Aufruf zum bunten, antiautoritären Block am 12.03.2016 in Köln anlässlich des globalen Frauentages
Wir schreiben das Jahr 2016 und finden uns in einer autoritären Gesellschaft wieder, in der die Schlagworte “Solidarität” und “Selbstbestimmung” kaum im alltäglichen Leben vorkommen. Sie erscheinen nur versteckt und abgewandelt in hohlen Phrasen und sind das Papier nicht wert, auf dem sie gedruckt werden.
Umso mehr lassen sich überall sexistische, rassistische und patriarchale Strukturen erkennen, die verschiedene, miteinander verknüpfte und sich überschneidende Unterdrückungsmechanismen darstellen – auch in dem von uns gelebten Alltag. Dies schränkt die Freiheit und Entfaltung des einzelnen Individuums ein und trägt dazu bei, Herrschaftsstrukturen zu festigen.
Nachdem an Silvester in Köln massenhaft Frauen* mit sexualisierter Gewalt angegriffen und auch bestohlen wurden, löste dies eine riesige Debatte in der Politik und den Medien im ganzen Land aus. Vorfälle wie diese wurden jedoch als Import einer “fremden” Kultur abgetan, da es sich bei den übergriffigen Männern überwiegend um Migranten aus arabisch-muslimischen Ländern gehandelt habe.
Völlig verblendet von rassistischen Denkmustern, nutzen viele Politiker*innen daher diese Möglichkeit, um unter dem Deckmantel der “Sicherheit” nun verstärkt Überwachung und verdachtsunabhängige Polizeikontrollen zu veranlassen. Dabei werden meist männliche Personen mit Migrationshintergrund kontrolliert und damit einem Generalverdacht unterstellt. In einem derart aufgeheizten rassistischen Klima wird gleichzeitig das Asylrecht weiter verschärft.
Für jene Personen,die sich als Frauen* verstehen, ändert diese Repression jedoch nichts, denn an keinem Ausweis oder Pass der Welt kann jemals nachvollzogen werden, ob sich jemand sexuell übergriffig verhält oder verhalten wird.
So wird weiter belästigt, begrapscht und vergewaltigt und die Ursachen dafür liegen nicht nur in der Religion oder Sprache. Die Ursachen liegen in der HERRschaft von Menschen über Menschen und sind eine Konsequenz des Jahrtausende alten Patriarchats, welches fast auf dem ganzen Planeten existiert.
Die sexualisierte Gewalt in der Kölner Silvesternacht ist aus unserer Sicht untragbar und nicht zu dulden. Wir erkennen das schreckliche Ausmaß dieser Gewalttaten an und solidarisieren uns mit den Betroffenen der Silvesternacht. Ebenso stehen wir zu allen weiteren Betroffenen, die sexualisierte Gewalt erfahren oder erfahren haben. Das Erleben sexualisierter Gewalt kann für Betroffene gravierende Auswirkungen haben: Für viele wird das Vertrauen in Sicherheit und zwischenmenschliche Beziehungen erschüttert. Ein sexueller Übergriff ist eine massive Verletzung der körperlichen und sexuellen Integrität. Sexualisierte Gewalt stellt darüber hinaus einen Eingriff in die Bewegungsfreiheit weiblich gelesener Personen dar, indem gerade bei diesen Menschen die Angst vor erneuten Übergriffen geschürt wird und sie selbst durch ihr öffentliches Verhalten mitverantwortlich gemacht werden. Immer wieder werden Warnungen laut, z.B. nachts nicht alleine auf die Straße zu gehen. Dies spricht Menschen, die sich als Frauen* verstehen, ihre Handlungsfähigkeit und ihr Recht auf uneingeschränkte Bewegungsfreiheit ab und ist aus unserer Sicht genau der falsche Ansatzpunkt. Vor allem, da die meiste sexualisierte Gewalt an Frauen von Männern aus dem direkten sozialen Umfeld ausgeht.
Sexualisierte Gewalt kann nur dann am besten vermieden werden, wenn sie erst gar nicht ausgeübt wird. Dadurch, dass wir in dieser autoritären Gesellschaft aufgewachsen sind, reproduzieren und festigen wir vorgefertigte Rollenbilder und Verhaltensweisen, auch wenn wir uns dessen oftmals nicht bewusst sind. Es gilt daher, sich selbst zu hinterfragen und andere darauf aufmerksam zu machen. Aber auch die vorherrschende Sicht- und Redeweise zu verändern und alle gesellschaftlichen Unterdrückungsformen abzulegen.
Die vielfältigen Mechanismen von Herrschaft, die zu einer mehrfachen Ausbeutung und Unterdrückung führen, wirken auch in die Wirtschaft hinein. Im Kapitalismus stand zwar von Anfang an die Nutzbarmachung der menschlichen Arbeit im Vordergrund, aber das (soziale) Geschlecht und die Rolle im Familienverbund waren auschlaggebend für gute oder schlechte Arbeitsbedingungen bzw. für hohe, niedrige oder gar keine Entlohnung. So ist bis heute die Wiederherstellung der Gesellschaft (d.h. die soziale Reproduktion) kaum als gleichwertige “Arbeit” anerkannt.
Vor allem Migrantinnen* sorgen in Pflege und Betreuung für die reibungslose Erwerbsfähigkeit der deutschen Frauen*, aber zu rassistischen Niedrigstlöhnen und meist unter prekären Lebensbedingungen, und sie sind auch von sexualisierter Gewalt bedroht. Gleichzeitig treibt der neoliberale Sozialabbau bei Kinderbetreuung und Schulen viele Erwerbstätige in Lohnarbeit und Burn-Out. Andere lockt das Betreuungsgeld als “Herdprämie” in die staatlich geförderte Mutterrolle – ein Rückschritt in Zeiten biologistischer Geschlechterrollen. Vor allem für migrantische Familien bedeutet heimische Erziehung oft aber Schwierigkeiten beim Spracherwerb und daher mangelnde Integration. Diese bedeutet wirtschaftliche und gesellschaftliche Vernutzbarkeit und ist daher ein zusätzlicher Unterdrückungsmechanismus.
