1. Mai – Eine Perspektive? Anarchistischer Aufruf zur revolutionären 1. Mai Demonstration in Nürnberg

1. Mai

Demo | 1. Mai | 11.30 Uhr |
Bauerngasse/Ecke Gostenhofer Haupstr., Nürnberg |
Unter den anarchistischen Fahnen

Ursprung des 1. Mai –
Haymarket Riot – Eine
anarchistische Annäherung

Kaum jemand kennt den Ursprung des 1. Mai. Wird er in vielen Ländern der Welt als Feiertag begangen, ist er vor allem gekennzeichnet durch Volksfeste und hohen Alkoholkonsum. Nur noch Wenige nehmen an den ritualisierten Demonstrationen der etablierten Gewerkschaften teil und noch viel weniger Menschen wissen überhaupt, dass der 1. Mai seinen Ursprung in scheinbar längst vergessenen Zielen und Träumen hatte, die weit über die Forderungen nach einer Lohnerhöhung hinausgingen.
Die durch die US-amerikanische Arbeiter*innenbewegung bereits im späten 19 Jh. artikulierte Forderung nach einem 8 Stunden Tag wurde v.a. durch Streiks und direkte Aktionen durchgesetzt. In jener Zeit fand keine Glorifizierung der Lohnarbeit statt, wie heutzutage auf den müden Kundgebungen des DGB. Stattdessen schlossen die Forderungen die Überwindung der herrschenden Verhältnisse und eine solidarische Gesellschaftsperspektive mit ein.
Am 1. Mai 1886 streikten deshalb allein in Chicago 40 000 Arbeiter*innen, insgesamt 340 000 in den USA, für jene Forderung. Dabei waren vor allem Anarchist*innen eine treibende Kraft, die in den Gewerkschaften verwurzelt waren. Eine Protestkundgebung am 4. Mai wurde dabei ohne ersichtlichen Grund von der Polizei angegriffen, woraufhin in deren Reihen eine Bombe explodierte, die 7 Polizist*innen tötete.
Letztendlich wurde für diese Tat schließlich acht willkürlichen, weil bekannten Anarchist*innen, der Prozess gemacht:

„Das Gesetz klagt die Anarchie an! Diese Männer wurden anstelle von tausenden vor Gericht gestellt, nicht etwa weil sie schuldiger sind, sondern weil sie deren Anführer waren. Gentlemen! Statuiert ein Exempel an ihnen, hängt sie! Nur so retten wir unsere Institutionen, unsere Gesellschaftsordnung!“

Unter diesen Umständen, die die Chicagoer Staatsanwalt damals so formulierte, wurden die meisten von ihnen zum Tode, andere zu langjährigen Haftstrafen, verurteilt. Infolge der Verhaftungen entstand weltweit eine große Solidaritätswelle mit den Inhaftierten und 1889 wurde der 1. Mai zum internationalen Kampftag der Arbeiter*innen erklärt.

Die Tradition des internationalen Kampftages der Arbeiter*innenklasse
Zu jener Zeit hatte der 1. Mai eine starke Prägekraft für die Gesellschaft, der 1. Mai hatte quasi eine emanzipatorische Bedeutung und die Perspektive einer grundlegenden Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse. Doch Jahrzehnte nach dem Haymarket Riot verlor die anarchistische Bewegung in den USA, und über den Haymarket Riot hinaus die internationale Arbeiter*innenbewegung in den letzten Jahrzehnten sowohl in Deutschland, als auch weltweit stark an Relevanz.
Die Situation der Menschen, zumindest in den westlichen Ländern, ist heutzutage nicht mehr vergleichbar mit der damaligen Lage. Einige wichtige Dinge, wie das Streikrecht oder der 8 Stunden Tag, wurden erkämpft, doch unabhängig von diesen oberflächlichen Verschönerungen der kapitalistischen Normalität, war die Traurigkeit des Kapitalismus immer die Gleiche.
SPD und reformistische Gewerkschaften haben nie ihren Teil dazu beigetragen, aus dem 1. Mai, eine emanzipatorische Perspektive zu erarbeiten. Dass sich der DGB heute diesen Tag auf die Fahnen schreibt, ist der blanke Hohn, zeitgleich verwundert es jedoch nicht, wenn wir uns den Zustand des 1. Mai anschauen.
Am 1 Mai. findet heutzutage hauptsächlich eine Laudatio auf die Lohnarbeit statt, und das sowohl durch die reformistischen Gewerkschaften, als auch durch einige linksradikale Gruppen und vor allem autoritär geführte, vermeintlich emanzipatorische, Parteien.
Der 1. Mai hat seine Schlagkraft als internationalen Kampftag der Arbeiter*innenbewegung leider eingebüßt und kann getrost als ritualisierte und relativ bedeutungslose Selbstbeweihräucherung bezeichnet werden. Denn ein 1. Mai, der bereits als Feiertag unter dem Namen „Tag der Arbeit“ begangen wird, hat jede Perspektive auf die Überwindung der Lohnarbeit und des Kapitalismus bereits verloren.

