Solch eine Solidarität ist unserer Meinung nach nur möglich, wenn Menschen sich gleichberechtigt gegenüber treten, also wenn nicht einer der Chef oder die Regierung von jemand anderem ist. Und wenn die Menschen das, was sie tun, freiwillig tun. Wenn sie nicht von irgendwem oder von ihrem Hunger zu etwas getrieben werden, was sie gar nicht wollen.

Ist das wirklich realisierbar? Wie sieht eine solche Alternative in der Praxis aus?
Auf diese Frage gibt es viele Antworten und somit viele unterschiedliche Möglichkeiten für Alternativen zum Kapitalismus. Und während wir weiter in Richtung dieser Möglichkeiten laufen und mehr verstehen, verändern sich diese Möglichkeiten. Hier malen wir eine dieser dynamischen Möglichkeiten zur besseren Vorstellung mal aus:

Es gibt genügend Untersuchungen, die zeigen, dass ausreichend Nahrungsmittel umweltschonend angebaut werden können, sodass kein Mensch hungern muss. Geld braucht es nicht mehr. Die Menschen aller Regionen legen in ihrer Region fest, was sie brauchen – Kartoffeln, Fahrzeuge, Bücher, alles – und was sie produzieren können. Diese Daten werden von Computern verarbeitet, sodass klar wird, wovon es zu viel und wovon es zu wenig geben wird. Dann überlegen die Menschen nochmal, ob sie vielleicht doch ein paar Fahrzeuge weniger benötigen oder ob noch ein paar Leute mehr Lust haben, Fahrzeuge zu produzieren. Wenn alles gemeinsam geklärt ist, wird wie besprochen produziert und dann an die Regionen verteilt, die die Dinge benötigen. Ganz einfach ohne Geld und ganz einfach ohne Nachweise vom Jobcenter und ganz unabhängig von Leistungen oder Fähigkeiten. Etwas zu benötigen, ist Grund genug, es benutzen zu dürfen.

Die Produktion wäre insgesamt weniger aufwändig, da nichts mehr produziert werden müsste, was sofort wieder kaputt geht, da das Wissen geteilt würde, da viele Menschen aus Handels- und Finanzbranchen und Werbung (diese Bereiche sind nicht mehr nötig) Zeit hätten, in der Produktion mitzuhelfen und weil Erfahrungen zur Optimierung der Produktion über verschiedene Betriebe hinweg geteilt werden könnten.

Dass ein solches auf Solidarität und Freiwilligkeit beruhendes System funktionieren kann, zeigen nicht nur Beispiele aus Geschichtsbüchern wie in der Ukraine (1917-1921) oder Spanien (1936-1939), sondern auch aktuelle Großprojekte wie Linux, die Kommune Niederkaufungen oder Wikipedia.

Jetzt eigene Schritte zu Alternativen zum Kapitalismus gehen
Das Bündnis M31 ruft für den 31. März 2012 in Frankfurt zu einer große Antikapitalistischen Demonstration auf. Macht mit! Vor und nach dieser Demonstration ist kontinuierliche antikapitalistische Aktivität wichtig. Beispielsweise in Gruppen deiner Region. Eine Anlaufstelle in Berlin, die weitere Kontakte vermitteln kann, ist die Anarchistische Föderation Berlin

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