Dennoch geht es uns nicht darum, einige Managerinnen* in bessere Führungspositionen zu bringen oder durch geschlechtliche Vielfalt einen Regenbogen-Kapitalismus zu beschönigen. Der alltägliche Kampf gegen Diskriminierung und Ausbeutung endet nämlich nicht am “Equal Pay Day”, wenn endlich alle Geschlechter zum gleichen Lohn ausgebeutet werden. Denn die wachstumsgetriebene Weltwirtschaft zerstört unabhängig aller Genderidentitäten die Lebensgrundlagen der Menschheit und des gesamten Planeten. Dabei verstärken jedoch die Folgen dieser kapitalistischen Dauerkrise die rassistischen, sexistischen und kolonialen Ungerechtigkeiten.
Am 12.03 ist es unter anderem unser Anliegen, die Vielfalt der Bewegung rund um den Tag um eine antiautoritäre Sichtweise zu ergänzen: Forderungen an Vater Staat können keine Lösung gegen das Patriarchat sein. Zunächst erscheint es zwar einleuchtend, den Staat anzuflehen, er solle soziale Verbesserungen herbeiführen. Oder er solle unabhängig von den Kirchen eigene Schutzräume für Frauen* einrichten, diskriminierende Gesetze abschaffen (§218) oder für Gleichstellung in Institutionen sorgen. Doch anstatt angesichts massenhafter sexualisierter Gewalt für eine Verändernde Gerechtigkeit (Transformative Justice) innerhalb einer Gemeinschaftsverantwortung zu kämpfen, erklingt der schnelle Ruf nach Verschärfung des Sexualstrafrechts.
Das Einfordern gegenüber dem starken Staat verschiebt aber die eigene Position in eine unterwürfige Rolle. Dies bringt mit sich, dass jede Form von Selbstorganisation und eine daraus sich möglicherweise entwickelnde Selbstermächtigung nicht zu Stande kommen kann. Wenn wir an ihn Forderungen stellen, geben wir Verantwortung ab und bieten dem Staat immer wieder die Möglichkeit Konflikte zu befrieden. Dies gelingt ihm, indem er teilweise diese Forderungen erfüllt, aber die Vorherrschaft in der Debatte an sich reißt und somit soziale Bewegungen vereinnahmt und lähmt.
Gerade durch diese staatliche Vereinnahmungen kommt es in der BRD schon lange nicht mehr zu großen emanzipatorischen Bewegungen, die dem Staat gefährlich werden könnten, indem sie tatsächlich sozialrevolutionäre Prozesse anstoßen. Wenn wir also die Grabesruhe des „sozialen Friedens“ beenden wollen, heißt das nicht, dass wir anderen vorschreiben, was sie zu tun und zu lassen haben. Sondern, dass wir aus einer bekannten Erfahrung aus dem Anti-Atom-Widerstand im Wendland lernen möchten:
“Es gibt bekanntermaßen verschiedene Aktionsformen. Wir machen unsere, Andere machen ihre. Ihr Zusammenspiel wird unsere Stärke sein.“
Lasst uns also nicht kalkulierbar, vorgeplant und staatstreu handeln, sondern zusammen über den Tellerrand gucken und andere Kämpfe, in denen wir stecken, miteinbeziehen.
Lasst uns gemeinsam dafür sorgen, dass “Solidarität” und “Selbstbestimmung” nicht länger hohle Phrasen bleiben: Begegnen wir uns gegenseitig auf Augenhöhe und reißen wir die HERRschenden Grenzen ein – auch in den Köpfen!
Deshalb rufen wir, einige Gruppen aus der Föderation deutschsprachiger Anarchist*innen (und andere), anlässlich des Weltfrauentages (8.März) zu der bundesweiten Demo am 12.03.2016 in Köln auf. Kommt zum Treffpunkt auf dem Roncalliplatz am Dom. Beteiligt euch an dem vorne gehenden FLTI*-Block oder unterstützt den antiautoritären, “bunten Block”.
Dieser Aufruf versteht sich als Ergänzung mit positivem Bezug zu dem Aufruf des anmeldenden Bündnis, das sich aus verschiedenen Gruppen und Organsiationen zusammensetzt. Dennoch möchten wir mit einem eigenen Aufruf antiautoritäre Akzente setzen.
Unterstützer*innen
Anarchistische Gruppe Dortmund
Anarchistisches Kollektiv Köln
Anarchistische Initiative Kaiserslautern
Texte von FdA-Gruppen
Libertäres Bündnis Ludwigsburg (LB)²
Wir lassen uns für Rassismus nicht instrumentalisieren – Gegen sexualisierte Gewalt und Rassismus!
Libertäre Gruppe Karlsruhe
Beitrag zur Debatte um die sexuellen und sexualisierten Übergriffe in der Silvesternacht
Infos zur Anreise nach Köln
Zugtreffpunkte
Dortmund
10.30 Uhr Nordausgang vor Cinestar am 12. März,
organisiert von Anarchistische Gruppe Dortmund und Autonome Antifa 170
Kaiserslautern
Wer aus Kaiserslautern mit will schreibt an die Anarchistische Initiative Kaiserslautern: aikl@riseup.net
Bonn
Wer aus Bonn anreisen will, kann sich an die ASJ Bonn wenden: asjbonn@riseup.net
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