Antikapitalismus ohne Staat, ohne Nation
Doch nicht nur hin zur Verherrlichung von Lohnarbeit entwickelten sich die Feierlichkeiten rund um den 1. Mai. Zwei weitere Mentalitäten, welche für die Arbeiter*innen 1886 in Chicago so nicht denkbar gewesen wären, werden bei dieser Gelegenheit propagiert. Die Forderung nach einer Kapitalismusreform durch den Staat einerseits, sowie die Idee der Eroberung des Staates als Mittel zur Überwindung des Eigentums, andererseits. Doch wohin führen diese beiden Perspektiven?
Sozialreformistische Zielsetzungen mit der dazugehörigen Apellpolitik waren und sind nicht in der Lage über den gegenwärtigen Status Quo der bestehenden Herrschaftsverhältnisse hinauszudenken, schaffen es lediglich die schlimmsten Konsequenzen des Gegebenen der Kritik zu unterziehen und bestenfalls vermeintliche Auswüchse zu bekämpfen, sodass letztlich ein neuer, wenn auch brüchiger, sozialer Frieden erzeugt wird.
Derlei Bestrebungen ist es nicht möglich überhaupt radikal an den kapitalistischen Strukturen anzusetzen, sind sie doch auf die legale Koexistenz mit dem Staat als irrtümlicher Adressat ihrer Anliegen angewiesen, der wiederum erst der Garant für die Eigentumsverhältnisse ist.
Die zweite Tendenz geht davon aus, der Kapitalismus wäre durch revolutionäre Eroberung des Staates und durch Verstaatlichung der Produktionsmittel zu überwinden. Doch zeigt uns die Geschichte, sowie Gegenwart der sogenannten realsozialistischen Staaten, dass diese lediglich neue Klassenverhältnisse geschaffen haben. Die Minderheit der Bürokrat*innen und Verwalter*innen des nun staatlichen Kapitals und die Masse der weiterhin lohnabhängigen Menschen. Verstaatlichung der Produktionsmittel ist somit nicht mit einer zu erstrebenden Vergesellschaftung gleichzusetzen.
Der Kampf für eine befreite Gesellschaft ist nicht mit dem Staat zu machen, nur gegen ihn zu führen!
Die Nation als konsistenzloses legitimationsstiftendes Mittel des Staates, so wie als exklusive kollektive Identität, die die innerkapitalistischen wirtschaftlichen Interessenswidersprüche verschleiert, ist aus anarchistischer Perspektive in jeder Form abzulehnen!

Kapitalistische Gegenwart und anarchistische Utopie
Das bestehende kapitalistische und staatliche System der bürgerlichen Demokratie, das viele Menschen jeden Tag durch ihren Glauben an die Institutionen festigen, ist nicht das, was wir wollen.
Der Kapitalismus beherrscht unser Leben. Immerzu sind die Menschen dem Leistungs- und Verwertungsdruck einer solchen Gesellschaft ausgesetzt und befinden sich aufgrund der strukturellen Gegebenheiten dieses Systems in ständiger Konkurrenz zueinander. Im Kapitalismus zählt nur die Verwertung des Wertes, sprich das Erwirtschaften von Profit, aber nie die Bedürfnisse aller Menschen.
Seit die Arbeiter*innenklasse in der Bedeutungslosigkeit verschwunden ist, wird der Zustand dieser Gesellschaft in der breiten Öffentlichkeit kaum mehr in Frage gestellt, denn auch die etablierten Gewerkschaften und vor allem die Parteien, egal welcher Couleur, bieten keine Lösungen für das Überwinden von Kapitalismus und autoritären Gesellschaftssystemen. Stattdessen waren sie selbst schon immer Teil des Problems. Sie doktern, wenn überhaupt, nur an Symptomen herum, anstatt eine grundlegende Kritik an den Ursachen zu formulieren.
Denn die etablierten Institutionen, zu denen Partei- und autoritär durchsetzte Gewerkschaftsapparate zählen, sind wiederum nur Teil des Grundproblems Staat. Ein zentralistischer und bürokratischer Staat kann niemals die Bedingung für eine freie Gesellschaft sein. Es ist generell falsch die eigene Selbstbestimmung z. Bsp. durch Wahlen in die Hände von Repräsentant*innen zu geben und sich damit die Möglichkeit nehmen zu lassen, das eigene Leben zusammen mit anderen frei und selbstorganisiert zu bestimmen.
Wir setzen dem eine dezentralisierte, selbstverwaltete und herrschaftsfreie Gesellschaft als Alternative entgegen. Eine anarchistisch-föderalistische Gesellschaft ohne Grenzen, Klassen und Staaten, welche auf der Grundlage der freien Vereinbarung und der gegenseitigen Hilfe organisiert sein soll. Dabei wollen wir eine Alternative formulieren, die es sich nicht zum Ziel macht die politische Herrschaft zu übernehmen, sondern sie gänzlich abzuschaffen.
Nur wenn wir aus eigener Motivation heraus selbstorganisierte und widerständige Netzwerke aufbauen, sowie eine herrschaftsfreie Alternative aufzeigen, welche die kapitalistische Normalität angreift und in Frage stellt, wird diese Utopie auch zu einer Bedrohung für die herrschenden Verhältnisse.

Eine anarchistische 1. Mai Perspektive
Um dem 1. Mai wieder eine Aussagekraft zurückzugeben, ist es notwendig, sich nicht auf den Kampf der Arbeiter*innen und damit auf den ökonomischen Kampf zu beschränken. Das bedeutet nicht jene ökonomische Sphäre auszublenden, wo gerade in Zeiten des Neoliberalismus immer mehr Lebensbereiche ökonomisiert werden.
Wenn der 1. Mai wieder irgendeine Relevanz erhalten möchte, darf er jedoch nicht nur ritualisierter Kampftag der Arbeiter*innenklasse sein, sondern muss endlich wieder die Überwindung der Lohnarbeit zum Ziel haben und sich gleichzeitig auch gegen den alltäglichen Rassismus, den wieder erstarkenden Nationalismus, die Militarisierung der Gesellschaft und die vermeintliche Normalität der Geschlechterverhältnisse richten.
Konsequent war es damals, als der 1. Mai noch gesellschaftliche Relevanz hatte, historisch an einem nicht offiziellen Feiertag die Arbeit niederzulegen, oder in Zeiten ohne oder mit wenig Urlaub eine arbeitsfreie Woche zu fordern.
Radikal war es damals, als der 1. Mai noch gesellschaftliche Relevanz hatte, mit direkten Aktionen für die Überwindung des Kapitalismus zu kämpfen.
Konsequent wäre es heute, abseits der üblichen Rituale des 1. Mai, am 2. und 3. Mai die Arbeit niederzulegen.
Radikal wäre es heute, mit direkten Aktionen die Profiteure dieser Gesellschaftsordnung zu jeder Zeit und an jedem Ort zu attackieren und, abseits der Tradition, für eine solidarische Gesellschaft jenseits von Kapitalismus und Autorität zu kämpfen.

Wir fordern alle Menschen auf ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen, anstatt Verantwortung bei Wahlen an Stellvertreter*innen und Funktionär*innen abzugeben!

Gegen Staat, Nation und Kapital! Autoritäten angreifen!
Für die Anarchie!

Unterstützer*innen:
Freie Arbeiter*innen Union Nürnberg (FAU)
Wagenkommando Mobile Architektur
Projekt 31
Rizoma – Anarchistisches Lesecafe im Projekt 31

Den Aufruf zum Ausdrucken findet ihr hier:
Seite 1
Seite 2

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